Neustart ins Ungewisse

Das Haus für elektronische Künste wird ab Herbst umgebaut. Ob das Shift-Festival wie angekündigt im Frühjahr stattfinden kann, ist noch unklar.

Baulärm statt Medienkunst: Die Umgestaltung des ehemaligen Zollfreilagers erreicht bald auch das Haus für elektronische Künste.

Das Haus für elektronische Künste wird ab Herbst umgebaut. Ob das Shift-Festival wie angekündigt im Frühjahr stattfinden kann, ist noch unklar.

Die Baustelle auf dem Dreispitz wird stetig grösser. Der Umbau des ehemaligen Zollfreilagers und der Neubau der Hochschule für Gestaltung und Kunst schreiten voran, im Transitlager entstehen Wohnungen, und auch am Herzog-&-de-Meuron-Bau an der Helsinkistrasse wird fleis­sig gearbeitet. Mittendrin: das Haus für elektronische Künste (HeK). Und auch dort wird bald gehämmert und gezimmert: Anfang September beginnt die Bauphase für den Umbau. Dafür wird man den heutigen «raum D» umbauen – jene Halle, die neben den Räumlichkeiten liegt, in denen das HeK seit zweieinhalb Jahren beheimatet ist.

Gebaut wird im HeK allerdings schon länger, und zwar an den Strukturen. Seit das Haus im Januar 2011 aus dem Zusammenschluss des Forums für neue Medien «Plug.In» und dem Shift-Festival entstanden ist, kommt es nicht zur Ruhe. Interne Querelen führten Ende 2011 zu einem ersten Bruch: Das Team des Shift-Festivals fühlte sich vom Stiftungsrat nicht mehr akzeptiert, und nach monatelangem Hin und Her reichte einer nach dem anderen seinen Rücktritt ein. Nur wenige blieben übrig vom Gründungsteam. Und einer dieser Letzten, Betriebsleiter Stefan Holenstein, hat das Haus nun per Ende Juni ebenfalls verlassen.
Mitten hineingeworfen in diese struben Zeiten wurde im März 2012 Sabine Himmelsbach, eingesetzt als künstlerische Leiterin und Vorsitzende der Geschäftsleitung – ein neuer Posten, den der Stiftungsrat als notwendig erachtete, um dem HeK eine geordnete, hierarchische Struktur zu verpassen. Mit dieser Verordnung von oben kamen nicht alle klar, was schliesslich zum Zerfall des Gründungsteams führte.

Unvermeidbare Abgänge

Obwohl Sabine Himmelsbach gleich nach ihrem Antritt das Gespräch mit allen Beteiligten suchte und keiner sich von ihr als Person gestört fühlte, konnte sie die Abgänge nicht verhindern. «Das war schade», sagt sie heute. «Doch ich sah und sehe das auch als Chance für einen Neuanfang an.» Dieser soll sich ab Herbst 2014 manifestieren, wenn das neue Haus für elektronische Künste eröffnet wird. Einen multifunktionalen, unterteilbaren Ausstellungsraum wird es erhalten, ein Foyer mit Café als sozialen Ort, einen Raum für Workshops und einen Veranstaltungsraum im Keller für Konzerte, Vorträge und ähnliches. Er wird den «raum D» ersetzen, der dem HeK bis jetzt als Veranstaltungsort diente, allerdings über keinerlei Infrastruktur verfügte und deshalb im Betrieb sehr kostenintensiv war.

Sie habe in den letzten Monaten sehr viel Energie in die Bauplanung gesteckt, erzählt Himmelsbach. Dass sie so intensiv am Konzept des Umbaus habe mitarbeiten können, sei natürlich positiv gewesen. Den Umzug in die neuen Räumlichkeiten nutzt man für eine Bestandsanalyse und Neudefinition: Man stecke mitten in der Ausarbeitung eines Leitbildes, das bis Ende Jahr stehen soll. Bisher steht für die Ausrichtung des Hauses: Das HeK wird ein Programm haben, das sich aus Ausstellungen und Veranstaltungen zusammensetzt, es soll ein Kompetenzzentrum für digitale Kunst werden, mit wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkten und Sammlungsaktivitäten, und es soll ein Festival veranstalten.
Shift heisst hier das Stichwort, und Sabine Himmelsbach hört es nicht nur gerne. Im Oktober 2011 fand das letzte Festival für elektronische Künste statt, und seit dem strukturellen Umbau des Hauses herrscht verschiedenenorts Unklarheit darüber, ob es eine nächste Ausgabe des zuletzt gut verankerten Festivals geben wird.
Sie halte am Shift fest, verkündete Himmelsbach, als sie ihre Stelle antrat. Wie und wann es mit dem Festival weitergeht, könne sie aktuell noch nicht sagen, fügt sie mit Bedauern an. Nur, dass es auf jeden Fall ein neues Gewand bekommen wird. «Es ist klar, dass das Festival nicht mehr exakt so daherkommen kann, wie es die Leute kennen», sagt sie. «Das ist schlicht nicht möglich, nur schon weil die architektonische Situation eine komplett andere sein wird.»
Konkret heisst das: Die Dreispitzhalle, die zuletzt als Festivalzentrum diente, wird in näherer Zukunft abgerissen und steht dann nicht mehr zur Verfügung. Dasselbe gilt für den «raum D». Beim HeK überlegt man sich deshalb auch neue räumliche Möglichkeiten: Eine Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Partnern, etwa der Hochschule für Gestaltung und Kunst. Vielleicht sogar die Auslagerung gewisser Veranstaltungen weg vom Dreispitz. «Die Atmosphäre rund um die Helsinkistrasse war ohne Frage aus-sergewöhnlich», sagt Himmelsbach. «Doch es gibt sie nicht mehr.»
Über die Frage, ob denn der vor einem Jahr kommunizierte Termin im Frühling 2014 noch realistisch sei, denkt Himmelsbach länger nach, bevor sie antwortet. Sie könne im Moment keine konkrete Aussage dazu machen, sagt sie schliesslich: «Wir verfügen dann noch nicht über unsere neuen Räumlichkeiten. Mir ist bewusst, dass der Bedarf nach diesem Festival da ist. Doch es muss stimmen – Schnellschüsse liegen mir nicht.»
Dass Neuerungen kommen werden, ist unumgänglich. Und das nicht nur räumlich und programmatisch, sondern auch strukturell bedingt. Die Veränderungen im HeK-Team laufen noch. So wird zum Beispiel gerade eine Kuratorin oder ein Kurator gesucht, der auch Erfahrung im Musikbereich mitbringt. «Gerade in Bezug auf unseren neu entstehenden Veranstaltungsraum ist mir das wichtig», sagt Himmelsbach.
Auch im fünfköpfigen Stiftungsrat gibt es neue Gesichter. Der Sitz des 2012 verstorbenen Politikers Peter Malama ist noch unbesetzt. Marianne Burki, Leiterin Visuelle Künste bei der Pro Helvetia, sah sich gezwungen, ihren Platz zu räumen, nachdem mit der Neuausrichtung der eidgenössischen Förderpolitik die Förderung digitaler Kunst vom Bundesamt für Kultur zur Pro Helvetia und somit in ihren eigenen Bereich wechselte. Neu dabei sind der Basler Kulturchef Philippe Bischof und Annette Schönholzer, Director of New Initiatives der Art Basel.

Die Frage des digitalen Erbes

Sabine Himmelsbach stimmen diese Mutationen zuversichtlich. «Die neuen Stiftungsratsmitglieder haben wie ich selbst eine neue Ausgangs­situation vorgefunden, da erhoffe ich mir frischen Wind und die Chance, gemeinsam einen Neustart im neuen Gebäude zu gestalten.» Dabei gehe es ihr nicht darum, das, was war, herabzuwürdigen, im Gegenteil. «Das HeK ist etwas anderes als es das ‹Plug.In› war – es ist grösser, übernimmt auch wissenschaftliche Aufgaben und soll eine nationale und internationale Ausstrahlung bekommen.»

Um diese zu erreichen, wird das HeK ab kommendem Jahr auch stärker durch Bundesgelder unterstützt. Bis anhin wird es massgeblich von der Christoph Merian Stiftung und von den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft getragen. 420 000 Franken werden nun jährlich vom Bund dazukommen. Dieses Geld, so hiess es vor Jahresfrist, solle für die Schaffung eines Kompetenzzentrums, einer Plattform für digitale Kultur und die wissenschaftliche Aufarbeitung und Bewahrung von Medienkunst eingesetzt werden.
Sabine Himmelsbach ist wichtig zu betonen, dass das Geld nicht nur, wie man auch schon vernehmen konnte, für den Aufbau einer Sammlung genutzt werden könne. «Das HeK soll eine Plattform für aktuelle Diskussionen sein», sagt sie. «Und eine dieser Diskussionen dreht sich um die Frage des digitalen Erbes – also darum, wie man digitale Kunst überhaupt sammeln kann.» Weiter möchte sie das HeK als Produktionsort stärker verankern. Dazu überlegt sie, ein oder zwei der Ateliers zu mieten, die im Neubau für das Internationale Austausch- und Atelierprogramm der Region Basel (iaab) entstehen werden, um dort Kunstschaffende temporär unterzubringen.
All diese Ideen fliessen in diesen Wochen in Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat ins Leitbild ein. Wenn es Ende Jahr steht, wird einiges Angedachte konkreter ausgearbeitet werden können. Vorher wird noch ein letztes Mal in den alten Räumen gefeiert: Die zweite Oslo Night, zu der am 24. August alle an der Oslostrasse beheimateten Betriebe von Radio X bis Oslo 10 laden, wird dem HeK als Abschied vom «raum D» dienen. Am Morgen danach beginnt unwiderruflich der Neustart. Ob und wie schnell das Ziel erreicht wird, ist noch ungewiss.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.07.13

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