«Nichts entsteht aus nichts»

Calixto Bieito versucht sich am Theater Basel als Installationskünstler. Doch statische Videobilder und schöne Händel-Arien machen noch keinen spannenden Abend. Zum Glück gibt es Gesangstalente aus dem Opernstudio zu entdecken.

Das eigentliche Ereignis dieser Installation: So nah kann man den SängerInnen selten auf die Lippen schauen. (Bild: Peter Schnetz)

Calixto Bieito versucht sich am Theater Basel als Installationskünstler. Doch statische Videobilder und schöne Händel-Arien machen noch keinen spannenden Abend. Zum Glück gibt es Gesangstalente aus dem Opernstudio zu entdecken.

Calixto Bieito ist da. Der Star- (oder wahlweise auch: Skandal-)Regisseur ist für die kommenden zwei Spielzeiten Hausregisseur am Theater Basel. Der Katalane (und nun auch Wahlbasler) hat seine offizielle Bezeichnung als Artist in Residence beim Wort genommen und dementsprechend seinen Einstand gestaltet – nicht als Regisseur im eigentlichen Sinne, sondern als Künstler. Er kreierte eine «Musikalische Installation», die sich mit der Philosophie des antiken Dichters Titus Lucretius Carus (kurz: Lukrez) auseinandersetzt – so die Ankündigung. Dessen Hauptwerk «De rerum natura» sollte im Zentrum stehen; doch das sechs Bücher umfassende naturphilosophische Lehrgedicht, das vom Aufbau der Welt aus Atomen, der Psychologie des Menschen und der Sterblichkeit der Seele erzählt, ist auf wenige Kurzzitate zusammengeschrumpft.

«Nichts» ist ein solches Zitat, das den Zuschauer, nein: Installationsbesucher, von drei Leinwänden im aufwendig verdunkelten Foyer des Theater Basel aus freundlich anlächelt. Nichts also. Darunter, im freien Raum zwischen jenen Leinwänden, bilden verschieden grosse und verschieden alte Fernsehapparate einen Kreis, in dessen Mitte sich ein Turm aus silbrigem Theatergestänge erhebt. Die Bildschirme zeigen ein Stillleben aus Birne, Fruchtfliege und Nachtfalter; wohl ein verfremdeter Ausschnitt aus einem Gemälde der späten Renaissance- oder frühen Barockzeit, jener Zeit also, in der das Werk des Lukrez wiederentdeckt wurde.

Warten darauf, dass etwas passiert

Die psychedelischen Farbkombinationen des Stilllebens verändern sich sukzessive, synchron in allen Apparaten. Die meisten Anwesenden haben sich unterdessen auf der grossen Freitreppe niedergelassen, warten darauf, dass irgendetwas passiert. Einige wenige schlendern umher – vielleicht haben auch sie den Hinweis bekommen, man möge sich doch bitte in Bewegung halten und nur zum Ausruhen einen Sitzplatz aufsuchen. Doch so oft man den Kreis der Fernseher auch umrundet, es ergeben sich keine neuen Blickwinkel. Es gibt nichts zu entdecken, was das Umherschlendern lohnend macht.

Das ändert sich auch dann nicht, als die Musik einsetzt, live gespielt von einem Kammerensemble aus Violine, Querflöte und Violoncello, vom Cembalo aus geleitet von Iryna Krasnovska. Händel-Arien stehen auf dem Programm: Karl-Heinz Brandt singt von der grossen Freitreppe feierlich aus dem «Messias» (ein Setting, das schon Jan Bosse für Claudio Monteverdis «L’Orfeo» nutzte), später klettert Jason Cox auf ein Theatergerüst und singt – auch ohne Boden unter den Füssen – mit kraftvollem Bariton eine Arie aus Händels «Samson». Schliesslich erscheint Agata Wilewska im Foyer, stimmt mit strahlendem Sopran eine Arie aus «Agrippina» an – und ihr Singen scheidet die Anwesenden endgültig in Protagonisten und Publikum, trennt den Raum in Bühne und Parkett. Jeder Foyerwanderer wird nun unfreiwillig zum Bühnenflitzer.

Bieito selbst war bei der Premiere mittendrin

Vorsichtig rücken manche näher, als Nathalie Mittelbach, neues Mitglied des Opernstudios, mit ihrem wunderbar warmen, voll und rund schwingenden Mezzosopran aus «Il trionfo del tempo e del disinganno» singt, im Liebes-Duett mit dem hellen, etwas scharfen Tenor von Markus Nykänen. So nah kann man den Künstlern selten auf die Finger respektive Lippen schauen – und das ist vielleicht das eigentliche Ereignis dieser Installation.

Bieito selbst war bei der Premiere mittendrin, stachelte die Violine zu mehr Sound beim elektronisch verzerrten Gewittersturm an, ermunterte das einzige anwesende Kind zum Herumrennen, herzte seine Darstellerinnen noch vor dem eigentlichen Ende des Abends. Doch nichts von dem, wofür Bieito berühmt geworden ist – Geschichten stringent zu erzählen, mit Klamauk und Farbensturm, mit Blut und Sex, Gewalt und Poesie – ereignet sich an diesem Abend.

Er sei halt nicht immer gleich inspiriert, sagte Bieito jüngst dem Tages-Anzeiger. Und während seine Fernsehapparate Regen, überlaufene Strassenkreuzungen oder menschliche Embryonen zeigen, sieht man seine Worte allenthalben bestätigt.

 

  • «De rerum natura», Theater Basel.
    Weitere Vorstellungen: 22. und 28.10., 18.11.

Nächster Artikel