Oh, Amy!

Die britische Soulsängerin Amy Winehouse betörte mit ihrer Stimme und betrübte mit ihrem Lebensstil: Sie pendelte zwischen «Rehab», Rausch und Rekorderfolgen. Ihre tragische Geschichte ist derzeit in den Kinos zu erleben. Ein zweifelhaftes Stück Unterhaltung.

Betörender Gesang, betrübende Geschichte: «Amy – the girl behind the name».

Die britische Soulsängerin Amy Winehouse betörte mit ihrer Stimme und betrübte mit ihrem Lebensstil: Sie pendelte zwischen «Rehab», Rausch und Rekorderfolgen. Ihre tragische Geschichte ist derzeit in den Kinos zu erleben. Ein zweifelhaftes Stück Unterhaltung.

Mitch Winehouse rät davon ab, sich diesen Film anzuschauen. Die privaten Aspekte würden verdreht wiedergegeben, hat der Vater von Amy Winehouse (1983-2011) im Vorfeld bekanntgegeben. Gleichwohl gehört er – wie auch die Plattenfirma Universal – zu den frühen Supportern der Idee dieses Dokumentarfilms, der das kurze Leben der Sängerin dokumentiert.

Beide Parteien sind stolz auf die Leistungen von Amy Winehouse. Und beide haben kommerzielle Interessen, was die Kapitalisierung dieses Lebenswerks angeht. Der Film über den grossen Soul-Star der Nullerjahre, der jetzt im Kino zu sehen ist, unterstreicht dabei die zweifelhafte Rolle, die ihr Vater, den sie verehrte, gespielt hat.

Ein geltungssüchtiger Vater, eine fragile Tochter

Besonders eindrücklich manifestiert sich das in einer Filmszene gegen Ende des Films: Vater Mitch besucht seine von Drogenproblemen und Boulevard verfolgte Tochter, die in der Karibik einen Zufluchtsort im Nirgendwo gefunden hat, weit weg von Paparazzi, Crack und Heroin. Mitch Winehouse kommt aber nicht alleine, nein, in seinem Schlepptau ist das TV-Team einer Reality-Sendung.

Da scheint einer das Rampenlicht zu suchen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse jener Person, die ihn überhaupt zum berühmtesten Taxifahrer Englands werden liess: seiner Tochter. Und diese, das wird im Dokumentarfilm mehrfach betont, will singen. Aber ein Popstar zu werden, darauf war sie nicht vorbereitet, der Rummel ist ihr zu viel.

Während seine Tochter also einen Weg sucht, um die Dämonen in den Griff zu kriegen und dem öffentlichen Voyeurismus zu entkommen, weiss ihr Vater nichts Besseres, als ihr mit einem Kamerateam auf die Pelle zu rücken. Ganz nebenbei weist er sie auch noch wie ein kleines Kind zurecht, weil sie sich zwei Fans gegenüber nicht höflich genug verhalten habe. Dass Vorwürfe das letzte sind, was seine Tochter in diesen heiklen Jahren zu hören braucht, scheint er zu ignorieren.

Man möchte sie warnen, möchte ihr helfen 

Es ist eine jener privaten, intimen Szenen, die kaum auszuhalten sind. So wie auch jene über ihre unglückliche Ehe mit Blake Fielder-Civil. Wer 2008 schon lesen konnte, erfuhr fast täglich via Boulevard-Presse, dass sie ihn heiss liebte, aber der Mann ihr nicht guttat, weil er sie zu den harten Drogen verführte. Das hautnah zu erleben, ist nicht nur für Bewunderer von Amy Winehouse, sondern für jeden empathischen Menschen harte Kost.

Man möchte schreien. Möchte warnen. Möchte trösten. Muss weinen.

Und man möchte ihr helfen, immer wieder in diesen 120 Minuten, in denen man von Beginn an weiss, wohin der Druck, die Suchtkrankheiten, wohin die Zerbrechlichkeit diese junge, talentierte Sängerin am Ende bringen wird.

Der Voyeurismus: eine zweischneidige Sache

Die kurze Karriere von Amy Winehouse, sie wurde schon in aller Öffentlichkeit dokumentiert. Winehouse war einer der ersten grossen Stars, dessen «Rise and Fall»-Story auch auf Handyfilmchen festgehalten wurde und nicht nur von professionellen Kameras. Wer erinnert sich nicht an die entblössenden Aufnahmen – weil völlig zugedröhnt in der versifften Bude –, welche die Boulevard-Medien hemmungslos herumreichten. Um sich danach heuchlerisch darüber zu empören.

Dieser Zwiespalt manifestiert sich ein Stück weit auch im Dokumentarfilm von Asif Kapadia. Er kritisiert die Massenmedien, die Blitzlichter der Fotografen, den Hunger des Boulevards. Und verzichtet seinerseits nicht darauf, den zweiten Teil des Films dem Absturz der Sängerin zu widmen, in mitunter verstörend privaten Aufnahmen und – als tragischen Tiefpunkt – in Form eines Mitschnitts, als Winehouse völlig betrunken über eine Bühne in Belgrad taumelt, unfähig zu singen, bald darauf unfähig zu leben.

Diesen Szenen geht eine Überhöhung voraus, die nicht nötig wäre: «Back to Black» war zwar ein grossartiges Album, eines der stärksten seiner Dekade – das vorangegangene Debüt «Frank» aber war zum Vergessen. Und dass das Wechselspiel von berührenden Songs und betrüblichem Leben Tradition hat, hätte man durchaus erwähnen dürfen: Winehouse hat mit ihren dunklen Texten hellsichtig schwarzgemalt, wie so viele grosse Sängerinnen, von Billie Holiday bis Janis Joplin, die bei allem Erfolg einsam und im tiefsten Innern unglücklich waren. Etwas mehr Tiefgang hätte man sich da von den Filmemachern gewünscht.

Was bleibt, ist ihr grossartiger Gesang

Unterbewertet wird wiederum die Bedeutung von Mark Ronson, der «Back To Black» kongenial produzierte. Dass er nur ganz kurz zu Wort kommt, erstaunt ein bisschen angesichts seiner Bedeutung für den Welterfolg. Womit wir bei der Komposition des Films wären: Durchaus interessant, wie das Leben von Amy Winehouse mit Zitaten erzählt wird, von ihr selber, von Songs, von Freundinnen, Musikern und ihrer Familie, währenddessen filmische Archivaufnahmen – bekannte und private – gezeigt werden.

Das ist einerseits reizvoll, andererseits aber auch verwirrend, da oft unklar bleibt, unter welchen Umständen und in welchem Zusammenhang die Aussagen ursprünglich gemacht wurden. Zugleich handelt es sich hierbei um das experimentellste Element dieses Dokfilms, der ansonsten ganz dem klassischen Schema von Jugend bis Tod folgt, angereichert mit ihrem fantastischen Timbre, ihrem grossartigen Gesang.  

Diese unverwechselbare Stimme im Surroundsound zu hören, fährt ein. Ansonsten aber stellt man sich durchaus die Frage, was dieser Dokumentarfilm im Kino zu suchen hat, wo er doch sehr klassisch aufgebaut ist und, so könnte man jedenfalls meinen, doch irgendwie auch schon am Fernsehen zu sehen war. Vermutlich ist den Machern die Verwechselbarkeit bewusst, weshalb sie mit Superlativen das eigene Werk angekündigt haben und uns «the girl behind the name» versprechen. 

In einer Sache ist man sich aber nach 120 Minuten mit den Filmemachern einig: Amy fehlt.   

_
«Amy – the girl behind the name» läuft in Basel in den Kinos Atelier und Rex

Nächster Artikel