Aufgewachsen in São Paulo, lange in Basel, zurzeit in New York: Wir haben den Künstler Pedro Wirz gefragt, wie es sich zwischen den Ländern lebt.
Und wir erwischten ihn doch noch. Pedro Wirz, 1981 geboren, aufgewachsen in São Paulo, Kunst studiert in Basel, lebt gerade für sechs Monate in New York. Drei Stunden vor unserer Skype-Verabredung am Dienstag meldet er über Facebook, dass er es nicht schafft. Er gehe gerade ins Bett. Es ist bei ihm halb sieben Uhr morgens.
Als wir uns sieben Stunden später tatsächlich am Bildschirm haben, liegt Wirz noch im Bett und erklärt die Sachlage: Er sei auf dem Heimweg vom Atelier gewesen – bis Mitternacht habe er geschafft –, da habe ihn eine Bekannte in eine Bar entführt. Er habe das wirklich nicht gewollt! Brav ins Bett wollte er und am nächsten Tag weiterarbeiten.
Das mit den Vorsätzen will jedoch nicht immer klappen. «Am Anfang hatte ich vor, in New York vor allem Kunst zu machen», sagt Wirz. «Aber ich habe schnell bemerkt, dass das eigentliche Ziel dieser Reise ist, Leute kennenzulernen.»
Kunst als Netzwerkarbeit
Das hat seinen Sinn, denn Wirz hat sich für Arbeiten einen Namen gemacht, hinter denen mehrere Künstler stehen. Das geht so weit, dass er auch schon mit der Frage konfrontiert wurde, was er denn zu einer Arbeit überhaupt beigetragen habe. Wirz’ Kunst ist Netzwerkarbeit. Und damit ist er bereits weit gekommen. In der Kunsthalle Basel konnte er die äussere Rückwand bespielen, im Ausstellungsraum Klingental oder im Kaskadenkondensator hat er kuratiert. Hinter dem feierfreudigen Netzwerker steckt ein harter Arbeiter.
Kürzlich traf er seinen Gönner, der ihm den New Yorker Aufenthalt im Namen des Internationalen Austausch- und Atelierprogramms (iaab) ermöglicht. Ein feiner Mensch soll er sein. Und anonym bleiben will er. «Typisch Schweiz», ruft Wirz amüsiert. «In Amerika will jeder zeigen, wen er unterstützt.»
Schwer zugänglich, kühl – von den gängigen Klischees über die Schweiz will Wirz nichts wissen. Seine besten Freunde hat er hier, nirgends hat er wärmere Menschen getroffen. Nur die Höflichkeit macht ihm Mühe. «Schweizer tun nett, doch sie haben die Faust im Sack.» Lieber mag er in dieser Hinsicht die Deutschen. Da gebe man den Tarif durch, findet er. «Für Brasilianer ist diese Direktheit eigentlich unverständlich. Sie sind die ganze Zeit oberflächlich. Du triffst jemanden und der sagt: So cool! Wir machen morgen was, wir gehen mit meiner Schwester schwimmen und meine Mama kocht für dich! Und wenn der Abend vorbei ist, siehst du die Person nie wieder.»
«Basel hat mich adoptiert wie einen Sohn.»
Wirz’ Loblied auf Basel ist noch nicht zu Ende. «Geiles Wetter. Superinstitutionen für Kunst. Minimetropole.» Die Stadt habe ihn adoptiert wie einen Sohn, verlieh ihm Preise, gab ihm ein Atelier. «Ohne Basel wäre ich nicht da, wo ich heute stehe.»
Und doch will er mittelfristig nach Brasilien. Was er dort liebt? «Die Menschen. Die spontane Art, wie das Zusammenleben funktioniert.» Vielleicht können die Brasilianer gar nicht zuverlässig sein, bei all der Begeisterung für den Moment. Sie kämen in Teufels Küche.
Wenn er einmal nach Brasilien zurückkehrt, will er nicht zuletzt zeigen, was er gelernt hat in seinen acht Jahren, die er fort war. Einerseits geht in São Paulo sehr viel ab in diesen Zeiten. Viele junge Leute kommen von ausserhalb und gleisen Projekte auf. Junge Brasilianer sind zu Geld gekommen und interessieren sich für die Kunst ihrer Generation. Allerorten öffnen Offspaces, die Kunstmesse in São Paulo gewinnt an internationaler Bedeutung. São Paulo, das neue Berlin? Durchaus. Auch wenn die brasilianischen Städte teuer sind, weil mit Immobilien spekuliert wird.
Frischer Wind für die Kunstszene
Diplomatisch sagt er: «Es gibt bereits viel Interessantes, das dort entsteht.» Andererseits habe sich die Kunstszene in São Paulo lange nur für brasilianische Künstler interessiert oder aber für internationale Stars. «Es ist schon so, dass die Galerien auf der Stelle treten. Zusammen mit Kollegen will ich einen neuen Flow in die Diskussion bringen.» Dieser Tage läuft bereits eine Ausstellung in São Paulo an, die Wirz mitkuratiert. «Post Code» heisst sie, ein Wortspiel aus «postal code» und postmodern. Mit anderen Worten: Die Zeit der Postleitzahlen und damit der lokalen Festschreibung soll vorbei sein. «Wir machen die Distanzen kurz», sagt Wirz, junge und wenig bekannte Künstler aus aller Welt sollen in São Paulo zusammentreffen. Mit den Sprachen, die Wirz spricht, und dem Netzwerk, das er weiterhin fleissig ausbaut, glaubt er, etwas bewegen zu können in seiner Heimat.
Zum Schluss darf aber eine Frage nicht ungestellt bleiben. Welche Klischees über Brasilien sind garantiert falsch? Wirz lacht laut. «Nicht alle mögen Fussball», sagt er dann. «Ich zum Beispiel.» Und Caipirinha? Er wird in Brasilien völlig anders getrunken. Die Europäer machen eine Wissenschaft aus der Rezeptur, nennen es Cocktail und verlangen 15 Franken dafür. «Wir machen Rum in einen Becher, tun ein bisschen Zitrone dazu. Saufen, glücklich.» Ein bisschen mehr Rio am Rhein, das wäre nicht schlecht. Pedro Wirz wird man jedenfalls immer wieder in Basel antreffen.
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Brasilien im Fokus: Die TagesWoche widmet sich die kommenden Tage dem Gastgeber der Weltmeisterschaft 2014 – eine Übersicht der Artikel liefert das Dossier zum Thema.