Diesen Donnerstag singt Oliver Gottwald im «Goldenen Fass». Lange Zeit Sänger der Band Anajo, ist er nun solo unterwegs. Der 36-jährige Augsburger spricht offen über Rückschläge und wie es eigentlich ist, sich als schwuler Boy von seinem Mädchenschwarm-Image zu emanzipieren.
Oliver Gottwald besitzt eine äusserst jungenhafte Ausstrahlung, die stets auf der Kippe steht zu einer, ja sagen wir es ruhig, gewissen Eichhörnchenhaftigkeit. Der neutrale Konzertbesucher wusste oft nicht, soll man dem gebürtigen Augsburger nun zujubeln oder doch besser Nüsschen schenken?
Das ist natürlich eine Übertreibung, zudem wurden die Konzerte von Gottwalds Band Anajo von sehr vielen Menschen besucht, aber Neutralität spielte dabei wirklich keine Rolle. Schliesslich waren Anajo in den Nullerjahren die Indie-Boyband-Sensation im deutschsprachigen Raum. Ein Trio aus Bayern, das mit seinem Charme und seinen Refrains die ganze Mainstreamwelle um Juli und Silbermond locker in die Tasche stecken konnte.
Der Druck des Hypes war der Anfang vom Ende
2006 schien es ausgemachte Sache, Anajo würden mit ihrem charismatischen Sänger Gottwald nach dem Release ihres zweiten Albums «Hallo, wer kennt hier eigentlich wen?» durch die Decke gehen. Doch der allerorts prophezeite Überschallflug blieb aus. Die Band wirkte verkrampft, der Druck des Hypes raubte alle Lockerheit der Anfangstage. Als 2011 mit «Drei» das dritte Album erschien, war die Luft raus, kurze Zeit später lösten sich Anajo auf. Hinterlassen haben sie zwei Hände voll unkaputtbarer Pop-Perlen, zu denen neben «Monika Tanzband» oder «Ich hol dich hier raus» zählen.
Zu den unvergesslichen Nummern gehört auch der «Amsterdam-Mann». Darin wird konträr zum sonst so typischen Indiepop-Minnegesang keine Frau, sondern ein Mann angeschwärmt. Das liess sich Gottwald, der auch die Texte schrieb, nicht nehmen, war er doch selbst an Typen und nicht an Girls interessiert.
«Dass ich über mein Schwulsein gesungen hab, hat mit Authentizität und Aufrichtigkeit zu tun.»
So galant vollzog der «Amsterdam-Mann» für ihn also das öffentliche Outing vor der mädchenreichen Fan-Base. Ein Umstand, der intern nicht ohne Diskussionen abgelaufen war. Gottwald erzählt dazu: «Bedenken kamen auf, ob mein öffentliches Outing von unseren Fans einfach so akzeptiert werden würde. Mir ging es nie darum, mein Schwulsein an die grosse Glocke zu hängen, weil es für mich die Normalität darstellt. Dass ich dann eben doch darüber gesungen habe, hat in erster Linie mit Authentizität und Aufrichtigkeit zu tun. Ich wollte unseren Hörern nicht irgendwas vorgaukeln, schon gar nicht aus Marketinggründen. Rückblickend würde ich vielleicht sogar noch etwas offensiver an die Sache rangehen.»
Diese Offenheit liess die Sympathiewerte noch einmal in die Höhe schnellen. Eine quere Band in einem der heterosexuellsten Genres überhaupt zu sein, das war schliesslich nur ein weiteres Alleinstellungsmerkmal mehr. Doch den Niedergang dieser aussergewöhnlichen Band wendete es letztlich auch nicht mehr ab. Anajo werden in der Szene schmerzlich vermisst.
Zurück und erfrischend offen
Doch gerade, als man sich damit abgefunden hatte, als Gras über die Sache gewachsen war, rauschte die Nachricht rein, dass Oliver Gottwald als Solo-Künstler weitermache. In diesem Frühjahr erschien «Zurück als Tourist». Das Album knüpft scheinbar selbstverständlich an all dem an, was Anajo einst auszeichnete. Doch spricht man mit dem 36-Jährigen, merkt man schnell: So selbstverständlich war das alles dann doch nicht. «Als uns Anfang 2012 endgültig klar wurde, dass es mit Anajo nicht weitergehen würde, fiel ich erstmal in eine mittlere Sinnkrise und überlegte, ob es nicht besser wäre, das mit der Musik ein für alle Mal an den Nagel zu hängen. Irgendwann hat mich die Lust dann doch wieder gepackt und ich begann, auch dank meiner neuen Bandkollegen, wieder Songs zu schreiben.»
Und was für welche! Gottwald hält sich dabei nicht auf mit gefälligen Stücken, sondern seziert in seinen Texten den Popschaffenden dieses Jahrzehnts. Deutlich wird das in dem Stück «Alles muss raus», das sich auch als Abgesang auf den freigeistigen Künstler lesen lässt. Denn der kommt zwischen Sponsoring-Deals, Zielgruppenpflege, Twitterpostings und schlecht vergüteten Klicks bei Video- und Streamingplattformen gar nicht mehr dazu, Songs zu schreiben.
«Vielleicht waren wir zu teuer
vielleicht waren wir zu naiv
Vielleicht waren wir für die Gegend
einfach zu exklusiv
Doch jetzt ist alles schon egal
denn jetzt ist alles vorbei
Die Herren von der Bank zogen Bilanz
Und es war Schluss mit frischem Geld
und nix mehr mit KulanzAlles muss raus, alles muss raus
Die Geschäftsaufgabe Räumungsverkauf
Auf alles gibt’s heute 50 Prozent
Und gratis dazu mein letztes Hemd»
Das Thema Geld gilt unter Künstlern als wenig opportun, schliesslich möchte man sich stets als aufstrebend betrachtet wissen und die eigene Musik nicht mit Gefasel über den realen Marktwert beschmutzen. Oliver Gottwald zeigt sich aber auch hier dem Mainstream enthoben und gibt offen zu Protokoll: «Wir leben nun mal in einer durchökonomisierten Gesellschaft, ob einem das gefällt oder nicht. Und selbstverständlich kommt man auch als Musiker oder Künstler nicht umher, sich mit seiner eigenen Vermarktung zu beschäftigen. Dass man dabei – gerade im Indiebereich – immer wieder an finanziellen Grenzen stösst, mag bedauernswert sein, zwingt einen auf der anderen Seite dazu, dies mit vielen Ideen und Kreativität auszugleichen.»
Erfrischende Offenheit, ökonomische Schwierigkeiten und einen Eimer voller Hits – damit hat Gottwald den Bandbully beladen und macht mit seinem Tross auch Halt in Basel. Dieser Besuch lohnt sich.
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Live: Sääli zum Goldenen Fass, Basel. Do, 23. April, 21 Uhr.