Vor zwei Jahren schrammte das Schweizerische Architekturmuseum (S AM) um Haaresbreite am Bankrott vorbei. Seither wurde neu geplant. Mit Erfolg.
Basel, selbst ernannte Architekturhauptstadt der Schweiz. Hier wachsen mutige Sport- und Kulturbauten in den Himmel, hier haben weltbekannte Architekten ihren Sitz. Und hier steht das Architekturmuseum, das seit ein paar Jahren mit dem Appendix «Schweizerisch» die Deutungshoheit über den nationalen Diskurs für sich reklamiert – als «führende Institution für die Vermittlung von zeitgenössischer Architektur in der Schweiz», wie die Website selbstbewusst verkündet.
Das Schicksal hatte anderes im Sinn. Selbstbewusst war zwar auch der Umzug ins Gebäude der Basler Kunsthalle 2004, und mit der Verpflichtung der Berliner Urbanistin Francesca Ferguson steuerte man gar internationale Gewässer an – und segelte direkt in ein Sturmtief. Das Budget konnte das Programm nicht tragen, im Sommer 2008 stand das Haus vor dem finanziellen Kollaps. Das Resultat ist bekannt: Ferguson musste die Konsequenzen ziehen, das S AM das Budget drastisch herunterschrauben, auf dem Tisch stapelten sich die offenen Rechnungen.
Zwei Jahre danach liegt das Schiff nicht nur aufrecht im Wasser. Es hat auch überraschend schnell wieder an Fahrt gewonnen. Auf grosse Gesten verzichtend, haben Sandra Luzia Schafroth, die mitten im Sturmtief die administrative Leitung übernommen hatte, und Hubertus Adam, der ein Jahr später als künstlerischer Direktor die Brücke betrat, das marode Vehikel in ruhigere Fahrwasser gelenkt. Mit einem Programm, das vielleicht mit weniger inszeniertem Diskursspektakel auftrumpft als die Ära zuvor, doch dafür ein Fundament besitzt, das dem Aufbau die nötige Stabilität verschafft – finanzieller wie ideeller Art.
Neues Strategiepapier
Der Schuldenberg ist abgetragen, die Besucherzahlen 2010 haben sich um 20 Prozent erhöht. «Ziel war es immer, das Museum ohne Schliessung weiterzuführen, um das Vertrauen bei den Geldgebern und beim Publikum wiederherzustellen», sagt Schafroth. «Das war ein Kraftakt, aber es war die Anstrengung wert.»
Für Vertrauen sorgt auch das nun vorliegende Strategiepapier, das die Zukunft des S AM skizziert. Und das lässt aufhorchen. Musste das Haus zuletzt mit 680 000 Franken jährlich haushalten, geht es nun bergauf: 2012 wird man mit rund 800 000 Franken ausgestattet sein. Zwei Jahre später soll gar die Millionengrenze geknackt werden, womit man wieder auf dem Niveau von vor der Krise ist – aber mehr Planungssicherheiten hat.
Der Grund dafür ist eine Subvention des Bundes. 200 000 Franken fliessen 2014, ab 2015 jährlich 300 000 Franken. Mit 80 000 Franken beteiligt sich seit 2010 der Kanton Basel-Stadt; der Rest wird je zur Hälfte selbst erwirtschaftet und von Stiftungen, Architekturbüros und (Architektur-)Verbänden beigesteuert, die dem Museum seit jeher nahestehen — ohne inhaltlich Einfluss zu nehmen, wie Schafroth betont.
«Die zusätzlichen Mittel helfen uns, das Programm zu intensivieren», freut sich Adam, «so werden vertiefte Recherchen möglich; der Anteil der Eigenproduktionen wird steigen.» Muss steigen, darf man anfügen: Das S AM ist mit einer Doppelspitze (zusammen 150 Stellenprozente), einer Produktions- und Redaktionsleitung (150 Prozente), einer kuratorischen Assistenz (100 Prozent) und einer Praktikantenstelle personell nicht eben unterdotiert.
Im Frühjahr 2013 wird die Stelle der künstlerischen Leitung neu ausgeschrieben – das wurde bei Amtsantritt mit Hubertus Adam so vereinbart, der es sportlich nimmt: Er kann sich selbstverständlich bewerben, und seine Karten sind bestimmt nicht schlecht, auch wenn seine Handschrift aufgrund der turbulenten Anfangsphase erst jetzt stärker zutage tritt. «Vielleicht haben wir teilweise zu wenig offensiv kommuniziert», meint Adam zur Kritik, dass (zu) oft Adaptionen existierender Ausstellungen gezeigt worden seien. «Viele dieser Ausstellungen haben wir von Grund auf neu konzipiert.» Auch sei die aktuelle Schau über Architektur in Israel nicht etwa ein Gastspiel des «Culturescapes»-Festivals, wie vermutet wurde – sondern umgekehrt eine S AM-Produktion, die im Festivalprogramm Aufnahme fand.
Stabiler Rahmen
Inhaltlich soll das Haus weiterhin die 1960er/1970er-Jahre ins Zentrum rücken, wobei der Fokus Schweiz auch über internationale Themen reflektiert wird. Die zweite Schiene heisst «Interdisziplinarität» und meint «Exkursionen an die Ränder der Architektur», wo besonders Adams Faible für Fotografie und Kunst zum Tragen kommt. Auf Herbst 2012 ist eine Ausstellung zur «Schweizer Architektur im Spiegel der Fotografie» angekündigt; vorher bedient man lokales Interesse mit einer Schau über das erste, 1922 durch einen Brand zerstörte Goetheanum.
Man darf sich auf die Projekte freuen. Denn zuletzt waren es konzentrierte, unaufgeregte, sachdienliche Ausstellungen, die mit archäologischer Neugier und grosser Materialkenntnis den Dingen auf den Grund gingen. Doch im S AM wird heute mit feinerer Klinge zu Werke gegangen als zu den Zeiten, in denen das Museum bisweilen zur Arena wurde. So wurde für die aktuelle Ausstellung über das Bauen in Israel 1948-1973 die innere Fensterfront mit einem typischen israelischen Lamellensystem verkleidet. Eine subtile Intervention, die nicht allen auffällt, und doch den Inhalten einen stabilen Rahmen gibt. So wie die Arbeit hinter den Kulissen. Beides hinterlässt den Eindruck, dass das S AM tatsächlich bald den eigenen Ansprüchen genügen könnte: «die führende Institution für die Vermittlung von zeitgenössischer Architektur in der Schweiz» zu sein.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16/12/11