Ob als Rockmusiker auf der Bühne oder als Theaterregisseur im Off: Thom Luz weiss in beiden Kulturwelten zu begeistern.
Grosse Nebelschwaden, kleine Wölkchen und Rauchringe verwandeln den Bühnenhintergrund in eine poetisch skurrile Zauberwelt. Vorne verleihen drei Schauspielerinnen und zwei Musiker auf seltsamen Instrumenten der faszinierenden Szenerie wunderliche Töne. Das war im November 2012 auf der Kleinen Bühne des Theater Basel. Der junge Zürcher Regisseur Thom Luz inszenierte Goethes Briefroman «Die Leiden des jungen Werther». Rückwärts erzählt und ohne die Titelfigur. Die Inszenierung war eine der wenigen wirklich erfolgreichen Produktionen der Spielzeit 2012/13.
Szenenwechsel: Auf der Bühne steht eine Band, die mit ihrem höchst eigenständigen Sound – irgendwo im Indie-Bereich zwischen Noise Pop und Post Folk anzusiedeln – das Konzertpublikum sogleich einnimmt. Der Name der Zürcher Band, die einhellig als Ausnahmeerscheinung im Schweizer Pophimmel gefeiert wird, ist so geheimnisvoll hintersinnig wie ihr Sound: My Heart Belongs to Cecilia Winter. Das war im Oktober 2012 bei der Taufe ihrer zweiten CD «Midnight Midnight» im Zürcher Kaufleuten. Als Frontmann legte sich der Gitarrist und Sänger Thom Luz ins Zeug – ein Paradiesvogel im Federkleid und mit ganz schön viel Glitter im Gesicht.
Zwei verschiedene Welten
Beim Gesprächstermin im Basler Bahnhofbuffet präsentiert sich ein ganz anderer Thom Luz. Nichts deutet auf den Paradiesvogel von der Konzertbühne hin. Als Oberteil trägt das grosse schlanke Gegenüber einen schlichten roten Pullover, und seine Füsse stecken in Bergschuhen («wegen des schlechten Wetters»). Und beim kurzen Fototermin im De-Wette-Park sagt der 32-jährige Multikulturschaffende, der sich auf der Konzertbühne so gut im Posieren versteht, dass er sich eigentlich nicht so gerne fotografieren lasse.
Thom Luz vereinigt zwei Künstlerkarrieren: als Rockmusiker auf und als Theaterregisseur hinter der Bühne. Auf die Frage, ob er denn nun eher ein Theaterregisseur sei, der auch als Rockmusiker auftrete, oder ob das Umgekehrte, überlegt Luz lange, bis er antwortet: «Das sind zwei verschiedene Welten, ich gehe jeweils ganz anders an die Sachen ran.» Auf der Konzertbühne sei er voll und ganz Rockmusiker, als Regisseur halte er sich im Hintergrund. «Ich mache halt beides.»
Theatrale Musik, musikalische Regie
Aber ganz so verschieden sind die beiden Welten letztlich doch nicht. Seine Inszenierungen sind durchwirkt mit viel Musik, die mehr sein will als atmosphärischer Soundteppich, wie Luz betont. Und die Lieder seiner Band sind vertonte Minidramen, die phantastische Geschichten erzählen, die in der schattenhaften Welt zwischen Wachzustand und Traum angesiedelt sind: über ein Paar, das den Weltuntergang beobachtet, einen Junkie, der die Baumhütte seiner Kindheit besteigt, oder von Menschen, die sich in Tiere verwandeln.
Melancholische Zwischenwelten sind auch eine Konstante in Luz’ Inszenierungen, die sich oft mit Themen oder Stücken befassen, die den Tod und unerfüllte Sehnsüchte in sich tragen. «Tod und Melancholie tauchen in meinen Arbeiten tatsächlich immer wieder auf», bestätigt er den Eindruck. «Ich frage mich manchmal selber, warum dies so ist, es kommt einfach aus mir heraus», sagt er, um dann hinzuzufügen, dass es ihm im Theater und der Musik eher um die Erzeugung von Optimismus gehe, «durch Perspektivenwechsel und Verzauberung».
Das Schaffen von Traumwelten
Diese Kunst beherrscht Luz. Seinen Inszenierungen haftet keinerlei bleierne Schwermut an. Er verpackt die Inhalte in phantastische audiovisuelle Traumwelten, und er konstruiert ausgesprochen präzise zusammengesetzte Wimmelbilder voller überraschender Details und skurrilem Witz, die – und das ist das Faszinierende sowie Einnehmende an seinen Theaterarbeiten – die Zuschauerinnen und Zuschauer erst einmal ganz gehörig zum Staunen bringen.
«Ich habe bereits als Kind mit Nebelmaschinchen, Tonband und Glühbirnen experimentiert.»
Diese eigenwillige Art, Geschichten zu erzählen, scheint ihm in die Wiege gelegt worden zu sein. «Ich habe bereits als Kind mit Nebelmaschinchen, Tonband und Glühbirnen experimentiert», sagt Luz. Als Erwachsener fasziniert ihm am Theater nach wie vor die Möglichkeit eigene neue Welten zu kreieren. Es sind Welten, die dem Publikum Raum für eigene Assoziationen lassen, die sich aber – und darauf legt Luz grossen Wert – der inhaltlichen Verbindlichkeit nicht entziehen. «Ich trete meinen Stoffen jeweils mit einer klaren Haltung gegenüber», betont er.
Originär und eigenständig
Luz’ Theaterschaffen ist so originär und eigenständig, dass es sich nur schwer mit irgendwelchen theaterästhetischen Strömungen oder Vorbildern herleiten lässt. Zwar wurde er auch schon mit Christoph Marthaler verglichen, vermutlich weil beide Theaterleute einen Schweizer Pass besitzen und einen ausgesprochenen Sinn fürs Musikalische an den Tag legen. Ihm selber aber liegen nach eigenen Angaben Ruedi Häusermann, Robert Wilson oder John Cage näher).
Dasselbe gilt auch für die Musik von My Heart Belongs to Cecilia Winter. Hier ist der oft genannte Vergleich mit der kanadischen Indie-Rockband Arcade Fire zwar nicht fehl am Platz; wenn das Trio (neben Luz gehören Betty Fischer und Markus Gerber dazu) im Stück «Airplane Window» auf der neuen CD aber auf so ausgefallenen und altertümlich wirkenden Instrumente wie Celesta und Autoharp spielt, muss man auch diesen Vergleich beiseite schieben.
Erfolgreich unterwegs
Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser Eigenständigkeit jenseits des Mainstreams ist Thom Luz auf beiden Gebieten höchst erfolgreich unterwegs. Im Theater wird er seit einiger Zeit bereits als Star der freien Szene gefeiert. Mittlerweile ist er auch in Stadttheatern (bislang: Basel, Hannover, Mainz und Oldenburg) ein begehrter Regisseur. Und in der Musikszene hat sich nach dem Debütalbum «Our Love Will Cut Through Everything» aus dem Jahr 2010 «ein wahnsinniger Hype» um das Trio entwickelt, der Luz selber nicht ganz geheuer war: «Das ist letztlich nicht meine Welt, auch wenn es natürlich toll ist, wenn man beobachtet wird und in der Öffentlichkeit stattfindet», sagt er.
Führt man sich seine steile Künstlerkarriere vor Augen, dann erstaunt es ein wenig, dass er auf beiden Gebieten Autodidakt ist. Die Ursprünge seiner Band bezeichnet er lapidar als Zusammenschluss von drei guten Freunden, die auf Instrumenten zu spielen begannen, die sie eigentlich nicht richtig beherrschten. «Ich hatte als Kind mal Klavierunterricht, aber das Gitarrespielen musste ich mir selber beibringen», sagt er.
Bei seiner Theaterarbeit liegt die Sache etwas anders. Denn als ausgebildeter Schauspieler – «ich habe drei Jahre als Schauspieler gearbeitet und damit meine Ausbildung amortisiert» – war ihm die Theaterwelt nicht fremd, als er mit der Regiearbeit begann.
Erste Regiearbeit in Basel
Dieses geschah übrigens in Basel, genauer in der Kaserne Basel. Auf Anregung seines Basler Regisseur- und Schauspielerfreundes Christoph Moerikofer hat er 2007 beim Nachwuchsfestival Treibstoff das Theaterprojekt «Patience Camp» entwickelt, das danach prompt ans renommierte Festival Theaterformen in Hannover eingeladen wurde. Basel bezeichnet er deswegen, was seine Theaterarbeit angeht, als «zweite Heimat» – zumal auch das zweite Album seiner Band in Basel aufgenommen wurde.
Mit seinen freien Theaterprojekten ist er seit seinem Debüt regelmässig Gast in der Kaserne Basel – aktuell mit seiner jüngsten Produktion «When I Die» (siehe Kasten). Und in Basel hat er 2012 mit seiner «Werther»-Inszenierung auch bereits einen Fuss ins Stadttheater setzen können. Das Basler Publikum kann sich glücklich schätzen, dass diese Produktion nicht seine letzte war. Details kann er noch keine bekanntgeben, aber in der letzten Spielzeit unter der Schauspielleitung von Martin Wigger und Tomas Schweigen wird Thom Luz erneut am Theater Basel inszenieren.
Es begann mit dem Geist von Franz Liszt. Dieser suchte in den 1960er-Jahren die englische Witwe Rosemary Brown heim, um ihr einige Musikstücke zu diktieren. Offenbar sprach sich diese mystische Arbeitsbeziehung in der Geisterwelt herum, denn wenig später trat Johann Sebastian Bach mit der gleichen Bitte an sie heran, gefolgt von Johannes Brahms, Sergei Rachmaninoff, Edvard Grieg, Claude Debussy, Robert Schumann, John Lennon und Ludwig van Beethoven.
Rosemary Brown (1916–2001) hat wirklich gelebt. Und auch wenn ihre medialen Begegnungen auf einige Zweifel stiessen, erlangte sie dennoch einen gewissen Bekanntheitsgrad. Auf alle Fälle scheint diese Biografie, die sich um den Tod und Zwischenwelten dreht, wie geschaffen zu sein für den Theatermacher und Musiker Thom Luz, der sie zu einem Musiktheaterabend verarbeitet hat. Zusammen mit Musikern (unter anderem Mathias Weibel, der Luz oft als musikalischer Leiter zu Seite steht) sowie einer Schauspielerin und einem Schauspieler.
«When I Die» ist vom 30. Januar bis 1. Februar an drei Abenden in der Kaserne Basel zu erleben. Im Anschluss an die dritte Vorstellung findet zudem ein Publikumsgespräch statt – eine Gelegenheit, in einer Direktbegegnung mehr über den erfolgreichen Regisseur und Musiker zu erfahren.
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MY HEART BELONGS TO CECILIA WINTER // MIDNIGHT MIDNIGHT // Record-Release-Show, October 4, 2012, Kaufleuten, Zürich // from MHBTCW on Vimeo.