Parodie bis zum Abwinken

Mit dem Tanztheater «Parade» bohrt Fabian Chiquet die Frage ins Publikum, wofür wir uns eigentlich interessieren – frei nach dem Skandalklassiker von Cocteau, Satie und Picasso. Die Truppe treibt die Selbstparodie gekonnt auf die Spitze – bis wir alle ratlos sind.

(Bild: Gregor Brändli)

Mit dem Tanztheater «Parade» bohrt Fabian Chiquet die Frage ins Publikum, wofür wir uns eigentlich interessieren – frei nach dem Skandalklassiker von Cocteau, Satie und Picasso. Die Truppe treibt die Selbstparodie gekonnt auf die Spitze – bis wir alle ratlos sind.

Fabian Chiquets «Parade» in der Kaserne Basel: Trashig, selbstironisch, ausgefeilter Schauplatz für tausend Gadgets. Zum Beispiel T-Shirts mit leuchtender Laufschrift auf der Brust: «Etonne Moi», beeindrucke mich, gib mir Effekte! Wolverine-mässige Handschuhe, aus denen statt Messern Laserpointer aus den Knöcheln kommen, Tänzer wirbeln damit durch Nebelwolken. Weiter: Leuchtende Bälle, mit denen ein Akrobat jongliert, die Farbe wechselnd, blinkend. Macht Spass! So viel Liebe muss der Lichtdesigner Tobi Moosmann da rein gesteckt haben! Zugleich: What the Fuck? Mit elektronischem Spielkram (zugegeben: tollem Spielkram) wollt ihr uns ködern? In Szene gesetzt von Tänzern und Akrobaten (Jonas Furrer, Jonas Althaus), die über sich selber lachen? Während der Pop-Rock von «The Bianca Story» in unseren Ohren dröhnt?

Die Band «The Bianca Story», in der auch Fabian Chiquet spielt, ist zuverlässig am Wirbeln: Anfang diesen Jahres wurde an der Kaserne Basel die Pop-Oper «M & The Acid Monks» wiederaufgenommen, in der Chiquet mitkonzipierte und die Band die Musik lieferte. Zur selben Zeit erschien das jüngste Album «Coming Home».

Ganz genau, hier will uns Fabian Chiquet mit seiner Parodieshow haben. Ist ja nett, sollen wir uns fragen, aber was soll das? Die Selbstironie der Darbietung kulminiert in zwei Moderatoren (Victor Moser, Oliver Goetschel), die zwischen den Nummern Kommentare abschiessen: «Geil! Fett! Geht’s noch besser? Applaus!» Und dann tippeln sie wieder von der Bühne und machen Platz für den nächsten Trash-Act. Irgendwie sympathisch. Irgendwann auch seltsam. Nicht provokativ seltsam, sondern etwas langweilig.

Der Skandal von 1917

Doch das Stück kann mehr. Es ist ein Remake des gleichnamigen Ballets von 1917, zu dem sich die Pariser Avantgarde zusammenfand und einen Skandal provozierte. Lärmige Musik von Erik Satie, kubistisches Bühnenbild von Picasso – das war zu viel für das Publikum, das zugleich mit der Erfahrung des ersten Weltkriegs zurechtkommen musste. Jean Cocteau hatte das Projekt aufgegleist und ein Stück geschrieben, in dem Akrobaten auf offener Strasse proben um damit Publikum anzulocken – vergeblich.

Die Klassiker der Moderne kontrastierten dieses Ringen um Interesse, indem sie dem Publikum ästhetische Formen vor den Latz knallten, die es noch nie gesehen hatte. Der Skandal war perfekt und das Interesse – vom Rücken durch die Brust ins Auge – hochgradig vorhanden.

Provokation war gestern

Die Zeiten der Provokation sind endgültig vorbei. Kabarettisten, die Adolf Hitler auf die Bühne bringen, markieren die letzten Versuche. Das wissen Fabian Chiquet und seine Truppe und ersparen uns einen weiteren Anlauf. Das Ringen um Interesse sind sie damit nicht los, im Gegenteil. Ihre Antwort ist die Parodie auf die Interessetaktik, wie sie die Unterhaltungsindustrie auf uns abfeuert. Mehr, lauter, geiler. Müde verreckt sie bei Chiquet in übertriebenen Elektrogadgets.

Im eigentlichen Hauptteil des Abends wird die Entstehungsgeschichte von damals gespielt: Cocteau, Picasso und Satie machen sich den Hof oder die Hölle heiss, dazu die Dekadenz und Kapriolen der Pariser Kunstwelt. An sich schon eine völlig extravagante Situation, die Chiquet nochmals übertreibt. (Neben den Akteuren, die wir schon als Moderatoren kennen, spielt Natalina Muggli verschiedene Kunstdiven.)

All das ist recht witzig, ziemlich interessant und sehr seltsam. Einmal mehr: Was sollen wir davon halten? Vielleicht hat Chiquet mit dieser offenen Frage ja recht. Die Frage, was uns auf der Bühne interessiert, lässt sich eigentlich nur parodieren. Verstärken, verdichten, verhöhnen. Seine Band The bianca Story liefert den Sound dazu: Nicht provokant, einfach unbequem und daher passend. Alles zusammen: Ein Abgesang auf die Abwesenheit skandalöser Formen. Mit der Zeit wird man müde und verlässt nach der Vorstellung ratlos den Raum. Doch damit hat die Aktualisierung von «Parade» eher etwas gezeigt als verfehlt.

  • 22. bis 24. Oktober, je 19:30 Uhr. Kaserne Basel, Klybeckstrasse 1b.

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