Der schwedische Choreograf Johan Inger inszeniert am Theater Basel «Peer Gynt» als ein Stück persönlicher Biografie. Heiter und traurig zugleich ist die Uraufführung ein grosser Wurf geworden.
Am Ende findet Peer Gynt, der nordische Träumer und Unruhegeist, Erlösung. Durch Solveig, die ein Leben lang auf ihn gewartet hat. Beim Choreografen Johan Inger ist die Figur mehr als eine Frau aus Fleisch und Blut. Wenn Solveigs Wiegenlied am Ende sehnsuchtsvoll durch den Raum hallt (gesungen von Ye Eun Choi) und Peer seinen inzwischen ergrauten Kopf in ihren Schoss legt, hat er endlich die Liebe in sich selber gefunden. Er ist in seiner inneren Heimat angekommen.
Das von Henrik Ibsen verfasste dramatische Gedicht «Peer Gynt» wurde 1876 mit Edvard Griegs berühmter Musik uraufgeführt. Seither haben gerade auch Choreografen den auf einem norwegischen Feenmärchen basierenden Stoff immer wieder aufgenommen. 2003 war es Richard Wherlock, der künstlerische Leiter des Ballett Basel. Jetzt hat dieser den renommierten Schweden Johan Inger eingeladen, mit dem Basler Ensemble das Werk neu zu interpretieren.
Ingers Peer Gynt ist weniger der fantastische Draufgänger, sondern vielmehr ein charmanter «Womanizer».
Es ist ein glücklicher Entscheid, auch deshalb, weil Inger die Tänzerinnen und Tänzer aus früheren Arbeiten bereits gut kennt. Sein Peer Gynt ist weniger der fantastische Draufgänger, der sich heillos in seiner wirklichkeitsfernen Parallelwelt verstrickt, sondern vielmehr ein charmanter «Womanizer». Aber nicht weniger rücksichtslos und egoistisch als der Held der Originalgeschichte.
Vor allem aber ist Peer ein Tänzer, und seine Entwicklungsgeschichte folgt mehr oder weniger den Karrierelinien des Choreografen, der in diesem Jahr fünfzig wird. Ein Alter, in dem man gewöhnlich auf Erreichtes zurückzublicken beginnt, und sich die Frage nach dem «Wie weiter?» stellt.
Ein Zitat des Starchoreografen
Inger lässt in der Anfangsszene, an der Hochzeit Ingrids, die jungen Frauen die Volkstänze auf Spitze tanzen. Die Kostüme sind ganz im Stil des traditionellen klassischen Ballettgenres gehalten, bunt stilisiert und in einer forciert fröhlichen Stimmung. Ein Anachronismus, der eben auch den tanzbegeisterten Peer langweilt und ihn die Flucht aus seinem Dorf planen lässt.
Wenn unser Held anschliessend in die befreiende, aber auch beunruhigende Trollwelt gerät, verschlägt es ihn tatsächlich ins Umfeld der innovativen Tanzszene, konkret in ein getanztes Zitat des Starchoreografen Mats Ek. Für Inger war Eks Stück «Gamla Barn» von 1989 eine Art Erweckungserlebnis. Mats Ek erlaubte ihm, eine Sequenz daraus mit den Originalkostümen von damals in seine aktuelle Inszenierung einzubauen. Das ist grossartig getanzt und macht szenisch Sinn. Zwischen dem Trollkönig alias Mats Ek, der Grünen alias Tänzerkollegin sowie Geliebten und Peer wird ein faustischer Bund geschlossen.
Für die vielen und schnellen Szenewechsel hat Curt Allen Wilmer ein kongeniales Bühnenbild konstruiert. Rechts und links können wie Erinnerungsfenster im Kopf Fächer herausgezogen und wieder geschlossen werden. In Sekundenschnelle entstehen eine norwegische Dorfidylle oder die Ambiance eines ausgelassenen Künstlerfests irgendwo in Spanien. Ursprungsgeschichte des Peer Gynt und Tänzerbiografie gehen stimmig ineinander über. Da holpert nichts.
Herausragende Titelfigur
In der Titelfigur brilliert der isländische Tänzer Frank Fannar Pedersen: Vom Muttersöhnchen, Frauenschwarm, Erfolgsmenschen bis hin zu Eifersuchts- und Wutausbrüchen beherrscht er glaubwürdig die ganze Gefühlspalette seines zwiespältigen Helden. Sein Verzweiflungsschrei geht durch Mark und Bein.
Bei Inger ist «der Krumme» kein mythologisches Wesen, also kein Troll, sondern die innere Stimme Peers. Sie stellt sich dem ungestümen jungen Peer als würdevoller, älterer Herr im Anzug in die Quere und drängt ihn in die Ecke. Umwerfend choreografiert und getanzt ist das letzte Duell zwischen Peer und seinem Alter Ego (Armando Braswell).
Neben düsteren Momenten in diesem existenzialistischen Märchen bricht immer wieder der Humor des Choreografen durch. Aase, Peers Mutter, wird durch den Tänzer Sergio Bustinduy eine robuste Körperlichkeit verliehen. Mit dem Teppichklopfer setzt sie kreischend ihrem verwegenen Sohn nach.
Ein Abend zum Niederknien
Später, als Peer bereits den tänzerischen Olymp erreicht hat und ein erfolgreicher Ballettdirektor geworden ist, drängen sich die jungen Frauen an seinen Auditions. Dass zwei der Kandidatinnen bei ihrem Vortanzen eine Karikatur bestimmter Tänzermentalitäten abgeben, ist von Inger bewusst gesetzt, ein weiteres stilistisches Ausdrucksmittel, und ein Gaudi fürs Publikum.
Inger zaubert starke Stimmungen auf die Bühne, heitere wie abgründige. Ein anderer, betörender Zauberer an diesem Abend war die Musik, und mit ihr das Sinfonieorchester Basel sowie der Chor des Theater Basel unter dem Dirigenten Thomas Herzog. Kraftvoll und innig floss die Musik; neben dem Opus «Peer Gynt» mehrheitlich mit anderen Werken Edvard Griegs angereichert.
Man möchte mit Richard Wherlock, der zum Schlussapplaus kurz auf die Bühne kam, niederknien: vor diesem Abend, vor allen Beteiligten.
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Theater Basel: «Peer Gynt», ein Ballettabend von Johan Inger. Die weiteren Vorstellungen: 20., 24., 25. und 28. Mai sowie im Juni.