Marina Abramović hat einen Prototyp ihres geplanten Instituts ins Museum Tinguely geschickt. Hinein kommt nur, wer einen Vertrag unterzeichnet, dass er den zweistündigen Parcours nicht abbricht. Wofür braucht sie diese Zeit? Um den Körper des Besuchers ins Zentrum der Kunst zu stellen.
Ein bisschen Orient am Rhein: Die serbische Künstlerin Marina Abramović hat im Rahmen der Ausstellung «Metamatic Reloaded» sieben Zelte im Solitude-Park aufgestellt, der das Museum Tinguely umgibt. Um Zutritt zum abgeschotteten Ort zu erlangen, müssen wir Mantel und Schuhe ablegen und alle elektronischen Geräte wie Handy oder Herzschrittmacher. Das eine aus Ablenkungsgründen, das andere, weil uns monströse elektrische Geräte erwarten. Wer sich von diesen Gegenständen nicht trennen kann, muss hier bereits umkehren. Dann geben wir unser schriftliches Ehrenwort, zwei Stunden in Abramovićs Zelten zu verbringen und den Besuch nicht zu unterbrechen. Aufs Mal können nur zwei oder vier Personen den Parcours antreten, man musste sich im Vorfeld anmelden.
Das Ehrenwort findet seine Entsprechung im Outfit des Personals, das uns liebevoll betreut: Weisse Forscherkittel mit dem roten Schriftzug «MAI» auf der Brust, Marina Abramović Institute – dieses Zelt ist kein Kunstraum, sondern ein Institut. Come in or stay out, heisst die Devise, doch wer reinkommt, muss sich den geltenden Regeln unterwerfen. Das ist insgeheim in jedem Kunstraum der Fall. Hier wird es explizit.
Was hat sie mit uns vor?
Man stimmt also zu, Frau Abramović seinen Körper und seinen Geist für zwei Stunden zur Verfügung zu stellen. Und dann wird einem klar, dass die Künstlerin bei dieser Performance selbst gar nicht anwesend ist. The artist is not present. Wir kennen sie aus Performances, in denen sie sich nicht gerade schont. Was wird sie nun mit uns tun? Uns die Kleider vom Leib schneiden?
Mitnichten. Doch sie nutzt das Abkommen, um uns jede Bewegung vorzuschreiben. Setz dich hin und massier deine Augen. Leg ich dich hin und lass die Gedanken kommen und gehen. Man trinkt Wasser, in dem heilende Kristalle liegen und schaut, das ist der Höhepunkt, einem der Mitstreiter eine halbe Stunde lang unverwandt in die Augen. Vieles davon kennt man aus der fernöstlichen Spiritualität, vom Yoga, aus der Meditation. Abramović will nichts anderes als das. Der Besucher soll sich für die vereinbarte Zeit aus dem Wahrnehmungsstrom des Alltags nehmen und seine Achtsamkeit auf seinen Körper und seinen Geist richten. Das ist nichts Neues. Aber Abramović holt diese Übungen in den Raum der Kunst und das ist brisant. Nicht mehr das Kunstwerk steht im Zentrum, sondern der Besucher, der dadurch, dass er sich im Kunstraum aufhält, im Körper etwas erlebt. Das Kunstwerk fängt überhaupt erst an, wenn der Besucher in den Raum kommt.
Alles nur Vorbereitung
Die Situation, vor einem Kunstwerk zu stehen und sich zu fragen, ob man etwas davon halten will, wird damit obsolet. Natürlich gibt es herkömmliche Werke, die diese Unbestimmtheit des Besuchers nicht zulassen. Doch aus Gründen, die häufig mit Reizüberflutung beschrieben werden, ist Abramovićs Ansatz, den Besucher körperlich einzubinden, eine Wonne. Er holt die Kunst unglaublich erfrischend auf den Boden. Niemand verlässt dieses Zelt ohne Erlebnis.
Mit ihrer mobilen Übungsanlage hat Abramović nur den Prototyp ihres Instituts nach Basel geschickt, das 2015 in Hudson nahe New York eröffnet werden soll. Dort verpflichtet man sich nicht auf zwei Stunden, sondern auf sechs. Und Abramovićs Übungsparcours ist nur der Warmlauf, um anschliessend andere Performances zu verfolgen, Tanzaufführungen, oder wissenschaftliche Vorträge. Wie sich die Grande Dame das vorstellt, schaut man am besten im folgenden Video. Sollte es ihr auch dort gelingen, Kunst vom Körper des Besuchers her zu denken, sollte man sein Ticket nach Übersee bald buchen.
- «Metamatic Reloaded»: Vernissage am 22.10.2013, 18:30. Bis 26. Januar 2014. Museum Tinguely, Paul Sacher-Anlage 2, Basel.
- Zur Onlineanmeldung für den MAI-Prototyp geht es hier.