Pferdenamen, in Marmor gemeisselt

Früher ein Parkplatz, heute eine kleine Ruhe-Oase und ein Ort mit verborgenen Geschichten: Hannes Vogel hat 1987 den Rosshof-Hof neu gestaltet und die Vergangenheit des Platzes mit hineingelegt.

Früher ein Parkplatz, heute eine kleine Ruhe-Oase und ein Ort mit verborgenen Geschichten: Hannes Vogel hat 1987 den Rosshof-Hof neu gestaltet und die Vergangenheit des Platzes mit hineingelegt.

Begibt man sich vom Petersplatz Richtung Spalenberg, führt der kürzeste Weg über den Rosshof. Das Kunstwerk, welches Hannes Vogel vor fast dreissig Jahren hier geschaffen hat, befindet sich nicht am Wegrand, sondern im Zentrum des Areals: Grosse weisse Marmorbänder mit eingelegten Bronzebuchstaben, die zwischen den grünlichen Pflastersteinen eingebettet sind, ziehen sich in regelmässigen Abständen über den ganzen Platz.

Wie Wellenbewegungen, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft, beginnen sie beim Seminargebäude an der Rosshofgasse und breiten sich zum Petersgraben hin aus. Sie sollen den Platz fliessen lassen und das unterschiedliche Gefälle optisch ausgleichen.

Beim näheren Hinsehen lesen wir Wörter wie «HRIMFAXI», «SCHARAP» oder «RAKHSH», die zunächst keinen wirklichen Sinn ergeben. Doch wenn wir uns vergegenwärtigen, wo wir uns befinden, so liegt die Lösung auf der Hand – Pferdenamen!

Eisenbeschlagenes

Die Ursprünge des Rosshofs sind nicht eindeutig geklärt, der heutige Name tauchte 1720 zum ersten Mal auf. Etwas später wurde hier Metall verarbeitet, welches aus dem Elsass stammte. Hannes Vogel schreibt dazu: «Der Hof ist städtisch, ist hart. Die nähere Bestimmung war Ross, Rad, Huf und Kufe, war Eisenbeschlagenes». Im 18. und 19. Jahrhundert befanden sich Stallungen auf dem Gelände – möglicherweise stellten Händler und Reisende, die durch das nahe Spalentor vom Land her kamen, hier ihre Pferde und Wagen unter.

Über die Jahre hinweg veränderte sich der Ort, behielt aber eine ähnliche Bestimmung wie damals: Vor der Umgestaltung diente der Rosshof als Parkplatz. Das Zürcher Architekturbüro Naef, Studer + Studer entwarf den postmodernen Gebäudekomplex, in dem heute die Altertumswissenschaften der Universität und Wohnungen untergebracht sind.

Als Hannes Vogel vom damaligen Kantonsbaumeister Carl Fingerhuth den Auftrag für die künstlerische Gestaltung des Rosshof-Hofs erhielt, war für ihn von Anfang an klar, dass er hier kein Pferdedenkmal aufstellen würde. Etwas anderes schwebte ihm vor: «diese Aura von Ross-Mythos, von Traumross, Rosszucht, Ross-Rasse bis hin zum Gebrauchsross» – nur die «Idee» wollte er umsetzen, ein abstraktes Memorial.

Pferdegeschichte

Mit Hilfe von Freunden und Bekannten begann er in der Literatur nach bedeutenden Pferden zu forschen, deren Namen er auf dem Platz verewigen wollte: BUCEPHALUS, das Streitross Alexander des Grossen, Winnetous ILTSCHI, Don Quichotes ROSINANTE – die Bandbreite reicht von Mythologie und Märchen über Romane und Erzählungen aus der Weltliteratur bis hin zu Zeitungsartikeln, Comics und Kinderbüchern.

Wir treffen auf die Stuten-Göttin EPONA, welche von den gallischen Kelten verehrt wurde, FALADA, das Pferd der Königstochter aus dem Märchen «Die Gänsemagd» der Brüder Grimm, LEINWANDMESSER aus der gleichnamigen Erzählung von Leo Tolstoj, das unschlagbare Rennpferd ECLIPSE, das während einer Sonnenfinsternis geboren wurde, JOLLY JUMPER aus dem Comic-Klassiker «Lucky Luke» oder das Grubenpferd TOBIAS, das nach zwölf Jahren harter Arbeit in einem Bergwerk schliesslich in den Ruhestand gehen durfte.

Der 1938 in Chur geborene Hannes Vogel wohnte lange in Village-Neuf nahe bei Basel und lebt heute mit seiner Frau Petruschka Vogel – mit der er seit 1989 auch in künstlerischer Zusammenarbeit verbunden ist – in Mathon, Graubünden.

Viele fiktive und reale Pferdeschicksale hat der Künstler zusammengetragen, um den Rössern ein geistiges Denkmal zu setzen. Mit der Zeit sind in den Fugen zwischen den Steinen kleine Moospolster und fragile Pflänzchen gewachsen, was die poetische Ausdruckskraft des Kunstwerks noch unterstreicht. Um den Bezug zu den literarischen Quellen zu schaffen, sind an der nördlichen Mauer (beim Eingang Petersgraben) kleine Tafeln mit den Pferdenamen, den Autoren und den Titeln ihrer Werke angebracht. Im Buch «Der Rosshof-Hof» (antiquarisch greifbar) gibt es zu jedem Pferd eine Doppelseite als Leseprobe – wer also noch auf der Suche nach einer passenden Ferienlektüre ist, kann auf diese Weise vielleicht etwas finden …

Alle in der Serie «Kunst am Wegrand» erschienenen Artikel finden Sie auf der Themen-Seite Kunst am Wegrand.

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