Plötzlich dieser Überblick

Das Schaulager hatte ein Problem, das wohl viele gerne hätten: Aus über 1000 Werken mussten rund 300 ausgewählt werden für die Ausstellung «Future Present», die einen Überblick bietet über die Sammlung der hauseigenen Emanuel Hoffmann Stiftung. Die Lösung des Problems lässt sich mehr als nur sehen.

The artwork "Maja" (Maja Sacher-Stehlin, 1980) by American artist Andy Warhol, is on display in the Schaulager in Muenchenstein, Switzerland, on Thursday, June 11, 2015. The exhibition "Future Present" presents works from the collection of the Emanuel Hoffmann Foundation and lasts until January 31, 2016. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

(Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Das Schaulager hatte ein Problem, das wohl viele gerne hätten: Aus über 1000 Werken mussten rund 300 ausgewählt werden für die Ausstellung «Future Present», die einen Überblick bietet über die Sammlung der hauseigenen Emanuel Hoffmann Stiftung. Die Lösung des Problems lässt sich mehr als nur sehen.

Gross waren mancherorts die Klagen, als bekannt wurde, dass das Kunstmuseum Basel 14 Monate lang seine Türen schliesst. Was denn dann mit der Kunst geschehe, fragten sich einige. Dann reiste ein Teil der Kunst nach Madrid, ein anderer ins Museum für Gegenwartskunst, und ein dritter Teil ins Museum der Kulturen. Und spätestens mit der Ausstellung «Future Present» im Schaulager zeigen sich nun definitiv die Chancen der temporären Schliessung. Denn diese Überblicksschau über die Bestände der Emanuel Hoffmann Stiftung wäre unter normalen Umständen niemals möglich geworden.

Rund 300 Sammlungswerke kann man im Schaulager jetzt für ein halbes Jahr sehen, in einer nie dagewesenen Dichte. Über 1000 Werke umfasst die Sammlung insgesamt, und die Auswahl, welche davon man zeigen will, ist nicht leicht gefallen, gibt Stiftungspräsidentin Maja Oeri zu. Es sei «sozusagen ein Heimspiel», sagte sie bei der Ausstellungseröffnung vor den Medien. Das ist es, in der Tat.



Heute und damals: Stiftungspräsidentin Maja Oeri vor dem Andy Warhol-Porträt ihrer Grossmutter und Stiftungsgründerin Maja Sacher.

Heute und damals: Stiftungspräsidentin Maja Oeri vor dem Andy Warhol-Porträt ihrer Grossmutter und Stiftungsgründerin Maja Sacher. (Bild: Karen N. Gerig)

Hier, an der Peripherie zu Basel, wo die Werke der Emanuel Hoffmann Stiftung im Herzog & de Meuron-Bau ihre Heimat haben, wo sie sonst gepflegt, gelagert und der Forschung zugänglich gemacht werden, werden sie nun für einmal dem Publikum präsentiert. Selbst die Forschungsräume in den oberen Stockwerken werden mit einbezogen – grosse Räume, in denen man sich nun zum Beispiel endlich wieder einmal die Fischli/Weiss-Serie «Plötzlich diese Übersicht» ausgiebig ansehen kann oder Bill Violas fünfteilige Videoinstallation «Five Angels for the Millennium».

Im Erdgeschoss ist die Ausstellung anfänglich noch chronologisch aufgebaut, beginnend mit dem Porträt der kleinen Vera Hoffmann von Edgard Tytgat. Es sind die ersten Bilder, die Eingang fanden in die Sammlung, am Anfang der 1930er-Jahre gekauft von Maja Hoffmann-Stehlin (später Maja Sacher-Stehlin) und ihrem Ehemann Emanuel Hoffmann. Nach dessen Tod 1933 – er starb im Alter von nur 36 Jahren an den Folgen eines Autounfalls – gründete Maja Hoffmann im Andenken an ihn die Stiftung, die Kunstwerke ankaufen sollte, die sich «neuer, in die Zukunft weisender, von der jeweiligen Gegenwart noch nicht allgemein verstandener Ausdrucksmittel bedienen». So der Stiftungszweck.



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Salvador Dalís «Brennende Giraffe» – eines der berühmtesten Werke aus der Sammlung. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Hatte das Ehepaar zuerst noch hauptsächlich expressionistische Werke erworben, so kamen bald abstrakte hinzu und auch surrealistische. Gleich um die Ecke im Schaulager hängen sie dann auch, die Gemälde, die man aus der ehemaligen Dauerausstellung im Kunstmuseum kennt: Salvador Dalís «Brennende Giraffe», Max Ernsts «L’Élue du mal» oder Paul Klees «Polyphonie». Und Piet Mondrian, der es der Stiftungsgründerin besonders angetan hatte.

Man kann mit den Namedropping weitermachen, denn das Erdgeschoss liest sich wie ein Abriss aus der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts – wenn auch mit sehr persönlicher Prägung: Jean Tinguely, Dieter Roth, Richard Tuttle, Alexander Calder, Joseph Beuys.

Bruce Nauman, John Baldessari, Richard Artschwager und schliesslich ein wunderbarer Raum mit Arbeiten der «Jungen Wilden» – Rainer Fetting oder Francesco Clemente.

On Kawara, Rémy Zaugg und ganz am Schluss des Rundganges Fischli/Weiss‘ «Tisch».



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Garantiert selbstgemacht: Peter Fischli und David Weiss‘ «Tisch» – ein wunderbares Sammelsurium. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

 

Je weiter man die in Ausstellung vordringt, vor allem im Untergeschoss dann, wird die Auswahl punktueller. Der Hauptgrund dafür: Kleinere Bildformate weichen grossen Formaten und raumfüllenden Installationen.

Im Vorraum schon hängen Fotografien von Jeff Wall in ihren Leuchtkästen, und in den beiden Nebenräumen finden sich die dauerinstallierten Werke von Katharina Fritsch und Robert Gober. Von beiden sind noch weitere Werke zu sehen, zum Beispiel Fritschs «St. Katharina und 2. Foto (Efeu)».

Die restlichen Räume sind fast ausschliesslich monografisch gehalten: Von Cindy Sherman, Thomas Ruff, Thomas Demand und Elizabeth Peyton sind ganze Werkgruppen zu sehen, die einen guten Einblick in ihr Schaffen zeigen. Videoinstallationen von David Claerbout, Anri Sala und Fiona Tan komplettieren das Untergeschoss.

Hoch hinaus

Für einmal ist damit aber noch nicht alles gesehen. Denn das Schaulager verfügt noch über weitere Stockwerke, die normalerweise nur auf Anmeldung zu besuchen sind. Dort sind Werke der Emanuel Hoffmann Stiftung dauerhaft eingerichtet, damit sie zu Forschungszwecken besichtigt werden können. Und dorthin dürfen nun auch die Besucher und Besucherinnen der Ausstellung.

Nur schon die raumfüllende Installation aus kleinen Tonfiguren von Fischli/Weiss lohnt die Liftfahrt ins dritte Obergeschoss. Ob Cervelat, Fussballfeld oder kleine Selbstporträts der Künstler, in dieser «Übersicht» kann man sich so richtig verlieren. Auch Matthew Barney hat hier einen Raum – schliesslich wollen die Filme des «Cremaster Cycle» angemessen präsentiert sein.



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Einmal Matthew Barney komplett, bitte! (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Ebenfalls wieder einmal schön zu sehen ist die Installation «Mutter und Sohn. Das Album meiner Mutter» von Ilya Kabakov, an deren Eingang man eine Taschenlampe erhält, mit der man im eigenen Rhythmus die vielen Fotos und Textschnipsel erkunden kann, die von der Mutter des Künstlers erzählen.

Ansonsten sind es vor allem Videoionstallationen, die für die Betrachtung ihre Zeit brauchen – von Jane & Louise Wilson, Mark Wallinger, Steve McQueen oder Gary Hill. Man schafft all dies kaum an einem einzigen Tag, weshalb das Schaulager auch beschlossen hat, nicht alle oberen Stockwerke immer zu öffnen. Wann welche Werke zu sehen sind, darüber kann man sich täglich an der Kasse informieren.

Mut zur Lücke

Doch auch wenn man nicht alles sehen kann, ist diese Ausstellung für Fans von Gegenwartskunst ein Muss und Genuss. Sie zeigt Strömungen eines ganzen Kunstjahrhunderts auf, und durch die konsequente Stiftungspolitik, die persönliche Schwerpunkte an ein Ziel bindet, ergibt sich ein nachvollziehbarer roter Faden, der von einem Werk zum anderen führt. Sie zeigt eine Sammlung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern den Mut hat zu filtern und auszulassen.

Im kommenden Frühling werden einige der hier gezeigten Werke wieder ins Kunstmuseum wandern, höchstwahrscheinlich in den Erweiterungsbau. Dort, wo sie eng verknüpft sind mit der Öffentlichen Kunstsammlung, werden sich die Besucher wohl nicht mehr dafür interessieren, welches Werk welcher Sammlung zugehörig ist. Deshalb sollte man diese Chance nutzen, um den Kontext der Sammlung hier zu sehen. Und sich bewusst zu machen, welch unschätzbaren Wert diese private Kollektion für das Kunstmuseum darstellt.

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«Future Present», Schaulager, 13. Juni 2015 bis 31. Januar 2016.
Zur Ausstellung ist ein 770-seitiger und 3 Kilogramm schwerer Sammlungskatalog erschienen, der die über 1000 Werke teils vertieft vorstellt. Gehört in jedes Bücherregal.

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