Präzis wie Uhrwerke: Schweizer Drummer sind Exportschlager

Von Breakbeats bis Bad Seeds: Schweizer Schlagzeuger wie Jojo Mayer, Swiss Chris, Thomas Wydler oder Roman Roth sind im Ausland erfolgreich. Dank ihrer Präzision, die an die Qualität der hiesigen Uhrwerke erinnert.

Wirbelt einhändig mit zwei Fingern: Jojo Mayer.

(Bild: Besim Neziri)

Von Breakbeats bis Bad Seeds: Schweizer Schlagzeuger wie Jojo Mayer, Swiss Chris, Thomas Wydler oder Roman Roth sind im Ausland erfolgreich. Dank ihrer Präzision, die an die Qualität der hiesigen Uhrwerke erinnert.

Zur vermeintlich letzten Party wollte der Hinterhof Club nochmals eine Beat-Orgie starten. Als Headliner buchte das Team keinen internationalen Top-DJ der elektronischen Tanzkultur, sondern Nerve, die Band des Schweizer Schlagzeugstars Jojo Mayer. Denn kein Computer klopft komplexe Rhythmen überzeugender als die Man-Machine.


Bei Nerve ist der Schlagzeuger zugleich Bandleader, doch auch andere grosse Namen wie Nick Cave, Snoop Dogg und John Legend setzen auf Schweizer Taktgeber – mit Roman Roth bei Simply Red auch auf einen aus der Region. Warum sind die helvetischen Drummer so gefragt?

Die Spurensuche führt zurück ins Mittelalter. Denn das Martialische steckt nicht nur im Namen Schlagzeug: Tatsächlich fanden die ersten international erfolgreich trommelnden Eidgenossen ihre Gefolgschaft auf den Schlachtfeldern von Morgarten bis Marignano.
 Den Ruhm der heutigen Schweizer Export-Schlagzeuger kann man zwar schlecht mit Reisläufer-Geschichten erklären, der Krieg ist dennoch ein Grund dafür: «Wo findet man schon so viele schalldichte Proberäume wie in den Luftschutzkellern schweizerischer Mittelstandshäuser?», resümiert Swiss Chris, dessen Übungskeller sich heute in Brooklyn befindet.

Swiss Chris: Pausen als Markenzeichen

Wie übel übende Nachwuchstrommler die Nachbarn nerven, weiss der Schweizer Super-Groover. Einst marschierte der kleine Christoph Flueck, wie Swiss Chris bürgerlich heisst, im solothurnischen Neuendorf bei Wind und Hochnebel mit seiner Ordonnanz-Trommel durchs Gäu. «Ein paar alte Frauen beschenkten mich mit Schokolade, aber die meisten Neuendorfer wünschten mich wohl eher ins Pfefferland.»

Seinen Übernamen verpasste ihm die New Yorker Szene, wo er den vielen Namensvettern wegen Swiss Chris gerufen wurde. Bis zu vier Gigs spielte er täglich, als er nach dem Abschluss am Berklee College of Music im Big Apple Fuss fasste. «Jazz-Engagements bekam man Mitte der 90er-Jahre keine. Darum spielte ich viel in der Poetry Scene und setzte auf die Mute-Technik des Hip-Hop, wodurch die Reime der Poeten wie Raps klangen. Das würde auch bei Franz Hohler funktionieren». Pausen bezeichnet er denn auch – seinem kraftvoll virtuosen Spiel zum Trotz – als seine Markenzeichen.

Swiss Chris entwickelte sich seinerzeit mit der boomenden Hip-Hop-Szene und erlebte als Drummer der legendären Lyricist Lounge die ersten, noch wenig bejubelten Open-Mic-Auftritte von Jay-Z und Eminem. Heute ist sein Palmarès beeindruckend: Er spielte für Hip-Hop-Giganten wie Kanye West, Chuck D oder Snoop Dogg. Dennoch bleibt er bescheiden: «Konkurrenzdenken ist mir fremd. Einen Besseren gibt es immer, und das ist gut. So bleibe ich lebenslang ein Lernender.»

Swiss Chris, Drummer.

Selbstbewusst widerspricht er dagegen den gängigen Musikerwitzen, die dem Schlagzeuger in einer Band – spätestens seit Ringo Starr – den Clownpart zuweisen. «It’s all about the drummer», sagt Swiss Chris über seinen musikalischen Platz in der Band. Das Schlagzeug nennt er gar das kreativ anspruchsvollste Instrument, weil jeder Drummer sein Set individuell zusammenstelle. Ausserdem wird die Rhythmik in der heutigen Musik immer entscheidender. Das erkannte auch John Legend, der Swiss Chris als musikalischen Direktor engagierte. «Wie der Goalie in einem Fussballteam darf sich auch ein Schlagzeuger keine Fehler erlauben, sonst fällt alles auseinander. Er hat den verantwortungsvollsten Posten in einer Band. Er ist das Rückgrat.»

Roman Roth: Mit Simply Red auf Welttournee

«Zuverlässigkeit», nennt auch Roman Roth aus Möhlin als die Eigenschaft, die ihn auf den Schlagzeugsessel bei der britischen Soulpop-Band Simply Red hievte. Zuverlässigkeit nicht nur, was den Takt angeht. «Wenn man eine Session hat, pünktlich erscheint und dabei auch noch gut vorbereitet ist – dann fällt man auf. Ich glaube, meine gutschweizerischen Eigenschaften haben mir da geholfen.»

Es brauchte natürlich auch Talent, Wille sowie Risikobereitschaft für eine solche Karriere. Und grosses Glück: Denn der dominante Bandleader und fanatische Manchester-United-Fan Mick Hucknall musste mitansehen, wie sein geliebter Verein am 7. November 2011 gegen den FC Basel verlor. An seiner Seite: Ausgerechnet der FCB-Fan Roman Roth. Das ganze Drama mit Happy End haben wir im vergangenen Jahr in der Tageswoche beschrieben.

«Nur Idioten missbrauchen Drummer als Timekeeper.»

Thomas Wydler

Ein Klischee benutzte auch der Australier Nick Cave, gefragt nach der Schlagqualität seines Drummers. Als «Schweizer Uhrwerk» bezeichnete der Songwriter den Zürcher Thomas Wydler. Wobei der Gelobte selbst präzisiert: «Cave sagte ja in Anlehnung an Orson Welles: ‹eine Schweizer Kuckucksuhr›. Damit suggeriert er unterschwellig, dass die Schweizer nicht mal ihren bekanntesten Kulturexport wirklich selbst erfunden haben.»



Nicht nur sprachlich legt Wydler Wert auf feine Zwischentöne. Verglichen mit Caves anderem Drummer, Grinderman-Keulenschwinger Jim Sclavunos, ist Wydler ein nuancierter Besenwischer. Mit gut 30 Bandjahren ist er nach den Abgängen von Blixa Bargeld und Mick Harvey der dienstälteste Bad Seed. Auf der letzten «Push The Sky Away»-Tour spielte an seiner Stelle aber Sclavunos. Wydler: «Ich hatte einen Monat vor Tourstart gesundheitliche Probleme und so sprang Jim ein.» Aber wäre ein Drummer nicht schnell wieder einwechselbar? «Nein», sagt Wydler, «das wäre doof. Man müsste die ganze Setdynamik umarrangieren. Nur Idioten missbrauchen Drummer als Timekeeper.»

Wydler selbst kommt aus dem Jazz. Als er Anfang der 80er-Jahre aus dem stieren Zürich nach Berlin zog, traf er in der New-Wave-Szene auf offene Geister, unter anderem Blixa Bargeld und Nick Cave. «Als Schweizer genoss ich sicher einen Exoten-Bonus. Heute müsste ich mein Glück als junger Musiker aber nicht unbedingt in Berlin suchen. In Zürich läuft einiges.»

«Der Groove in New York ist für mich noch immer der beste.»

Jojo Mayer

Der Wahl-New-Yorker Jojo Mayer kommt dagegen weiterhin nur für Gastspiele in seine Heimat, wie er 2012 der TagesWoche erklärte. «Die Schweiz hat eine gute Infrastruktur, was ich sehr schätze. Aber der Groove in New York ist für mich noch immer der beste. Der Swing kommt dort aus dem Wasserhahn, hier nicht.»


Mayer ist derjenige unter den international erfolgreichen Schweizer Schlagzeugern, der einen ganzen Stil prägte. Kommerziell sind die anderen vielleicht erfolgreicher, doch sein Konterfei ziert auch Fachmagazine. Sein Spiel muss man live sehen, denn Ohren allein reichen kaum, um die Faszination seines virtuosen Beat-Spektakels zu erfassen.

Selbst Swiss Chris, der andere eidgenössische Überdrummer in New York, ist voller Bewunderung für Jojo Mayer: «Er war für mich ein Vorbild, und ich staune noch heute über die Technik und sein innovatives Spiel. Als in Bern Geborener spiele ich jedoch lieber halb so schnell wie dieser Zürcher!»

Müsste Mayer zu einem Duell um den Schlagzeug-Thron antreten, wie der legendäre Virtuose Buddy Rich in den 1970ern gegen die Muppet-Puppe The Animal, so wäre sein zeitgemässer Gegner ein Computer.


Denn Autodidakt Mayer drummte zwar für Jazz-Grössen wie Dizzie Gillespie oder Nina Simone und versuchte sich auch am Rock. Richtig den Kopf verdrehten ihm jedoch 190-BPM-Eskapaden mit halsbrecherischen Drum-and-Bass-Beats. 
Dafür reichten die bekannten Techniken nicht. Jojo, der wie schon Pierre Favre und Fredy Studer, die Grandseigneurs der Schweizer Jazz-Drummer, das Schlagzeugspiel autodidaktisch erlernte, entwickelte den Mayer Stroke.

Bei dieser Schlagtechnik rollt der Stick dank wechselndem Impuls von Zeige- und Mittelfinger zum munteren solo Einer-Wirbel.
 Auch hüftabwärts tüftelt er an neuen Kick-Varianten. So entwickelte er ein Pendant zum Mayer Stroke, wodurch ein Fuss sperrfeuert wie die Doppelpedale der klassischen Metal-Wirbler.

Mayer ist ein ruheloser Drum-Nerd, der Set wie Spiel ständig weiterentwickelt. «Ich bin neugierig. Oder anders gesagt: Ich bin schnell gelangweilt.» Inspiration findet er dort, wo seine Musik gespielt wird: «Die aktuellen Beats und Sounds kann man nicht in einem Buch nachlesen. Es ist wie mit einer mündlichen Sprache, man muss rausgehen und sie sich anhören.»

Zum Beispiel an der Afterparty seines Konzertes. Dank der Verlängerung des Mietvertrags wird es zum Glück noch einige inspirierende Abende im Hinterhof geben – aber feiern sollte man sowieso stets, als wäre es die letzte Gelegenheit.

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Jojo Mayer/Nerve live:
Donnerstag, 24. März, 21.30 Uhr.
Hinterhof, Basel. 

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