Preiswürdig

An der Leipziger Buchmesse wird auch der gleichnamige Literaturpreis verliehen. Wir stellen die fünf Finalisten vor.

(Bild: Hansjörg Walter)

An der Leipziger Buchmesse wird auch der gleichnamige Literaturpreis verliehen. Wir stellen die fünf Finalisten vor.

Er, 30, bisexuell, sucht Mut.

Das Schöne an diesem Debüt­roman ist: Alles ist ganz normal.

Max Flieger, ein Lehrer Anfang 30, liegt in seiner Wohnung vor dem Fern­seher, melancholisch, Hand in der Unterhose, und alles ist mittelmässig ungeil: Da kann jeder anknüpfen. Der Weg zu mehr Lebensfrische führt den Helden in sein Schwarzwälder ­Elternhaus, wo er den Hund hüten muss. Die sommerliche Ankunft auf dem Dorf gelingt dem Autor sehr gut. Man atmet beim Lesen mit auf. Hier wird keine Sprache reproduziert, Hischmann hat Kontakt zu dem, worüber er reden will.

Andererseits sind da Sätze wie dieser: «Ich warte darauf, dass der Kleister versagt und die Sterne fallen.» Ein Bild, wie man es zu oft gelesen hat. Da fehlt stilistische Hygiene. Und dann sterben irgendwie die Eltern, und Max Flieger macht einen getriebenen Kurztrip nach New York. Handlungsleckerli. Das Buch wäre stärker gewesen, wenn der Autor seinen Helden im Bergdorf gelassen hätte, wo er die Geliebten und die Konkurrenten seiner Kindheit wiedertrifft und mit seinem Lebensthema konfrontiert wird: der Mutlosigkeit.

Doch das ganze Buch ist angenehm unaufgeregt – der beste Nährboden für Intelligenz.

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Fabian Hischmann: «Am Ende schmeissen wir mit Gold»,  Berlin Verlag, 256 Seiten.

Mit Pinsel und Schnaps durch die Nacht

Saša Stanišićs «Vor dem Fest» wurde schon mit Preisen ausgezeichnet, bevor es überhaupt erschienen ist. Hype liegt in der Luft. Aber dafür kann der Autor nichts.

Im Buch ist es noch eine Nacht bis zur gros­sen Feier in Fürstenfelde, einem Kaff in der Uckermark. «Vor dem Fest» heisst insgeheim: vor dem Sturm. Es braut sich was zusammen, doch was? Die Nacht jedenfalls flirrt. Die Malerin Frau Kranz, die seit 70 Jahren nichts anderes malt ausser Fürstenfelde, schwärmt heute mit Pinsel und Schnaps in die Nacht aus. Herr Schramm hat die Pistole schon an der eigenen Schläfe und kommt dann doch noch an Zigaretten.

Irgendwann geht einem Stanišićs Sprache unweigerlich auf den Senkel. Jede Formulierung ist pfiffig, charakteristisch, cool. Doch die Sprache ist zu treffend, als dass man sich länger nerven könnte. Man hört die Dörfler sprechen, man spürt sie denken. Stanišićs poetischer Blick auf die Menschen ist so klar, dass man sich dauernd selbst gesehen fühlt.

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Saša Stanišić: «Vor dem Fest», Luchterhand, 320 Seiten. 

Übrig bleibt eine schmutzige Feier

Noch ein Vor-dem-Fest-Buch – bei Martin Mosebach mündet es in einer Zerfallsorgie der Frankfurter High Society. Parallel dazu bricht auf dem ­Balkan der Bosnien-Krieg aus. Grosses Kino.

Mosebach breitet seine Schilderungen weit aus, kilometerweit. Da folgen nicht Handlungen aufeinander, sondern werden Situationen ausgewallt wie ein Teig. Man ist, auch durch Mosebachs akkurate Sprache eines poeta doctus, an die grossen Erzähler des vorigen Jahrhunderts erinnert. Man assoziert Salons mit Zigarrenrauch und wallenden Damen­roben, bis einem plötzlich einfällt: Ach ja, das sollen ja die 1990er sein.

Doch Mosebachs Beoachtung ist fein und der Humor hat Kern. Sei es die Putzfrau, die in der Wanne ihrer abwesenden Herrin ein verbotenes Bad nimmt, oder ein brotloser Kunsthistoriker, der Kenntnis vorspielt, wo er keine Ahnung hat.

Von diesen Figuren her erzählt Mosebach die Brüchigkeit der High Society, bottom-up. Man durchschaut sie, als würde man ein löchriges Papier gegen das Licht halten.

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Martin Mosebach: «Das Blutbuchenfest», Hanser, 448 Seiten. 

Bleib bei deiner Depression

Per Leo hat mit «Flut und Boden» seinen ersten Roman geschrieben. Leo, der sich an Geschichte und Philologie gebildet hat, wählte für seinen Erstling die eigene Familie. Das klingt vertraut: Ich schreibe mein erstes Buch und ich zeige euch, wer ich bin.

Damit folgt Leo einer Tradition, die Gesetz zu sein scheint: Man muss mit seiner Geschichte fertig werden, um einen literarischen Text stemmen zu können. Leo tut beides. Doch die Passagen, in ­denen er ohne den unendlichen Horizont der Familiensage, ohne Nazi-Opas und goetheanische Geistsucher auskommt, sind das Stärkste und Unterhaltsamste, was er zu bieten hat. 

Da liegt die Präsenz des ­Autors, nach der wir uns sehnen – leider brennt dieses Licht nur auf einigen Seiten. Die Depression ist das Motiv des Autors. Und während er die Stränge norddeutscher Geschichte ausbreitet, weitläufig und historisch, die Weser, den Schiffsbau, bittet man leise: Geh nicht weg, bleib bei deiner Depression.

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Per Leo: «Flut und Boden», Klett-Cotta, 352 Seiten. 

Vielleicht etwas anderes

In der Geschichtensammlung «Vielleicht Esther» von Katia Petrowskaja sprudelt und fliesst es nach der Manier des ungehinderten Bergbächleins. Wer nach Flüssigkeit in der deutschen Sprache sucht, findet in diesem Buch, das 2013 bereits mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, einen Freund. Zugleich ergibt sich Petrowskaja dem Sog der osteuropäischen Geschichte, denn hier versucht sie den Kontakt zu ihren jüdischen Wurzeln wiederherzustellen.

Petrowskaja, geboren 1970 in Kiew, lüftet den Mantel der eigenen Vergangenheit. Grossmutter, Krieg, Leningrad, die Levis, Kalisz, die Gellers oder Hellers, ein Rezept vom Kwas (Salat, Knoblauch, Dill), gefilte Fisch und süsse Würste mit Rosinen. Warum?

«Ich wusste, es wird mir helfen, meine Koordinaten in der Weltgeschichte zu finden …» Ach so. Doch das ist nicht der Stil des Bächleins, denn dessen Bewegung geht nach vorne. Und wenn es auch sprudelt und fliesst, fragt man sich erstaunt: Hat die Gegenwart für Petrowskaja keinen Reiz?

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Katja Petrowskaja: «Vielleicht Esther», Suhrkamp, 285 Seiten. 

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 07.03.14

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