Rai-Feuer und atlantische Melancholie

Madredeus und Khaled sorgten für ein Wechselbad zwischen Lusitanien und Maghreb – der Weltmusikabend an der AVO Session funktionierte trotz geographischer Quadratur des Kreises.

AVO Session Basel 2012. MADREDEUS. © Photo Dominik Pluess / 30. October 2012 (Bild: DOMINIK PLUESS)

Madredeus und Khaled sorgten für ein Wechselbad zwischen Lusitanien und Maghreb – der Weltmusikabend an der AVO Session funktionierte trotz geographischer Quadratur des Kreises.

Von der Warte des Mainstreams aus zählen sie sicherlich zu ein und derselben Sparte, zur – mittlerweile verglühten – «Weltmusik». Doch wer sich auch nur ein wenig mit Klängen abseits des anglo-amerikanischen Rock und Pop beschäftigt, fragt sich schon, warum Khaled und Madredeus an ein und demselben Konzertabend ein Doppel spielen. Alles andere als zwingend ist diese Kombination, wie im Übrigen etliche Paarungen der diesjährigen AVO-Ausgabe.

Hier der dampfende Megastar des Rai aus Algerien, dort die in Zeitlupentempo, kammerfolkig ausagierte Sehnsucht der Portugiesen. Die vom Festival propagierte Nähe zwischen Oran und Lissabon besteht halt doch aus einer Entfernung von 1500 Kilometern, auf verschiedene Meere schauen diese beiden Metropolen, der maurische Einfluss liegt in Portugal sehr lang zurück. Da muss man schon den kleinsten gemeinsamen Nenner «Around The World» als Motto bemühen. Doch was auf einem spezialisierten Festival als Gespann verpönt wäre, hat im Musical Theater als Themenabend das Publikum berührt.

Sonnige Verjüngung

Zunächst also die Meister des Minimalismus aus Lissabon: Seit 25 Jahren leuchtet die Gruppe um den einstigen Rockstar Pedro Ayres Magalhaes als einzigartige Farbe der Musik Portugals, verarbeitet Fado, Folklore und Pop zu einem meditativen Kammerpop, dem einst sogar Wim Wenders für seine «Lisbon Story» erlag. Nach dem Ausstieg der Sängerin Teresa Salgueiro und zwischenzeitlichen, missglückten Experimenten mit Indie-Musikern hat sich das Ensemble zum Jubiläum nun komplett neu definiert. Man präsentiert sich nicht mehr im monochromen Gitarrengewand, sondern mit Streichertrio und der klassisch trainierten Vokalistin Beatriz Nunes. Die sich natürlich messen lassen muss an ihrer Vorgängerin. Erster Eindruck: Mit ihrer sonnigen Ausstrahlung verjüngt sie das Ensemble schlagartig.

Die bildschöne Nunes knüpft an Salgueiros klares, helles Stimmentimbre an, kann aber an deren wunderbaren Flow in den langen Haltetönen nicht heranreichen. Ihr liegen die frei umherschweifenden Melodien in den oberen Lagen mehr, die sie mit kräftigem Sopran ausfüllt. Eingebettet sind ihre Vokalisen in einen manchmal zu gravitätischen Klang zweier Violinen und eines Cellos, die einst folkloristischen Anklänge mit Akkordeon sind leider verschwunden. Carlos Maria Trindade, die portugiesische Tastenlegende zaubert dabei Horn-, Oboen-, Cembalo- und Bassregister aus seinem Keyboard, manchmal nicht ganz so dezent wie gewünscht. Ganz unauffälliges Dirigat kommt von Magalhaes, der sich nur ab und an mit pointierten Gitarrenlinien nach vorne wagt.

Madredeus zelebrieren die Essenz aus einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte: Da ist das zärtliche «Coisas Pequenas», das chromatisch seufzende «Vem» und der allererste Hit «O Pastor» mit der sehnsuchtsvoll ausgreifenden Melodie über stakkatierender Gitarre und Cello. «Ecos Na Catedral» nimmt mit seinen verlorenen, heruntertropfenden Riffs gefangen, und «Haja O Que Houver» wirkt wie ein tröstliches Wiegenlied, eingebettet in schwelgerische Streicher. Wohltuend tänzerisch dazwischen ein Stück, dass sowohl an Tangozackigkeit wie auch Sambaseligkeit anknüpft. Dass dieser Sound, der mit seinem endlosen Kreisen beizeiten wie Philip Glass auf Tranquilizer klingt, nie wirklich kitschig wird, ist vor allem der unverstellten Ausstrahlung von Nunes zu verdanken. Es bleibt zu hoffen, dass Magalhaes der neuen Sängerin auch neue Songs auf den Leib schneidert, damit sie ihr Profil schärfen kann und nicht zur Verwalterin des Madredeus-Erbe wird.

Arabeske Ohrwürmer

Kontrastreicher zum Auftritt der Portugiesen hätte kaum irgendein Act ausfallen können, als der des Königs. Als solcher gilt der Algerier Khaled in seinem Genre, dem Rai, seit Jahrzehnten, und durch ihn wurde die rebellische Popmusik der algerischen Jugend in Europa auch bekannt. Den Beinamen Cheb («Junge») hat er längst abgelegt, das wäre auch ein bisschen anachronistisch, denn der Maghrebiner ist mittlerweile ergraut an Bart und Schläfen, wenn er sich auch sein spitzbübisches Lächeln erhalten hat. Khaled war nie ein Verfechter der reinen Rai-Lehre, hat mit Produzent Don Was schon früh auf Funk gemacht, gleiste dann auf die Popschiene auf mit – wir erinnern uns alle – «Aicha». Seitdem gab’s von ihm immer wieder Ohrwürmer, die stets mit arabesken Folkloretönen von Marokko bis Ägypten gespickt waren. Sein neuer Hit «C’est La Vie» allerdings kommt wie eine etwas dümmliche Hymne fürs Fussballstadion daher, samt plattem, housigem Rhythmusprogramm, und liess Schlimmes für den Auftritt befürchten.

Unbegründet – denn Khaled zündet mit siebenköpfiger, arabisch-europäischer Band weitestgehend handgemachte, knackige Fetenmusik, und hat auch seine Stimmbänder noch gut in Schuss. Es mag im Rai ohne Zweifel Kollegen geben, die ihn an Brillanz übertrumpfen, aber sein gepresstes, bittersüsses Pathos, das er beizeiten auch in eine Art Kehlkopfgesang kippen lässt und immer wieder mit reichen Ornamenten verziert, ist ein Unikat. Darunter klappert die Bechertrommel, es gibt rockige Impulse von Drums und E-Gitarre und rasante Skalen auf der arabischen Laute, der Oud. Die Keyboards, ganz wesentlich für den Rai, liefern flirrend-orchestrale Begleitung, imitieren mit ihren Glissandi einen ganzen Streicherapparat. Khaled dockt dabei an vielen Weltgegenden an: Eine Gypsy-Rumba flattert aus der Akustikgitarre, plötzlich steht ein Reggae im Raum, ein Salsa-Groove, oder ein kongolesischer Soukouss sorgt für Begeisterung unter den zahlreichen Tanzenden, die mit algerischen Flaggen den Bühnenrand okkupieren.

Das Finale gehört seinen grossen Hits: Das funkige «Didi» mit bretternder Stromgitarre und Trompetenfanfaren aus dem Synthesizer, der Jean Jacques Goldman-Schlager «Aicha», der den ganzen Saal zum Hüpfen bringt – und schliesslich doch noch sein neuester Chartbreaker «C’est La Vie» mit viel Wumms und wenig Hirn. Wer weiss, vielleicht wird das in zehn Jahren ja noch mal als WM-Hymne für Qatar recycelt.

Hörprobe von Madredeus und Khaled

 

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