Ratgeberliteratur? Verschont uns!

Ratgeberbücher versprechen viel, sind aber eine zwiespältige Angelegenheit. Sie sind rasch zur Hand, decken jedes Thema ab und nützen doch nur wenig. Warum tun wir uns das an?

Wer's glaubt, wird selig. Oder hat einfach nur viel Zeit verloren.

Ratgeberbücher versprechen viel, sind aber eine zwiespältige Angelegenheit. Sie sind rasch zur Hand, decken jedes Thema ab und nützen doch nur wenig. Warum tun wir uns das an?

Alles klingt erstmal vielversprechend: Eine ganze Heerschar von Anleitungen steht bereit, die Lücken des Unwissens zu schliessen und uns in kürzester Zeit in Experten auf jedem erdenklichen Gebiet zu verwandeln. Sie versprechen oft Einsicht in ein «Geheimnis», meist jenes von Liebe oder Geld, richten sich an neugierige Hobby-Einsteiger oder geben schematische Anleitung in Form von Knigge-artigen Lebenskrücken – und ganz perfide Exemplare geben gar Auskunft, wie man harmlose Gespräche fies manipuliert. Auf der Welt gibt es kein Thema, zu  welchem es nicht auch eine (meist) gutgemeinte Anleitung gibt.

Klar, gerne möchten wir uns verbessern, sicheren Tritts durch das mit Hindernissen gespickte Leben schreiten, beim Schachspiel wie beim Bewerbungsgespräch glänzen, doch trotz detaillierter Anleitung aus Expertenhand wächst im Garten bereits nach kurzer Zeit wieder nichts als stacheliges Unkraut und der Traumpartner wohnt weiterhin im Luftschloss. Es bleibt ein schlechtes Gewissen. Wie konnte das bloss wieder passieren?

Erfüllung in 10 Minuten

Möglicherweise liegt es einfach am Zeitgeist: Das letzte Jahrhundert hat die Menschheit fast ausschliesslich darauf verwendet, die Produktivität ins Endlose zu steigern, auch Freizeit und Gesundheit sind davon nicht ausgenommen. Alles soll ausgefüllt, effizient und vor allem ergiebig sein: Mehr Gemüse, mehr Liebe, mehr Bewegung, unmöglich, nicht jede Sekunde Glanzleistungen vollbringen zu wollen. Doch Zeit und Energie sind begrenzt und wir kommen kaum mehr nach. Das Glück ist irgendwie immer schneller.

Die Industrie, welche uns die Heilmittel verkauft, redet uns das schlechte Gewissen auch gleich selbst ein, denn mit Schuldgefühlen lässt sich gutes Geld verdienen.

Die Sache hat eben Haken, die grösser sind als der Gleitschirm, den zu fliegen man eigentlich lernen wollte. Der Drang zur Selbstoptimierung versucht statt Erfüllung vor allem unseren Platz in der Welt zu sichern. Die globalisierte Multi-Kulti-Quereinsteiger-Alleskönner-Welt kann tatsächlich bedrohlich wirken, und die sozialen Medien – ihre Vorteile in Ehren –  bombardieren uns unablässig mit den Zeugnissen der Grosstaten anderer. Nichts liegt also näher, als dem Lockruf der endlichen Selbstverwirklichung zu folgen und eine bereits vorgefertigte Anleitung-in-10-Minuten zu konsultieren.

Die Industrie, welche uns die Heilmittel verkauft, redet uns das schlechte Gewissen auch gleich selbst ein, denn mit Schuldgefühlen lässt sich gutes Geld verdienen. Die schlichte Verfügbarkeit der Lebenshilfen hat zur Folge, dass sich jeder selber verantwortlich fühlen muss, wenn etwas nicht klappt. Man muss schon ein ziemlicher Trottel sein, trotz aller «Erfolg-für-Dummies»-Literatur weiterhin stets faule Früchte zu ernten. Je mehr sie so tun, als wär alles einfach und in 10 Minuten pro Tag erreichbar, desto grösser wird unser Versagen. Wird zum Beispiel erklärt, wie man in fünf Tagen acht Kilo loswerden kann, heisst das irgendwie auch: Du bist zu fett.

Lasst es uns versemmeln!

Und können wir nicht Schritt halten, hat dies wiederum weitere Ratgeber zur Folge, die Nachfrage generiert sich praktisch selbst. Hurrah, erfolgreicheres Burnout, schönere Depression! Im an sich lobenswerten Vorhaben, sich zu verbessern, überfordern wir uns schlicht regelmässig.

Deswegen: Wir sollten einfach wiedermal etwas richtig schlecht machen. Etwas versemmeln und zu lange brauchen. Bei wirklich wichtigen Dingen sind hohe Ambitionen nützlich, sonst allerdings bewahrt uns kein Ratgeberangebot vor dem Stolpern. Wann sollen wir die alle lesen?

Kein Buch kann darüber hinweg helfen, dass man tatsächlich zwei linke Hände ohne grünen Daumen hat.

Das grösste Gut ist im Grunde die Gelassenheit gegenüber dem eigenen Unvermögen, denn es kann nicht alles gleich wichtig sein, und was uns wirklich etwas bedeutet, kann kein Ratgeber wissen. Kein Buch kann darüber hinweg helfen, dass man tatsächlich zwei linke Hände ohne grünen Daumen hat. Also einfach mal den Dienst verweigern und die Decke anstarren, während andere den dritten Schnellkurs in Powernapping lesen! Wer bremst, verliert, wie man so unschön sagt, und die Gewinner werden jene sein, die nicht aufgegeben haben.

Aber ehrlich, wer nie gewinnt und trotzdem nie aufgibt, tut sich selber keinen Gefallen. Spass jedenfalls macht das Gehetze kaum.

In diesem Sinne:
«There is no pleasure in having nothing to do; the fun is having lots to do and not doing it.» – Andrew Jackson (wohlgemerkt, war Präsident der USA von 1829-37)

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Und zum Schluss noch dies:

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