Quentin Tarantino sorgt wieder für Zündstoff: In «Django Unchained» zielt ein befreiter Sklave auf Weisse und trifft dabei ins Schwarze.
Er weiss, wie man einen Filmstoff mit Zündstoff anreichert: Quentin Tarantino. Denn viele Leichen pflastern seinen beruflichen Weg. Seinen letzten Film «Inglourious Basterds» (2009) siedelte der US-amerikanische Regisseur im Frankreich des Zweiten Weltkriegs an – und schanzte Hollywood-Star Brad Pitt eine Hauptrolle als Guerillakämpfer zu. Als Kopf einer alliierten Spezialeinheit ging dieser den Nazis an den Kragen – und an die Stirn: So ritzte er den Besatzern ein Hakenkreuz in die Kopfhaut, wenn er ihnen diese nicht gleich abzog. Naziskalps als Trophäen. Juden als blutrünstige Rächer. Geschmackssache, klar. Aber auf eine solche Idee muss man zuerst einmal kommen.
Fiktion versus Realität
Tarantinos Sinn für Überzeichnung und Ästhetik von Gewalt ist spätestens seit seinem grossen Durchbruch berüchtigt. «Pulp Fiction» aus dem Jahr 1994 war sein zweiter vollendeter Spielfilm und bescherte dem Texaner gleich mehrere renommierte Trophäen, unter anderem einen Oscar und eine Goldene Palme. Auf einen Schlag wurde er weltberühmt.
Die Brutalität, der oft etwas Cartooneskes anhaftet, ruft immer wieder Kritiker auf den Plan. So auch im Vorfeld seines neuen Films, der in den USA an Weihnachten anlief: «Django Unchained». Als der Regisseur vor einigen Tagen in einer Sendung des «National Public Radio» Gast war, wurde er auf den Amoklauf vom 14. Dezember 2012 an der Grundschule Sandy Hook in Connecticut angesprochen.
Die US-Premiere mit rotem Teppich war nach diesem Drama abgesagt worden. Die Moderatorin wollte daher wissen, ob ihm Filme wie seine in solchen Augenblicken keinen Spass mehr machen. Tarantino verneinte. Und reagierte nach mehrmaligem Stochern enerviert, empfand den Versuch, eine Verbindung zwischen dem Amoklauf und den Rachefeldzügen seiner Filmcharaktere herzustellen, als respektlos gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Und wiederholte, was er in den letzten 20 Jahren oft gesagt hatte: Dass man Fiktion und Realität trennen und die Ursachen für einen Amoklauf woanders suchen müsse: «Hier geht es doch um den Zugang zu Waffen und um die geistige Gesundheit!» Und nicht um die Liebe zu Spielfilmgenres – seine allergrösste Leidenschaft.
Faible für Groteske und Gewaltfantasien
Denn Tarantino gehört mit seinem Faible für die Groteske, für Sarkasmus, Nihilismus und Gewaltfantasien nicht nur zu den kompromisslosesten Filmemachern in Hollywood, sondern auch zu den cinephilsten. 1983, er war 20-jährig, träumte er, den seine Eltern nach Quint Asper, einer Figur aus der Westernserie «Rauchende Colts» benannt hatten, noch von einer Karriere in der Filmindustrie. Und jobbte mangels Aufträgen in einer Videothek, wo er sich Tag und Nacht filmhistorisches Wissen aneignete. Wissen, das er in Form von Zitaten bis heute in seinen eigenen Werken durch den Fleischwolf dreht. Was rief uns Tarantino nicht alles in Erinnerung: zuerst die Tradition der «Heist-Movies», jener Filme, die von einem Raubüberfall handeln, in «Reservoir Dogs». Später Blaxploitation in «Jackie Brown», seiner Hommage an die afroamerikanischen Actionfilme der 1970er-Jahre – und Kung Fu im Racheepos «Kill Bill».
Auch in «Django Unchained» finden sich zahlreiche Anspielungen. Allein der Titel ist an einen herausragenden Spaghetti-Western von Sergio Corbucci angelehnt. Den italienischen Regisseur vergöttert Tarantino, wie er selber erläutert.
Missachtung von Political Correctness
Der Titel sagt es: Bei Tarantino ist Django entfesselt. Ein befreiter Sklave im Jahr 1852, der sich mit einem deutschen Kopfgeldjäger (brillant: Christoph Waltz) aufmacht, seine geschundene Frau zu suchen. Diese nennt ein weisser Plantagenbesitzer (umwerfend: Leonardo DiCaprio) sein Eigen. Für seine Liebe geht Django über viele Leichen. Und symbolisiert dabei, um die Tonalität des Films aufzugreifen, den «Supernigger», der auf Weisse zielt und dabei ins Schwarze trifft – kurz bevor in den USA ein Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten ausbrechen wird.
Tarantino ballert damit seinen peitschenden Sinn für Unterhaltung vor dem Hintergrund einer sozialen und historischen Tatsache Amerikas in die Kinosäle. Dass seine Missachtung von Political Correctness – das Schimpfwort Nigger fällt 110-mal – Kritiker auf den Plan ruft, ist nichts Neues für den 49-jährigen Regisseur.
Wohl aber, dass die Kritik aus den eigenen Reihen kommt. Spike Lee, der prominenteste afroamerikanische Filmemacher («Malcolm X»), hat zum Boykott aufgerufen. Via Twitter liess er ausrichten: «Amerikanische Sklaverei war kein Spaghetti-Western im Stil von Sergio Leone. Es war ein Holocaust.» Womit er eine hitzige Debatte entfachte: Darf der weisse Star-Regisseur Rassismus, Ausbeutung und Unterdrückung so nonchalant auf die Leinwand bringen?
Rückhalt von Afroamerikanern
Tarantino erhielt umgehend Rückhalt – auch von Afroamerikanern. Regisseur Antoine Fuqua warf Spike Lee schlechten Stil vor. Man kritisiere Kollegen nicht auf diese Weise in der Öffentlichkeit, sagte er – und nahm Tarantino in Schutz: «Ich glaube nicht, dass in seinem Körper auch nur ein rassistischer Knochen steckt.» Fuqua ergänzte, dass er eng mit dem Hauptdarsteller Jamie Foxx befreundet sei – und er sich nicht vorstellen könne, dass dieser in einem Film spielen würde, der rassistische Tendenzen aufweise.
Spike Lees Aufruf zum Boykott war in den USA bislang nicht spürbar, im Gegenteil: Der Film liess beim Start die Kassen klingeln – 15 Millionen Dollar Umsatz an Heiligabend, für einen nicht jugendfreien Streifen: bemerkenswert. Auch, dass fast die Hälfte der Besucher Afroamerikaner waren, wie der «Hollywood Reporter» berichtete. Noch immer ist ein Drittel der Besucher dieser Bevölkerungsgruppe zuzuordnen, wie Umfragen ergaben – ein hoher Anteil, der erahnen lässt, dass Proteste wie jener von Spike Lee ins Leere zielen.
Das Publikum will den Film sehen und empfiehlt ihn weiter, sprich: Es findet ihn weniger anstössig als Lee. Das sehen wir gleich. Wenn man Quentin Tarantino etwas vorwerfen kann, dann einige Längen. Das letzte Drittel des Films etwa wirkt bedeutend flacher als die ersten zwei Stunden.
- «Django Unchained» läuft in mehreren Basler Kinos.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.01.13