Was Sklaverei mit dem Wilden Westen gemeinsam hat

Quentin Tarantino erklärt, wie ihn die Spaghetti Western von Sergio Corbucci beeinflusst haben.

Filmemacher Quentin Tarantino hat die alten Western genau studiert – und am Nihilismus von Sergio Corbucci grossen Gefallen gefunden. (Bild: Sony Pictures)

Den grösste Einfluss für «Django Unchained» übten nicht Filme über die amerikanischen Sklaverei aus, sondern die Spaghetti Western des italienischen Regisseurs Sergio Corbucci.

Jeder Western-Regisseur, der etwas zu sagen hatte, kreierte seine eigene Version des Westens: Anthony Mann kreierte einen Western, der viel Raum für die von Jimmy Stewart und Gary Cooper gespielten Charaktere bot. Sam Peckinpah hatte seinen eigenen Westen, genauso Sergio Leone. Auch Sergio Corbucci – aber seiner war die gewalttätigste, surrealste und erbarmungsloseste Landschaft aller Regisseure in der Geschichte dieses Genres. Seine Charaktere machen einen brutalen, sadistischen Westen unsicher.

Corbuccis Helden kann man nicht wirklich Helden nennen. In dem Western eines anderen Regisseurs wären sie die Bösewichte. Und mit der Zeit begann Corbucci, die Rolle des Helden immer weniger zu betonen. Ein Film, den er machte, «The Hellbenders», hat überhaupt niemanden, den man unterstützenswert nennen kann. Es gibt die Bösen und die Opfer, das ist alles.

«Silenzio» im Schnee

In «Il Grande Silenzio» lässt er Klaus Kinski einen abgefeimten Kopfgeld­jäger spielen. Ich bin kein grosser Kinski-Fan, aber in diesem Film ist er unglaublich – es ist definitiv seine beste schauspielerische Leistung in einem Genrefilm. Der Held in «Il Grande Silenzio» ist Jean-Louis Trintignant, der einen Stummen spielt.

Indem er ihm die Stimme nimmt, reduziert Corbucci seinen Helden auf ein Nichts. «Il Grande Silenzio» hat ausserdem eine der nihilistischsten Endungen aller Westernfilme. Trintignant geht nach draussen, um den Bösewichten entgegenzutreten – und wird umgebracht. Die Bösen gewinnen, sie töten alle anderen Einwohner der Stadt, reiten davon, und das ist das Ende des Films. Es ist bis heute schockierend.

Ein Film wie Andre de Toths «Day of the Outlaw», so berühmt er dafür sein mag, trostlos und ungeschönt daherzukommen, ist im Vergleich zu «Il Grande Silenzio» beinahe ein Musical. «Silenzio» findet im Schnee statt – mir gefiel die Handlung im Schnee so gut, dass «Django Unchained» einen grossen Schnee-Abschnitt in der Mitte des Filmes hat.

Corbucci beschäftigt sich andauernd mit Rassismus, in seinem «Django» sind die Bösen aber nicht der Ku Klux Klan, sondern ein surreales Double davon. Sie töten Mexikaner, es ist eine Geheimorganisation, die rote Kapuzen trägt – und es geht ausschliesslich um ihren Rassismus gegenüber den Mexikanern in dieser Stadt.

Grausam wie Manson

In «Navajo Joe» sind die Skalp­jäger, welche die Indianer für ihre Skalps massakrieren, so grausam wie die Manson Family. Es ist einer der grössten Rache-Filme aller Zeiten: Burt Reynolds ist als Navajo Joe eine Art Ein-Mann-Tornado-Ansturm. Wie er sein Messer benutzt und damit die Bösewichte überrennt und vertreibt, während er sich durch Steine und Schmutz kämpft und rauft, ist grossartig. Ich habe gehört, er habe sich beinahe den Hals dabei gebrochen, und so sieht es auch aus. Bevor «The Wild Bunch» von Sam Peckinpah herauskam, war «Navajo Joe» wohl der brutalste Film, der je das Logo eines Hollywood-Studios trug.

Als ich an einem Essay über Corbuccis Archetypen arbeitete, realisierte ich, dass ich eigentlich nicht wirklich weiss, ob Corbucci sich irgendetwas davon überlegte, als er diese Filme gedreht hat. Aber ich weiss, dass ich jetzt darüber nachdenke. Und wenn ich einen Western machen würde, könnte ich diese Gedanken in die Praxis übersetzen. Als ich dann tatsächlich begann, das Skript zu Papier zu bringen, überlegte ich: Was treibt die Charaktere zu ihren Extremen? Ich dachte, das passende Äquivalent zu Corbuccis brutalen Landschaften wäre der Süden vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Wenn man von den Regeln und Praktiken der Sklaverei erfährt, so scheint dies gewaltsamer als irgendetwas, was ich tun könnte – und absurd und bizarr dazu. Man kann nicht glauben, dass so etwas passiert, was wiederum das Wesen wahren Surrealismus ist.

Aufzeichnung Gavin Edwards; Übersetzung Tara Hill. 

Quellen

Dieser Text erschien erstmals im «New York Times Magazine».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.01.13

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