Die Krise wird übersprungen

Trotz wirtschaftlich unsicheren Zeiten boomen im Springreiten die teuersten Turniere. Was die höhere Zahl von Wettkämpfen mit den Pferden macht, weiss keiner so genau.

CSI Basel St. Jakobshalle (Bild: zvg/Katja Stuppia)

Trotz wirtschaftlich unsicheren Zeiten boomen im Springreiten die teuersten Turniere. Was die höhere Zahl von Wettkämpfen mit den Pferden macht, weiss keiner so genau.

Krise? Welche Krise? Die Weltwirtschaft mag vor manchem Hindernis stehen, doch wer mit hochklassigen Springpferden unterwegs ist, setzt offenbar mühelos darüber hinweg. Anders ist die weltweite Zunahme der Springturniere, die der höchsten Kategorie angehören, nicht zu erklären.

Mindestens 500’000 Franken Preisgeld muss verteilen, wer vom Pferdesport-Weltverband FEI zu den Fünf­sterne-Turnieren gezählt werden will. Dazu kommen Ausgaben für die vorgeschriebene Infrastruktur. Der CSI Basel gibt ein Budget von 3,5 Millionen Franken an. Solche Springkonkurrenzen sind kein günstiges Vergnügen. Und doch hat sich ihre Zahl innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt: von 21 (2004) auf geplante 56 in diesem Jahr (vgl. Grafik). Allein in der Schweiz buhlen mit Basel, Zürich, Genf, St. Gallen und Lausanne gleich fünf Stand­orte um Sponsoren und Zuschauer.

Dieser Boom kann gleich in mehrfacher Hinsicht überraschen. Zum einen stecken andere Pferdedisziplinen durchaus in der Krise. In England und Irland ist der Markt für Rennpferde eingebrochen, in Deutschland ist der Trabrennsport praktisch tot, der Galopprennsport kämpft um die Umkehr eines negativen Trends.

Zum anderen gehört der Pferdesport schon insgesamt nicht zu jenen Sportarten, die die grösste Aufmerksamkeit erhalten. Bloss 2,3 Prozent der Befragten gaben in der Studie «Sport Schweiz 2008» des Bundesamtes für Sport an, sich als Konsumenten für Reiten zu interessieren. Das reichte gemeinsam mit Kunstturnen für Rang elf hinter König Fussball (40,5 Prozent).

Exklusivität als grosses Plus

Selbst in Deutschland, wo die Begeisterung für Reiten weit grösser ist, kommt Pferdesport gemäss einer Studie des Sportvermarkters Sportfive für das Jahr 2012 mit 22,2 Prozent noch hinter Sportarten wie Eisschnelllauf oder Schwimmen. Und Springreiten ist bloss eine Disziplin innerhalb einer immer vielfältiger werdenden Sportart.

Doch genau diese limitierte Zahl ­Interessierter ist Teil des Erfolgs­geheimnisses des höchsten Segmentes im Springreiten. Laut dem Schweizer Spon­soring-Barometer 2012 von Sport + Markt nutzen 90 Prozent jener Firmen, die im Sportsponsoring aktiv sind, die unterstützten Anlässe für die Einladung sogenannter VIPs. Und was wäre da besser geeignet als ein Umfeld, das Exklusivität und Luxus verspricht?

Dazu passen die Sponsoren, die die hochklassigen Springen für die Promotion ihrer Marken nutzen. In der Schweiz sind es bei sämtlichen Fünf­sterne-Turnieren dieselben Branchen: noble Uhren, Banken, Autos und Ver­sicherungen.

Unternehmer und ihre Kinder

«Der Networking-Charakter, den man klassischer Weise mit dem Pferde­rennen in Verbindung bringt, hat im Rahmen der exklusiven Spring­sport­veranstaltungen zugenommen», stellt Katharina Wiegand fest, die an der ­Georg-August-Universität Göttingen über Zielgruppen und Marketing im Pferdesport promoviert.

Wiegand sieht auch, dass sich der Pferdesport verändert: «Weg vom ländlichen Charakter hin zum Hobby für Unternehmer oder deren Kinder. Hier kommt dann wieder das Turnier als exklusiver Rahmen für Geschäftskontakte in den Fokus.»

So passen auch Weltwirtschafts­krise und Hochkonjunktur bei den ­teuersten Springturnieren ganz gut ­zusammen. Genauso wie der Luxus­artikel-Konzern Richemont 2012 in Zeiten der Unsicherheit einen Rekordgewinn feiern konnte, springen auch die Spitzenreiter mit ihren Pferden in einer Sphäre, der die Krise bislang nichts anhaben kann.

Wie bei Richemont sind es die ganz Reichen, die an der Spitze des Springreitens für den Geldfluss sorgen. Und wie bei den Uhren wird auch bei den Pferden Asien immer wichtiger. So ist der vom saudiarabischen König ­Abdullah ibn Abd al-Aziz gegründete Saudi Equestrian Fund der neue Hauptsponsor des FEI Nations Cup, des prestigeträchtigen Nationen­preisturniers mit über einhundertjäh­riger Tradition.

Springpferde als Luxusgüter

Aus diesem Grund ist es ebenfalls kein Widerspruch, wenn einerseits der Markt für Pferdezüchter nicht nur in Grossbritannien, sondern auch in Deutschland schwieriger wird, wie das Horse Future Panel in Göttingen festgestellt hat. Und andererseits die Preise für Spitzenpferde im Springreiten stabil bis steigend sind.

«Wir haben es mit einer ganz an­deren Sorte von Sponsoren oder Mäzenen zu tun als etwa im Pferderennsport», erklärt Stéphane Montavon, Chef Technik im Leistungsteam Springen des Schweizerischen Verbands für Pferdesport, «jeder Franken, den jemand in ein Spitzenspringpferd investiert, ist ab­geschrieben. Alle wissen, dass Springreiten kein Geschäfts­modell ist.»

Und die finanziell potenten Pferdeliebhaber dürften das Geschäft weiter am Laufen halten. Derzeit sieht es jedenfalls nicht danach aus, als ob sich eine Blase gebildet hätte, die demnächst platzen könnte, im Gegenteil. «Weltweit steigt die Bereitschaft eines kleinen, aber immer reicher werdenden Bevölkerungssegments, mehr Geld für Pferde, Know-how, die Teilnahme an Turnieren und das Sponsoring von Turnieren auszugeben», meint Wiegand.

Immer höhere Anreize für immer mehr Einsätze

Alles rosig also? Vielleicht nicht ganz. Denn immer mehr Turniere mit hohen Preisgeldern bedeuten auch immer höhere Anreize für die Reiter, immer häufiger anzutreten. Nicht jeder aber hat drei oder noch mehr Ausnahmepferde, die ihm erlauben, Tiere gleichzeitig ausruhen zu lassen und trotzdem hohe Prämien und Punkte für die Weltrangliste herauszureiten.

«Die Versuchung ist gross, dass die Einsätze pro Pferd zunehmen», sagt Michael Weishaupt, Leiter der Abteilung für Sportmedizin Pferd an der Universität Zürich, «das konnte beobachtet werden und wird in unseren Kreisen seit Längerem diskutiert.»

Bestrebungen, die Einsätze der Pferde zu beschränken, gibt es. «Die FEI steht unter öffentlichem Druck, etwas zu unternehmen», erzählt Montavon, der sich intensiv mit der Materie auseinandersetzt. Ein­fache Lösungen aber gebe es nicht. Zumal nicht bloss die Turniere selbst be­lasten können, sondern auch die Distanz, die bei An- und Abreise zurückgelegt wird: «Aber wenn Sie die Kilometer begrenzen wollen, die ein Pferd zurücklegen darf, protestieren Nationen wie Schweden, Portugal oder Italien, die logischer­weise viel weitere Reisen haben.»

Pferdewohl: Handgelenk mal Pi

Am wichtigsten sei es, sagt Montavon, die Reiter dafür zu sensibilisieren, wie wichtig «gutes Management» sei. Das bedeute etwa, die Einsätze auf jedes Tier einzeln abzustimmen: «Gewisse Pferde brauchen viele Turniere, um ihr Niveau zu halten. Andere kommen schneller wieder in Form.»

Das Pferd selbst kann sich nicht ­ausdrücken. «Es ist angewiesen auf die Sensibilität der Reiter und Trainer», wie es Weishaupt formuliert. Das Problem dabei: Es gibt kaum wissenschaft­liche Daten, die bei Entscheidungen ­herangezogen werden könnten. Pferdemanagement, Belastung? «Das machen alle Handgelenk mal Pi», sagt Weishaupt, «niemand auf der Welt kann ­Ihnen sagen, wie oft ein Pferd über ­einen 1,60 Meter hohen Ochser springen darf.»

Nur zu gerne würde Weishaupt Licht ins Dunkel bringen. Doch während für Turniere Millionen locker gemacht werden, bleiben für die Grundlagen­forschung kaum die Krumen vom VIP-Buffet. Die Stiftung Forschung für das Pferd unterstützte die Uni Zürich auf diesem Gebiet und zahlte neun Jahre lang zwei Doktorandenstellen. 2012 fiel die Zahlung aus – die Gönner-Einnahmen der Stiftung sind eingebrochen.

Unterstützung von Pferdesportverbänden erwartet Weishaupt in nächster Zeit kaum: «Die werden nur ungern kontrolliert.» Und auf grosse Sponsoren mag er nicht hoffen. Zu klein der Glamourfaktor: «Der Alltag der Pferdehaltung hat wenig mit dem Glanz der Luxusmarken zu tun.»

Die weltweite Verteilung der Fünfsterne-Turniere 2013

Ballung in Westeuropa. Frankreich (7), die Schweiz, Deutschland und Spanien (je 5) sind die Nationen mit den meisten Fünfsterne-Turnieren.

Die Haute-Volée in Basel
Zum vierten Mal wird der CSI Basel in der St. Jakobshalle ausgetragen, mit 930’000 Franken Preisgeld das höchstdotierte Hallenturnier der Welt. Allein beim Grossen Preis am Sonntag (13.45 Uhr) beträgt das Rekordpreisgeld 450’000 Franken. Die Haute-Volée des Springreitsports ist in Basel ver­sammelt, neun Reiter aus den Top Ten der Weltrangliste, die Nummer 1, Christian Ahlmann (De), genauso wie der Schweizer Olympiasieger ­Steve Guerdat. Im Showprogramm ist jeden Tag der französische Pferdekünstler Lorenzo zu sehen. Information über Programm und Tickets (am Freitag 40 Franken) unter www.csi-basel.ch

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.01.13

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