Rein in die Zeichnung!

Die Künstler Karim Noureldin, Thérèse Bolliger und Lena Eriksson führen durch die neue Ausstellung «Überzeichnen. Von Basel aus» im Kunsthaus Baselland und sprechen über ihre Werke. Und wie sie das tun!

Fein und reduziert, wie die Stimmung der neuen Ausstellung im Kunsthaus Baselland: Zeichnungen von Lena Eriksson.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Die Künstler Karim Noureldin, Thérèse Bolliger und Lena Eriksson führen durch die neue Ausstellung «Überzeichnen. Von Basel aus» im Kunsthaus Baselland und sprechen über ihre Werke. Und wie sie das tun!

Die Zeichnung hatte nie ein einfaches Los. Selten war sie der Star einer Ausstellung. Sie dümpelte in Vitrinen und fleckigen Skizzenbüchern vor sich hin, als flüchtige Momentaufnahme, als Vorbereitung und Vorstufe zum eigentlichen Werk. Bis die 80er-Jahre die Wende brachten – wenigstens in den Kunstköpfen.

Künstlerinnen und Künstler entdeckten das Potenzial der selbstständigen Zeichnung für sich. Sie fingen an, mit verschiedenen Medien zu experimentieren. Plötzlich wurde die Zeichnung nicht mehr bloss zur Formulierung von Ideen und Modellen gebraucht – sie wurde zum eigentlichen Werk. Und auch ihr Kleid veränderte sich: Die Zeichnung von heute kann aus einer Faltspur bestehen, aus Rissen oder Schraffuren auf verschiedensten Materialien. 

Vom Underdog zum künstlerischen Allrounder – die Zeichnung hat viel hinter sich. Genau hier dockt das Kunsthaus Baselland mit der neuen Ausstellung «Überzeichnen» an. Gezeigt werden 18 Positionen aus verschiedenen Generationen, die das Zeichnen in verschiedenster Art reflektieren und anwenden. Der Untertitel des Ausstellung «Von Basel aus» setzt den lokalen Schwerpunkt.

In Basel erhielt die Zeichnung bereits Ende der 70er-Jahre einen besonderen Stellenwert. Basler Museumsdirektoren und Kuratoren wie Jean-Christophe Ammann oder Dieter Koepplin setzten sich für zeichnerische Werkschauen ein und trugen zum besonderen «Zeichnungsklima» in Basel bei. 

Was zeichnet dieses Klima aus? Wie passt die Zeichnung in die Kunst? Und welchen Stellenwert hat sie nach ihrem Höhenflug in den Achtzigern eigentlich heute noch? Drei Künstler aus zwei Generationen gaben Auskunft und redeten über die Ausstellung in einem kleinen Rundgang entlang ihrer Werke.

Karim Noureldin, «Ohne Titel», 1999



«Heute sieht das aus wie ein Klang»: Karim Noureldin.

«Heute sieht das aus wie ein Klang»: Karim Noureldin. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Karim Noureldin: Hier habe ich keinen Abstand genommen, sondern legte das Blatt auf den Boden und legte mich darauf. Das hat was sehr Körperliches. Und macht das Zeichnen zum Prozess ohne Anfang und Ende. Der Bleistift ist normalerweise ja ein Schreibwerkzeug – die Zeichnung wirkt durch seinen Gebrauch also sehr dicht. In New York, wo ich eine Zeit lang wohnte, hat man diese Art von Zeichnungen von mir als obsessiv bezeichnet. So würde ich die aber nicht bezeichnen, es sind eher Schichtungen.

Karim Noureldin
Studierte in Basel und Zürich. Von 1994 bis 2000 lebte er in New York, ab 2001 in Rom. Seit 2002 lebt und arbeitet er in Lausanne, wo er seit 2002 Dozent für bildende Kunst ist.

Lena Eriksson: Das sehe ich auch so. Die Räumlichkeit hier entsteht ja durch das Organisiertsein, nicht durch eine Obsessivität.

Thérèse Bolliger: Ich kenne dieses Werk aus einer Ausstellung von 1997, da hab ich deine Arbeiten aus New York gesehen. Wesentlich finde ich hier, dass es ungerahmt ist. Das macht den Inhalt nochmal ersichtlich.

Karim Noureldin: Genau. Einerseits passt das zum Medium der Zeichnung: Ihre Natur ist simpel, sie ist immer unmittelbar, du nimmst ein Blatt, du fängst sofort an, du brauchst keine Leinwand oder Vorbereitung. Andererseits gestaltet sich ohne Rahmung das Konservieren schwierig. Das hat mich schon immer gestört. Dafür sehe ich das Bild heute nach fast 15 Jahren ganz anders als damals, als ich es gemacht habe. Viel musikalischer, wie eine Partitur oder eine Art Klang. 

Thérèse Bolliger, «Intimations», 2015



In Bewegung: Thérèse Bolliger neben «Intimations».

In Bewegung: Thérèse Bolliger neben «Intimations». (Bild: Alexander Preobrajenski)

Thérèse Bolliger: Ich war wie Karim und Lena auch in Basel, bin nach meinem Abschluss allerdings sofort nach Amerika. Zuerst nach Kanada und dann nach Mexiko.

Therese Bolliger
Studierte in Bern und Basel. Macht Zeichnungen, Plastiken und Installationen und lebt, arbeitet und unterrichtet seit 1965 in Kanada.

In dieser ganzen Zeit hatte ich immer Kontakt mit Basel. Dieses Herkommen und Weggehen war immer ein Teil meiner Arbeit. Für mich ist die Idee der Zeitgleichheit sehr wichtig. Die Aufgabe des Künstlers ist die Vergegenwärtigung des Denkens und Empfindens der Vergangenheit und Gegenwart. Ob etwas zeitgemäss ist oder nicht – es beeinflusst sich immer gegenseitig und steht in Bewegung. Diese Bewegung ist mir wichtig, das sieht man auch hier: Die Bilder sollen ineinander übergehen. Es sind Vorschläge, die aus dem Hintergrund heraustreten. Bewegung, auch für den Betrachter, der hin und her laufen muss, um sie zu erfassen. 



Thérèse Bolligers «Transference» ist Zeichnung aus dem Innersten.

Thérèse Bolligers «Transference» ist Zeichnung aus dem Innersten. (Bild: Alexander Preobrajenski)


Thérèse Bolliger: Diese Arbeit hier ist von 1985, als ich in Toronto war. Hier bin ich erstmals weg von dreidimensionalen Arbeiten und hin zur Zeichnung. Meine Arbeit wurde viel persönlicher. Plötzlich ging es um mich und mein Nomadentum, um Psychoanalyse. Für die Ausstellung haben wir diese Bilder ausgewählt, und es passierte das, was ich mit dieser Zeitgleichheit meinte: Seit 30 Jahren hatte ich diese Kiste nicht mehr angeschaut. Und jetzt war sie plötzlich wieder da und interessierte mich, brachte mich dazu, etwas zu überdenken, das ich damals vielleicht gar nicht artikulieren konnte. Die Idee vom Nomaden mit dem Bündel (links) und die Idee vom Gesicht im Prozess, und dann das Nest, das vom Geschütztsein, aber als Kranz auch von Trauer handelt, und zuletzt die unbeschriebene Fläche – alles Zeichen einer kollektiven Identität, die im Prozess des Weggehens verloren geht.

Lena Eriksson, «Une année d’artiste», 2014/2015



Minimal strukturiert: Ausstellungsansicht von «Überzeichnen. Von Basel aus»

Minimal strukturiert: Ausstellungsansicht von «Überzeichnen. Von Basel aus»


Lena Eriksson: Als ich in Sion studiert habe, sagte man mir stets, ich sei Basler Schule (lacht). Und das bezog sich auf die grossen Basler Zeichner, beispielsweise Silvia Bächli. Dabei habe ich mich damals noch als Malerin definiert, gezeichnet habe ich da nur als Vorbereitung, nicht als tatsächliches Werk zum Ausstellen. Erst später wurde das Zeichnen für mich zentraler, auch für verschiedene Medien, wie die NZZ, die einmal im Monat vier Zeichnungen von mir abdruckt.

Lena Eriksson 
Studierte in Si­er­re und Si­on. Lebt und arbeitet seit 1998 in Ba­sel. Erikssons Arbeit schlägt sich in Zeich­nung, Vi­deo, In­stal­la­tio­nen, Per­for­mance und Kon­zep­ten nie­der – sie selbst nennt ihr Werk «po­ly­morph».

Meine Werke sind aber keine Illustrationen oder wenn, dann Illustrationen des Lebens, von Mechanismen und Gefügen. Es sind auch keine Aufträge, ich schicke sie und sie werden abgedruckt.

Karim Noureldin: Die Hängung ist interessant.

Lena Eriksson: Keine Ahnung, wie die Idee dazu kam, vielleicht vom Wortspiel, ich weiss es nicht mehr. Ich bin nicht interessiert daran, alles zu zeigen. Es sind Werke eines ganzen Jahres, 2014/2015. 

Thérèse Bolliger: Ich mag den Prozess, der bei dir ersichtlich wird. Und dass immer etwas offen bleibt, es ist nicht endgültig, auch von der Präsentation her, es bleibt offen.



Karge Sache (wobei: Hier ist auch Zeichnung präsent! Wer die Ausstellung besucht, wird sehen, warum.)

Karge Sache (wobei: Hier ist auch Zeichnung präsent! Wer die Ausstellung besucht, wird sehen, warum.) (Bild: Alexander Preobrajenski)

Karim Noureldin: Was mir auffällt, ist, dass in dieser Ausstellung doch alles sehr minimal und schwarzweiss ist. 

Thérèse Bolliger: Die Räumlichkeiten hier unterstützen das aber auch.

Karim Noureldin: Klar. Es sind keine einfachen Räume, doch zu dieser Ausstellung passen sie sehr gut. Jeder Raum ist anders und unterstützt die Zeichnungen in ihrer Stimmung. Das ist bemerkenswert. Ich kenne diese Stimmung, sie ist so, wie ich Basels zeichnerische Atmosphäre kennengelernt habe: reduziert. Ich frage mich, ob das immer noch so ist heute. Ganz junge Künstler sind ja hier nicht vertreten.

Lena Eriksson: Sie definieren sich nicht mehr nur als Zeichner.

Karim Noureldin: Vielleicht ist es auch einfach kein Thema mehr. Es gibt nicht mehr nur eine Arbeitsweise, der man treu bleibt. Das sehe ich bei meinen Studenten: Die brauchen das Zeichnen nicht mehr bewusst als einziges Medium. Man kann das alles nie verallgemeinern, aber es ist schon so: Für uns war Zeichnen ein Statement, ein bewusstes Commitment. Mittlerweile brauchst du das nicht mehr, du kannst dich in verschiedenen Medien bewegen. 

Lena Eriksson: Man macht den Bachelor da und den Master dort, die Residency nochmal woanders.

Thérèse Bolliger: Die, die bei mir Zeichnen verfolgt haben, machen jetzt fast alle Performance. Sachen, die vergänglich sind.

Karim Noureldin: So schliesst sich der Kreis.

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«Überzeichnen. Von Basel aus», 18. September bis 15. November 2015, Kunsthaus Baselland. 

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