Reinhard Mucha muss man nicht verstehen, sondern erleben

Nach 30 Jahren ist der Düsseldorfer Künstler Reinhard Mucha wieder in Basel zu Gast. Er zeigt eine wirre Ansammlung von Werken, die kaum zu enträtseln ist. Die Besucher können sich getrost dem Genuss widmen.

Sexy ist anders: Reinhard Mucha im Gegenwartsmuseum.

(Bild: Gina Folly)

Nach 30 Jahren ist der Düsseldorfer Künstler Reinhard Mucha wieder in Basel zu Gast. Er zeigt eine wirre Ansammlung von Werken, die kaum zu enträtseln ist. Die Besucher können sich getrost dem Genuss widmen.

Noch bevor die zwei anderen Häuser des musealen Basler Dreigespanns die grosse (Wieder-)Eröffnung feiern dürfen, verkündet das Museum für Gegenwartskunst nicht ohne Stolz die Ankunft des Düsseldorfer «Modellbau-Künstlers» Reinhard Mucha. Kurator Søren Grammel musste lange auf diesen Augenblick warten: Reinhard Mucha ist für seine Zurückhaltung bei der Annahme von Ausstellungseinladungen bekannt. Abgesehen von einem kleineren Auftritt an der Art Basel war er das letzte Mal vor fast dreissig Jahren hier zu sehen, damals noch in der Kunsthalle.

Nun hat der zurückhaltende Künstler also wieder zugesagt und zeigt ein im wahrsten Sinne kryptisches Sammelwerk. Mucha sammelt nämlich lieber, als dass er das Gesammelte dann auch wirklich ausstellt. Er greift bestehende Arbeiten immer wieder auf und bezeichnet nur ungern etwas als abgeschlossen

Monumental trifft monumental

Entsprechend unübersichtlich ist die Ausstellung im Obergeschoss am St. Alban-Rheinweg: Sie setzt sich aus etlichen Versatzstücken aus dem Werk des 66-Jährigen zusammen, die zum Teil aus anderen Arbeiten hervorgegangen sind oder neu kombiniert wurden. Einen ersten zentralen Orientierungspunkt in der Ausstellung bildet eine monumentale Installation am Eingang mit dem ebenso monumentalem Titel

«Ohne Titel (MILCH) – 1:1 Modell des ausjurierten Beitrags zu ‹Kunst am Bau – Eingeladener Wettbewerb› für die Volkswagen Universitätsbibliothek der Technischen Universität und der Universität der Künste Berlin 2004». 

Es handelt sich dabei um eine Wand aus gleissend hellen Neonröhren auf der einen Seite und einen wie eine Werbung anmutenden Schriftzug auf der anderen. Auf beiden Seiten sind jeweils vier Fahrräder in Paaren angekettet.  



Langer Namen, längere Leitung: Muchas «Ohne Titel (Milch)».

Langer Namen, längere Leitung: Muchas «Ohne Titel (Milch)». (Bild: Gina Folly)

Das eigentliche Herzstück ist der «Frankfurter Block»: Er setzt sich aus vielen verschiedenen Arbeiten zusammen, die Titel tragen wie «[Capriccio] – Wie der tote Hase mit den Bildern verkehrt» oder «Gewusst wodurch, nicht wissen womit. Gewusst wohin, nicht wissen wobei». Sie befinden sich zum Teil in, zum Teil auf und dann wiederum um Vitrinen herum. Das Ganze wird wiederum von einem in den Raum gestellten Raum umfasst.

Alles klar?

Reinhard Muchas Werk ist – so viel ist nach einem ersten Augenschein sicher – leicht anzuschauen, aber schwer zu lesen. Die stark ästhetisierten Objekte aus meist industrieller Fertigung, aus Aluminium, Glas und Holz werden mit altmodischen Archivtechniken wie Vitrinen und Aktenmappen versehen und sind durchsetzt mit Schwarzweiss-Videos und -Fotografien, die zum Teil Ansichten früherer Ausstellungen zeigen. Oder auch einfach nur Pralinenverpackungen. Was üblicherweise versteckt oder zur Eröffnung weggeräumt wird – etwa Kabelrollen und Möbelroller – wird hier Teil der Kunstschau.



Das gehört sich so.

Das gehört so. (Bild: Gina Folly)

Womit wir beim Problem wären: Alles an dieser Ausstellung ist vermischt und verbunden, im Grunde völlig unentwirrbar. Und daraus ergibt sich auch der ganze Spass für die Besucher, denn bei einem ohnehin hoffnungslosen Entwirrspiel kann man auch nichts wirklich falsch machen. Hin und wieder trifft man auf autobiografische Stücke, bei denen man immerhin Sinnbezüge herstellen kann. Wie «Der kluge Knecht», ein gerahmter Meisterschülerbrief vom Künstler selbst. Das Werk verweist auf die gleichnamige Geschichte der Gebrüder Grimm, die zu Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit aufrief.

Vergebliche Sinnsuche

Offenbar tun sich auch andere schwer, den Düsseldorfer einzuordnen: Einen möglichen Nachfolger Beuys‚ nannte man ihn, mit dem französischen Künstler Christian Boltanski wird er in Verbindung gebracht, hin und wieder hört man die Namen Anselm Kiefer oder Donald Judd. Das Etikett «postminimal» würde zu Muchas Objekten passen, irgendwie aber auch nicht so recht, und letztlich hilft das alles doch nichts: Mucha ist nicht zu fassen und einen Catalogue Raisonnée zur Orientierung sucht man hier ebenfalls vergeblich.

Eines noch: Reinhard Mucha fährt gerne Rad. Ob das wichtig ist, sei dahingestellt, aber jede Beschreibung des Künstlers ist offensichtlich unvollständig, wenn dies nicht erwähnt wird. Also steht es hier auch: Mucha mag Fahrradfahren. Vielleicht fährt er umher und entdeckt Dinge neu, an denen er schon hundertmal vorbeifuhr, brütet Gedanken aus, die ihm ohne den stetigen Wind nicht gekommen wären. Vielleicht sollten auch wir die Ausstellung als Fahrradtour begehen: den Kopf in den Wind strecken, in ständiger Bewegung bleiben und nach dem Ausflug die Fahrt um einige Erfahrungen reicher wieder dort beenden, wo sie begann.

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Reinhard Mucha, Museum für Gegenwartskunst, 19.März bis 16.Oktober 2016.

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