Revolutionsrevue

Eine Pussy Riot-Figur wünschte ein schönes Konzert, ein russischer Botschafter pries die kulturelle Freiheit seines Landes – fast wurde es beim Eröffnungskonzert des Festivals Culturescapes Moskau politisch. Aber nur fast.

Eindrücke der feierlichen Eröffnung des diesjährigen Culturescapes-Festivals (Bild: Alexander Preobrajenski)

Eine Pussy Riot-Figur wünschte ein schönes Konzert, ein russischer Botschafter pries die kulturelle Freiheit seines Landes – fast wurde es beim Eröffnungskonzert des Festivals Culturescapes Moskau politisch. Aber nur fast.

Mit tiefem Brodeln, schrillem Pfeifen und einem unaufhörlich hämmernden Rhythmus rollte die Klangwalze daher, quer durch den Musiksaal im Stadtcasino, unaufhaltsam. Alexander Mossolows «Eisengiesserei» ist eine Wucht, der man sich nur schwer entziehen kann – erst recht nicht, wenn diese Maschinenmusik für Orchester von 1926 so unerbittlich gespielt wird wie von der Basel Sinfonietta. Selten wird man schon in den ersten Minuten derart wach gerüttelt.

Was dieser gross besetzte Klangkörper unter der Leitung von Philippe Bach hier aufs Podium brachte, entstammt einer kühnen programmatischen Idee. 1927 wurden Werke der damals bedeutendsten Vertreter der russischen Komponistenzunft an einem Galakonzert zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution aufgeführt – neue, revolutionäre Musik sollten es sein.

Dieses Konzertprogramm erklang nun zur Eröffnung des Festivals Culturescapes Moskau ein zweites Mal. Doch lediglich einen heute bekannten Namen findet man darin: Dmitri Schostakowitsch, der als Zwanzigjähriger seine zweite Sinfonie für diesen Anlass komponierte. Alle anderen sind inzwischen mehr oder weniger vergessen.

Wenig revolutionärer Furor

Von revolutionärem Furor war denn auch wenig zu hören, stattdessen eine überraschend zarte Melodik in Leonid Polowinkins «Teleskop II» (hier als Schweizer Erstaufführung), eine bilderreiche musikalische Erzählweise in Nikolai Roslawez‘ sinfonischer Dichtung «Komsomolija» und die trotz aller atonalen Anklänge doch recht runde, ausbalancierte Harmonik in Arthur Louriés «Im Tempel des goldenen Traumes» für gemischten Chor a capella.

Wirklich radikal klangen nur Alexei Schiwotows «Fragmente» für Nonett op. 2 – neun kurze, ungemein verdichtete Sätze, in denen sich die Mitglieder der Basel Sinfonietta als hervorragende Kammermusiker präsentierten – und eben Dmitri Schostakowitschs zweite Sinfonie. Geradezu unheimlich ist ihr Beginn, ein undurchsichtiges dumpfes Murmeln, das sich langsam erhebt, erbebt, bis die Fabriksirene aufheult.

Andere Klangkultur

Klar und kantig artikulierte bei all dem die Basel Sinfonietta, stringent war die dramaturgische Disposition der Interpretationen durch den Dirigenten Philippe Bach. Nie liess er blosses Tonchaos walten, stets sorgte er für einen kontrollierten, fein ausdifferenzierten Ausdruck.

Von gänzlich anderer Klangkultur geprägt zeigte sich der Chor der russischen Musikakademie Gnessin «Altro Coro» unter der Leitung von Alexander Ryzhinsky: Dunkel und rund klangen die Stimmen, von den weichen Konsonanten der russischen Sprache gewärmt, doch von ihren wolligen Beiklängen an musikalischer Präzision gehindert.

Diskussionswürdige Äusserungen

«Wir kamen und forderten: Gebt Brot und Arbeit!» sang dieser Chor in Schostakowitschs zweiter Sinfonie am Schluss des Konzerts – ein ferner Nachhall einstiger Politik. Heute stehen andere Themen auf der russischen Agenda; unter anderem Pussy Riot. Zu Beginn des Abends tänzelte eine Frau mit zitronengelber Sturmhaube elfenhaft über die Bühne und flötete mit zarter Stimme auf russisch und deutsch: «Ich wünsche ihnen ein schönes Konzert».

Das konnte der russische Botschafter Alexander Vasiljevitsch Golovin freilich so nicht stehenlassen und stellte – nach den braven Ansprachen von Festivaldirektor Jurriaan Cooiman und Regierungspräsident Guy Morin – klar, Russland sei ein Land, das freies kulturelles Schaffen ermögliche. Unentschiedener, von ein wenig Gelächter begleiteter Applaus folgte auf diese diskussionswürdige Äusserung. Offenbar ist politische Kontroverse im Konzertsaal nicht erwünscht. Mit jeder Regieleistung auf der Opernbühne geht das Publikum kritischer ins Gericht.

  • Live ist dieses Programm am Freitag, den 19. Oktober 2012 um 19.30 Uhr in der Tonhalle Zürich zu hören.
  • Das weitere Festivalprogramm finden Sie hier.

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