«River of Fundament»: So schwer verdaulich wie der eigene Ehemann im Darmtrakt

Über sechs Stunden lang Gesang, Genitalien und Geschwurbel: Matthew Barneys neues Filmprojekt braucht starke Nerven, einen wachen Geist und gehörig Sitzpolster.

So sieht die Reinkarnation eines Autos aus. Jedenfalls glaube ich, das sei so gemeint gewesen.

Über 6 Stunden lang Gesang, Genitalien und Geschwurbel : Matthew Barneys neues Filmprojekt «River of Fundament» braucht starke Nerven, einen wachen Geist und gehörig Sitzpolster.

Er ist ganz gut gefüllt, der Saal, in dem die Generalprobe von Matthew Barneys «River of Fundament» gleich stattfinden wird: Journalisten, Kunstgeschichte-Studenten und Schaulustige haben sich eingefunden, um ein über sechs Stunden langes Spektakel über sich ergehen zu lassen, auf das die Bezeichnung «Film», wie sie im Titel des Werks gebraucht wird, eigentlich gar nicht zutrifft. Zumindest nicht ausreichend.

Denn «River of Fundament» ist kein herkömmlicher Film: Es ist ein Kunstfilm, ein Hybrid aus Performance, zeitgenössischer Oper, Theater und Film, zusammengehalten von unzähligen Querverweisen durch die amerikanische Kunst- und Kulturgeschichte. Genau darin liegt auch die Schwierigkeit dieses Monumentalwerks: Wie die meisten Kunstfilme ist «River of Fundament» ohne Vorkenntnisse fast nicht auszuhalten. Selbst an der Pressekonferenz – an der fast ausschliesslich Menschen teilnehmen, die mit Barneys Werk vertraut sind – wird eine Pressemitteilung mit ausführlichen Informationen verteilt, ohne die es auch für Kenner schwierig wäre, dem ohnehin schon sehr dünnen Faden des Films zu folgen.

700 Seiten Inspiration

Zentral für «River of Fundament» ist «Ancient Evenings», ein 700-Seiten-Wälzer des amerikanischen Schriftsteller Norman Mailer, in dem ein Mann namens Menenhetet I zweimal hintereinander im Schoss seiner Ehefrau wiedergeboren wird. Als ob das nicht schon anstrengend genug wäre, muss er dazu noch jedes Mal einen «Fluss der Fäkalien» durchqueren – die Wiedergeburt erfolgt nämlich durch den Darmtrakt. Menenhetet nimmt diese Strapazen auf sich, um vom Edelmann zum Pharao emporzusteigen – beim dritten Mal misslingt jedoch die Wiedergeburt, weil er im Mutterleib stecken bleibt. Die Kritik zum Buch als es 1983 rauskam, war flächendeckend vernichtend: Journalisten sprachen von einem Wälzer voller Monströsitäten, Schwulst und unfreiwilliger Komik und die New York Times titelte schlicht: «Ein Desaster.» 

Reise durch die Kloakenhölle: Der Protagonist Norman auf dem Weg zu seiner Wiedergeburt.

Parallel dazu gibt es noch einen Handlungsstrang, in dem es um die Reinkarnation eines Autos geht (was sich weiter gar nicht wirklich erklären lässt: Das Auto wird eingeschmolzen, erwacht in einer anderen Autohülle zu neuem Leben etc.). Diese Geschichte wird in Form von gefilmten Live-Perfomances erzählt, die zwischen 2008 und 2013 in New York, Los Angeles und Detroit stattfanden. Untermalt sind die drei Akte mit einer Bandbreite an Gesang, die von Schreien bis Murmeln alles abdeckt und mit zauberhaften (Totenschmaus für Norman, gigantische Schmelze) und weniger zauberhaften (tropfende Genitalien, Fäkalien in allen Formen und Farben) Bildern.

Für die Inszenierung dieser dichten Story hat Barney die Crème de la Crème des New Yorker Kulturbetriebs um sich geschart: Salman Rushdie (der zwar nur einmal kurz auf einem Balkon steht und nach drei Sätzen wieder abhaut), die Schauspielerin Maggie Gyllenhaal (die erstaunlich schön singt), Blondie, Jeffrey Eugenides und natürlich Matthew Barney selbst sind nur einige der grossen Namen, die – teils mehr, teils weniger prominent – im Film auftauchen.



Die Schauspielerin Maggie Gyllenhaal ist nebst vielen anderen New Yorker Berühmtheiten mit von der Partie.

Die Schauspielerin Maggie Gyllenhaal ist nebst vielen anderen New Yorker Berühmtheiten mit von der Partie.

Sechs Stunden Schwerstarbeit

Gegen Ende der Generalprobe haben sich die Theatersitze gelichtet. Auch wenn im Titel «A Film by Matthew Barney and Jonathan Bepler» steht, mit Kinovergnügen hat «River of Fundament» nichts zu tun. Stattdessen erwarten einen sechs Stunden lang Schwerstarbeit: Ständig versucht man hinter die Story zu kommen, die Analogien auf dem Servierteller (alles schreit: «Ich beziehe mich auf etwas!») zu verstehen und die penetrante Geräuschkulisse auszuhalten, die einfach nicht abebben will.

Auch mit Informationen zum Projekt sind diese sechs Stunden mindestens so schwer verdaulich wie der eigene Ehemann im Darmtrakt.

Auch mit Informationen zum Projekt sind diese sechs Stunden mindestens so schwer verdaulich wie der eigene Ehemann im Darmtrakt. Trotzdem: Wer eingefleischter Barney-Fan ist, sich einliest, sich nicht vor tropfenden Genitalien und Ausscheidungsszenarien ekelt, Musik mag und gerne Promis spottet, wird diesen Overkill vielleicht nicht lieben aber zumindest mögen. Und sonst kann man –  dank weichem Theatersitz – die Vorstellung immer noch mit einem kleinen Nickerchen zwischendurch erträglicher machen.

_
«River of Fundament» – Eine filmische Oper von Matthew Barney und Jonathan Bepler
. Schweizer Premiere: Donnerstag, 19. Juni, Theater Basel

Mehr über die filmische Oper von unserem Kino-Blogger Hansjörg Betschart im Lichtspiele-Blog.

Der Trailer zum «Film»:

Nächster Artikel