Rock in der Vitrine, Rap in der Zelle

Grossandrang im Museum für Musik: 400 Interessierte besuchten die Vernissage der Sonderausstellung «pop@basel» – und genossen die Zeitreise in die jüngere Musikvergangenheit.

(Bild: Livio Marc Stöckli)

Das Museum für Musik lädt zu einer neuen Sonderausstellung: «pop@basel – Pop und Rock seit den 1950ern» gibt in multimedialer Form Einblicke in die jüngere Musikgeschichte der Region Basel. Und streift dabei auch Jugendbewegungen, Medienwandel und Modeerscheinungen.

Es ist ungewöhnlich, dass eine Ausstellungsvernissage nicht im Museum selber eingeläutet wird. Im Fall von «pop@basel», der neuen Sonderschau des Museums für Musik, lud das Historische Museum Basel (HMB) in die angrenzende Leonhardskirche. Und das in weiser Voraussicht, wie sich am Donnerstag Abend zeigte. Die Zugkraft von «Pop und Rock seit den 1950ern» – so der Untertitel – war beachtlich. «Wir rechneten mit rund 250 Leuten», sagte Eliane Tschudin vom HMB. Gar 400 Interessierte tauchten auf, um der feierlichen Lancierung dieser Sonderschau beizuwohnen, die mit Musik und ihren Begleiterscheinungen (vice versa) die Sozialisierung vieler Menschen in unserer Gesellschaft reflektiert.

«These Are The Days Of Our Lives» sang Roli Frei, der mit Soulful Desert musikalisch umrahmte, zur Einstimmung in der Kirche. Der Basler Sänger und Songwriter setzte mit der Ballade von Queen einen thematisch treffenden Auftakt.

Sometimes I get the feelin‘
I was back in the old days – long ago

Das Rad der Zeit drehte Marie-Paule Jungblut, Direktorin des Historischen Museums, in ihrer Begrüssung zurück. Sie nahm Bezug auf das Plakat, das eine Audiokassette abbildet und erklärte dieses zum Symbol für Erinnerungen, für Emotionen, als Datenträger von politischen und erotischen Texten, Soundtrack von Um- und Aufbrüchen. So wie die Ausstellung für «eine gefühlsgeladene Reise in die Alltagskultur» stehe.

«Die Klassik unserer Tage»

Basler Rock ist also reif fürs Museum. Das wirft Fragen auf. «Kann man etwas so Lebendiges in Vitrinen zeigen?» fragte sich Tobit Schäfer, Geschäftsführer des RFV, als ihm die Ausstellungsidee vor rund drei Jahren erstmals zugetragen wurde. Die anfängliche Skepsis sei rasch verflogen, sagte er, man habe das Projekt gerne unterstützt.

Baschi Dürr streute in seiner launigen Ansprache das Gerücht, er sei wohl aufgrund seiner Jugendlichkeit von den KollegInnen im Regierungsrat an diesen Anlass entsandt worden. Dabei ist auch dem U-40er klar, dass Pop & Rock von der Begleitmusik der Protestbewegungen längst zum Standard geworden ist, «zur Klassik unserer Tage», so Dürr. «Ein schöner Erfolg für alle, die dazu beigetragen haben.»

Einige Musiker, die dazu beigetragen haben, waren auch anwesend: Der noch immer rüstige Werner Kunz etwa, der 1957 mit den Hula Hawaiians die erste Rock’n’Roll-Nummer der Schweiz aufnahm, sah sich im Museum mit seinen frühen Musikerjahren konfrontiert. Auch Nando Gasparini, der als Schlagzeuger der Beatband The Sevens in den 1960ern die Mädchen zum Kreischen brachte, besuchte die Vernissage, ebenso Cla Nett (Lazy Poker) oder Singer-Songwriterin Bettina Schelker. Und mit Baschi Bürgin sichtete man gar einen U-30er unter den Gästen.

All den erwähnten Musikern begegnet man auch in der Ausstellung, die nun zehn Monate lang im Lohnhof zu sehen sein wird: Sei es in Filmen, auf Plattenaufnahmen oder in Vitrinen, wo Instrumente, Medien und Platten ausgestellt sind. Aber auch ein frisiertes Rocker-Töffli, der Leuchtschriftzug des Plattenladens Roxy (snüff!) oder die Türe des alten Hirscheneck-Kellers vermitteln Gefühle für Szenen und Epochen. «Weisch no!», hörte man viele Vernissagengäste sagen. Denn, das sagte Kurator Martin Kirnbauer auch bei seiner Eröffnungsrede: «Jeder bringt seine eigene Geschichte mit.»

Begegnungen mit Bands und Bewegungen

Man kann sich vorstellen, welch grossen Aufwand Kirnbauer und sein Team betrieben haben, um all die Exponate aufzutreiben, die im Unterschied zu den alten Sammlungsgegenständen dieses Museums fast ausschliesslich in Privatbesitz sind. Drei mal so gross wie bisherige Sonderausstellungen sei «pop@basel» geworden, fügte der Museumsleiter hinzu. Das ist gut so! Und doch fehlt ihm noch immer ein Ausstellungsstück: Das alte Schild des Restaurant Atlantis. Kirnbauer hofft, dass dieses bald im Museum eintrifft.

So schreitet man durch die Ausstellung, vorbei an Beatbands aus den 60ern, den Konzertplakaten der 70er-Jahre oder den Punkjacken aus den 80ern. Ganz zu schweigen von gesellschaftlich prägenden (Begleit-)Erscheinungen: Die Kaiseraugst-Proteste (zu denen Aernschd Born den Soundtrack lieferte), die Alte Stadtgärtnerei (die gewaltsam geräumt wurde) oder das TagesWoche-Video der Favela-Räumung während der diesjährigen Art Basel. «Die Musik war der ursprüngliche Auslöser für diese Polizeiaktion», rief Kurator Kirnbauer in Erinnerung – und konterte damit indirekt Baschi Dürrs zuvor gemachte Aussage, wonach Popmusik zum Mainstream geworden sei. Denn dem angepassten Mainstream würde man wohl kaum mit einer Spezialeinheit und Gummischrot begegnen.

Mundartrap in der Gefängniszelle

Das Favela-Video ist das jüngste Exponat in der Ausstellung, Jugendliche finden aber noch etwas anderes Zeitgenössisches: Einen Song der Band Sheila She Loves You, den man an einem Mischpult remixen kann – und daneben lässt sich auch die Funktionsweise einer E-Gitarre erpröbeln. En passant fängt man auch den ersten Auftritt der Lovebugs (herrlich schröppelig) und den Beginn des Mundartrap ein: Der Videoclip zu «Murder by Dialect» von P-27 und Black Tiger läuft auf einem Fernseher in einer der Gefängniszellen. Der Hip-Hop, früher Symbol für eine Jugendbewegung, die mit Graffiti die Grenzen der Legalität überschritt, landet in einem ehemaligen Gefängnis. Was vor 20 Jahren entfesselnd wirkte, ist schon museumsreif.

Wie sagte doch Kurator Martin Kirnbauer bei seiner Ansprache? Jeder hat seine eigene Meinung darüber, was die Definition von Pop und Rock angeht. Und seine eigene Geschichte. Damit entzieht sich das Museum möglichen Kritikern, die gerne mehr von X und weniger von Y sehen würden. Aber es nimmt auch alle Zeitzeugen von gestern und heute in die Pflicht, die Geschichte mitzuschreiben: Man kann seine eigenen Eindrücke schildern und ins Internet einspeisen; in Form eines Blogs kann jedermann und jede Frau die eigene Meinung kundtun, sei es in Text-, Bild- oder Videoform. Zudem wird eine interaktive Karte erstellt mit Orten, an denen es Live-Musik gibt und gab.

Was zeigt, dass das Historische Museum technologisch mit der Zeit geht. So werden diese Streifzüge durch die Vergangenheit mit den Medien der Gegenwart gekoppelt. Und bilden am Ende ein Versprechen für die Zukunft. Mehr davon!

Cos these are the days of our lives
They’ve flown in the swiftness of time
These days are all gone now but some things remain

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