«Rohstoff – Eine Verarbeitung»: Mit Ariane Andereggen in die Tiefen des Theater Basel

Die Schauspielerin Ariane Andereggen bringt den globalen Rohstoffhandel ins Theater. Und taucht lustvoll in Abgründe ein. Heute Abend ist die Performance im Schauspielhaus zu sehen.

Die Ruhe selbst. Ariane Andereggen kurz vor der Premiere ihrer neuen Performance. (Bild: Nils Fisch)

Die Schauspielerin Ariane Andereggen bringt den globalen Rohstoffhandel ins Theater. Und taucht lustvoll in Abgründe ein.

Alles ist eng an diesem Dienstag. Die Generalprobe von Ariane Andereggens Performance «Rohstoff – Eine Verarbeitung» schiebt und schiebt sich hinaus. Und dann hat sie sich auch noch beschwatzen lassen, am selben Nachmittag dieses Interview zu geben – zweieinhalb Stunden bevor im Foyer des Schauspielhauses die Vorstellung beginnt.

Den Tag wird sie wohl als stressig empfinden, doch im Gespräch ist davon keine Spur. Andereggen ist ruhig. Sie ist gross gewachsen, alles an ihr ist feingliedrig, eine Erscheinung. Vielleicht hat sie gerade das rechte Cocktail an Erfahrung im Rücken, um jetzt locker zu bleiben. Sie stammt aus Ermatingen am Bodensee, auch bekannt als der langweiligste Ferienort der Schweiz, ist Mitte vierzig und ausgebildet als Schauspielerin, Musikerin und Medienkünstlerin. Alternative Theaterformen hat sie stets mit Engagements an etablierten Häusern verbunden.

«Shakespeare spielen ist Erholung»

Seit 2012 ist sie Ensemblemitglied am Theater Basel und aktuell als Helena in «Ein Sommernachtstraum» zu sehen. Während zum 450. Geburtstag des grossen Dichters von überall her Sätze schallen wie: An Shakespeare kann man nur scheitern, wenn auch gewinnbringend, dann sagt Andereggen: «Shakespeare spielen ist Erholung.»

Ihre «Rohstoff»-Performance ist tatsächlich recht anders entstanden als die Auseinandersetzung mit einer Rolle. Über Medien aller Art hat sie sich in die Mechanismen des globalen Rohstoffhandels hineingegraben. Zusammen mit Ted Gaier, ebenfalls Universalist und Musiker bei der Hamburger Punkband «Die Goldenen Zitronen», bastelte sie daraus eine Collage.

Während anderthalb Stunden steigt man dabei vom Foyer des Schauspielhauses in dessen Katakomben hinab, wie in den Schacht einer Mine. Gaier und Andereggen erzählen wild umherschweifend von den Zusammenhängen der Abzocke, es gibt Tonaufnahmen eines schönredenden Glencore-Sprechers, Videoaufnahmen von ausgeboteten Arbeiterinnen im Kongo und einen fast ausbrechenden Streit zwischen Andereggen und Gaier.

Freude am stören

Der letzte Durchlauf war noch recht roh. Doch das passt zur Sache. «Es ist rohe Information, noch nicht raffiniert», sagt Andereggen. Das Wissen, das sie sich angeeignet hat, stammt aus ihrem Medienkonsum und ergibt alles andere als den Vortrag einer Fachfrau. Genau das gefällt ihr. Sie hatte bis vor Kurzem keine Ahnung von der Materie und auch nicht, wie tief sie als konsumierende Bürgerin verstrickt ist in die Mechanismen der Unterdrückung. «Die Branche hat natürlich grösstes Interesse daran, dass ihr Treiben Expertenwissen bleibt.» Umso mehr Freude hat Andereggen daran, sich einzumischen, «frech und unbefugt» in das Gebiet der Mächtigen vorzudringen. Störung durch Mitteilung. Einfach dadurch, dass sie sich als normale Bürgerin schlau gemacht und die allen zugänglichen Kanäle benutzt hat

Bleibt die Frage, was die Performance interessant macht. Man könnte auch einfach eine Zeitung lesen. «Was am Schluss herauskommt, ist mein Quirl. Darauf lege ich wert, das ist so eine emanzipatorische Haltung. Natürlich gibt es ein Risiko, ob das jemanden interessiert. Aber selber denken finde ich schon cool.» Das stimmt, ein Risiko besteht. Doch was Andereggen neben ihrem Rohstoffquirl (oder eben ihrer Rohstoffverarbeitung) vorführt, ist die Geste, sich als Nichtexpertin Zugang zu dieser unüberschaubaren Welt zu verschaffen.

«Die Gesellschaft funktioniert nur durch Überforderung»

Damit sucht sie einen Weg, der in die entgegengesetzte Richtung geht, wie die populistische Meinungsbildung, die vor allem darum bemüht ist, komplexe Zusammenhänge zu reduzieren und einfache Ressentiments dabei herauszuschlagen. Damit trifft sie das Bedürfnis der Gesellschaft, die sich überfordert fühlt durch die Entwicklung einer Welt, die unübersichtlich geworden ist. «Alle sind immer überfordert», sagt Andereggen, «die Gesellschaft funktioniert nur durch Überforderung. Aber die wenigstens geniessen das. Es wäre eine subversive Haltung, Überforderung zu geniessen, statt sich durch Komplexität einschüchtern zu lassen.»

Überforderung geniessen, das klingt gut. Das Tool könnten die meisten von uns gut gebrauchen. Wie geht das bitte, Frau Andereggen? «Ich bin da wie ein wunderbarer Professor, der die Informationsteile zusammenfügt und sich erlaubt, sie zu benutzen. Ich wundere mich, wie wenig eigenständig benutzt wird. Die ganze Stadt könnte man anders benutzen. Es geht um Wahrnehmung: Was kann man tun, um sich lebendig zu fühlen? Manchmal, wenn ich nach Hause fahre, mache ich ganz weit die Augen auf und schaue die Volumen der Häuser an, die ich sonst nicht sehe. Wenn ich immer die gleichen Wege gehe, verstaube ich im Kopf. Änderung macht mich wach.»

«Ich bin keine Moralsau»

Wach statt Frust. Andereggen will sich von den Überforderungen nicht beklemmen lassen, sondern die Gestaltung in die Hand nehmen. A propos. Sie besitzt ein Smartphone, dass auf genau die ungerechte Weise produziert wurde, die sie in ihrer Performance dokumentiert. Ob sie damit leben kann? «Klar. Ich bin keine Moralsau.»

Es ist auch nicht ihr Ziel, beim Publikum irgendeine Art von Betroffheit hervorzurufen. «Wir haben im Theater den Diskurs durch, in dem die Leute schon schuldbewusst ins Theater kommen und an einem Betroffenheitstainment teilnehmen», sagt sie. Stattdessen will sie den Zuschauer wachkitzeln. Und so finster das Thema ist, es gibt viel zu lachen bei Andereggens «Verarbeitung».

Als sie aus unserem Gespräch auftaucht und die Uhrzeit wissen will, kommt sie auf die Welt. Es ist zwanzig vor sieben, vor 40 Minuten wollte sie im Schauspielhaus wieder auf der Matte stehen. Kram in die Tasche werfen, schnell, aber herzlich adieu, weg ist sie.

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«Rohstoff – Eine Verarbeitung», 5. und 6. Mai, je 20 Uhr, Theater Basel – Schauspielhaus, Foyer.

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