Schinken Omi besucht das Wacken

Der Basler Slam-Poet Laurin Buser hat sich von Autor und Musikjournalist Linus Volkmann (Köln) gewünscht, dass er folgende fünf Begriffe in seinen Sommer-Slam einbaut: «Haschisch, Tollwut, Rollschuhe, China-Dreck, Scharmützel» – Herausgekommen ist eine Geschichte, in der er beschreibt, was eine ältere Dame an einem Heavy-Metal-Open-Air so erlebt: «Schinken Omi besucht das Wacken».

Linus Volkmann. (Bild: Jo Henker)

Der Basler Slam-Poet Laurin Buser hat sich von Autor und Musikjournalist Linus Volkmann (Köln) gewünscht, dass er folgende fünf Begriffe in seinen Sommer-Slam einbaut: «Haschisch, Tollwut, Rollschuhe, China-Dreck, Scharmützel» – Herausgekommen ist eine Geschichte, in der er beschreibt, was eine ältere Dame an einem Heavy-Metal-Open-Air so erlebt: «Schinken Omi besucht das Wacken».

Endlich sitze ich in der Lokomotive nach Wacken. Alles hat sehr gut geklappt, obwohl ich die Sparpreis-Billets der Schweizer Reichsbahn AG erst vor einem knappen halben Jahr erstanden habe. Heavy Metal heisst für mich, auf der Rasierklinge zu leben. Guten Tag, mein Name ist Schinken Omi, ich bin 93 Jahre alt und es ist Sommer.

Im Abteil stören mich jüngere Reisende, sogenannte Kinder. Mehrere schlage ich mit meinem Stock, wenn keiner hinsieht. Was sich aber als keine gute Idee entpuppt, sie rufen nur noch mehr dummes Zeug und um Hilfe. Ich packe am besten mal meinen stinkenden Proviant aus: Belegte Brote mit Teewurst, Leberwurst, Blutwurst, Brotwurst. Dazu einen alten Apfel, Schmalz, einen Kefir, Erfrischungsstäbchen, Stuten (also Rosinenstollen), Weckli und natürlich noch zwei Guarana und ein Snickers.

Leider kommt es nicht zum Verzehr, da bereits meine Haltestelle aufgerufen wird. Gerade noch haben wir Aasbüttel passiert, was neben Bokhorst die nächste Nachbargemeinde von Wacken ist.
Wacken, klingt mit dem Knacklaut für mich als Kantons-Schweizerin angenehm vertraut – und doch muss man erst durch fast ganz Scheissdeutschland reisen, um dort hinzugelangen.
Wacken. Wacken. Wacken.

Nun, mag ich vielleicht der Jahre 93 zählen – doch ich möchte gleich schon mal klarstellen: «Wacken rulez!»

Ich steige aus.

Im örtlichen Lidl kennen mich schon die Einheimischen und freuen sich über mein zahlreiches Erscheinen. («Oh, Gott! Die Schweizer Alte, die unser Kind mit dem Stock geschlagen hat, ist wieder da. Deren Hund soll an Tollwut gestorben sein. Geschieht ihr recht!»)

Ich ergänze mein Vesper um einen Sechserträger Met und eine Flasche Rivella, was ich alles in meinem praktischen Einkaufstrolley verstauen kann.

Dann treffe ich auf dem Gelände erstmal am Merch-Stand von Accept meine Posse. Alle sind sie da: Oma Rosi, Oma Hans, Oma Özcalan und Freiherrin Heikedine von Hohenzollern. Wir besorgen uns im üppigen Warenangebot Totenkopf-Haarnadeln und machen uns krasse Dutts. Viele von uns tragen auch T-Shirts unserer Lieblingsgruppen, bei mir ist heute angesagt Motörhead mit dem Motiv «1916». Unter uns: Der Sänger von Motörhead, Lembert, sieht für mich als Frau schon ziemlich hässlich aus. Aber als er mir in meinem dawanda-shop senior seinerzeit einen guten Preis für NS-Devotionalien gemacht hat, also seit dem gefällt mir auch seine Mucke.

Passend dazu heisst es jetzt, den Musikdarbietungen ein Ohr zu leihen. Schlafen werde ich später, viel später in meinem Rollator (nicht zu verwechseln mit Rollschuhen), Zelten ist was für Poser und Belagerungen. Letzteres mache ich seit Troja einfach nicht mehr. Mein Abenteuer im Alter heisst: Komfort. Oder eben Rollator.

Den China-Dreck aus Japan, den Double Dealer auf der Bier-Stage nahe den Dixi-Klos gerade spielen, empfinde ich als extrem untight. Untighter waren nur noch die Franzosen bei der Verteidigung von Paris 1940, wenn sie mir diesen Vergleich erlauben. Aber nun endlich die Scorpions und ähnlich Gleichaltrige wie Saxon oder Ten Years After.

Die Sticks klacken aneinander. Eins, zwei, einszweidreivier! Wie die ihre Instrumente, Saiten und Felle bearbeiten, erst kleinere Scharmützel, dann volles Crescendo. Das nenne ich Musik!

Oma Hans, Rosi, Özcalan und Freiherrin haben direkt vor der Bühne einen Moshpit eröffnet und ziehen mit ihrem Slamdance das Publikum, jung wie alt, in ihren Bann. Letztes Jahr hat mich am Mittelalter-Zelt der Fette von der südhessischen Speed-Metalband Tankard, Gerre, angesprochen. Wie gut ich für mein Alter noch headbangen würde. Sein Atem roch nach Bratwurst und Haschisch. Wir haben dann sanfte Bande im Heu hinter dem Gelände geknüpft – und, wo die Liebe hinfällt, kurz darauf begleitete ich die Gruppe in ihrem Nachtbus – von Gerre immer wieder zärtlich Nightliner genannt.

Dort machte ich den Jungs herzhafte Brotzeiten wie Spiegeleier oder Fleisch. In jeder freien Minute blies ich ihnen auch einen oder umgekehrt. Ach, süsse Erinnerungen.

So schön ist Metal für mich.

Ich freue mich auch dieses Jahr wieder sehr!

Bis im September veröffentlichen wir jeden Freitag eine Sommergeschichte auf unserer Website. Bisher erschienen Beiträge von Lara Stoll (Winterthur), Sebastian 23 (Bochum), Andy Strauss (Münster), Laurin Buser (Basel) und nun Linus Volkmann. Für seinen Nachfolger hat Volkmann die fünf Begriffe

– Draufgängerpuppe
– Viruslast
– Gossenjournalismus
– knallindiesexy
– Melba

festgelegt. Matto Kämpf hat eine Woche Zeit, daraus einen Sommertext zu basteln. Wie der Berner diese Aufgabe löst, das erfahren Sie ab dem 3. August 2012 online.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.07.12

Nächster Artikel