«Lion – Der lange Weg nach Hause» lässt nicht nur Leute, die nahe am Wasser gebaut sind, mit nassen Augen aus dem Kino kommen.
Der fünfjährige Saroo (Sunny Pawar) hängt an seinem grossen Bruder Gudda, und so begleitet er ihn eines Nachts zum Bahnhof, wo Gudda arbeitet. Der Grosse macht seinen Job, der Kleine schläft auf einer Bank. Dann erwacht Saroo und steigt auf der Suche nach dem Bruder in einen Zug, der sich dann plötzlich in Bewegung setzt.
Es folgt eine Odyssee quer durch Indien, die den Zuschauer mit nimmt. In Kalkutta angekommen, schlägt sich der Kleine auf den Strassen durch, bis er in ein Waisenhaus kommt. Da hat er zwar ein Dach über dem Kopf, viel mehr aber auch nicht. Es rührt einen zu Tränen.
Das Leiden hat ein Ende, als er von einem australischen Paar (Nicole Kidman und David Wenham) adoptiert wird. Saroo lebt sich in seiner neuen Familie schnell ein, lernt die Sprache, ist gut in der Schule und als er zu einem jungen Mann (nun von Dev Patel, dem Slumdog-Millionär, gespielt) herangewachsen ist, verlässt er seine Adoptiveltern, um zu studieren.
Endlich ein Zuhause: Saroo lernt seine Adoptiveltern (Nicole Kidman und David Wenham) kennen. (Bild: © Long Way Home Productions)
Indien hat Saroo längst vergessen. Bis er sich mit einem Inder anfreundet, was Kindheitserinnerungen weckt. In ihm wächst die Sehnsucht nach seiner Heimat, doch den Namen seines Dorfes hat er längst vergessen. Gebannt folgt das Publikum dem jungen Mann, wie er Tage, Wochen, Monate vor dem Computer verbringt, um auf Google Earth nach seinem Geburtsort zu suchen.
Als er schliesslich auf der Leinwand auf seine Mutter und seine Schwester trifft, fliessen auch im Saal die Tränen.
«Lion – Der lange Weg nach Hause» ist in sechs Kategorien (darunter «Bester Film») für den Oscar nominiert. Der Streifen ist aus dem Stoff, der die Academy berührt, beruht er doch auf der wahren Geschichte von Saroo Brierley, der 1986 mit fünf Jahren in einem Zug von seiner Familie getrennt wurde. Wie es sich für ein Drama nach der Art von Hollywood gehört, sehen wir am Ende auch ein paar Bilder des echten Saroo und seiner Familie.
Manche Szene ist überdramatisch inszeniert, da und dort drückt Regisseur Garth Davis gar arg auf die Tränendrüse. Trotzdem sind die Szenen mit dem kleinen Saroo eindrücklich, vor allem, wenn man daran denkt, wie behütet Fünfjährige in unseren Breitengraden aufwachsen. Und die Passagen mit dem erwachsenen Saroo bieten ein willkommenes Wiedersehen mit einem Schauspieler, der einem als Slumdog-Millionär ans Herz gewachsen ist.
Zieht man auch noch das Zusammenspiel des Star-Ensembles (zu dem auch Rooney Mara als Saroos Freundin zählt) in Betracht, haben wir hier einen Film, der nicht nur sentimentalen Menschen mit Fernweh ans Herz gelegt sei.
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Manuela Humbel (17) hat bei der TagesWoche ein zweiwöchiges Schnupperpraktikum absolviert. Diese Filmbesprechung ist ihre «Abschlussarbeit».
Wo komme ich her: Der erwachsene Saroo auf der Suche nach seinem Geburtsort. (Bild: © Long Way Home Productions)