Harald Schmidt war zu Gast im Volkshaus. Was wir hören wollten, obwohl es um ein literarisches Mammutwerk ging: gute Pointen. Ein kleines Best of.
«Also damals», zitiert Schmidt eine seiner Lieblingsstellen im Tagebuch der Brüder Goncourt, «damals war ein Pariser Theater ein Puff.» «Ja», sagt sein Gesprächspartner, der Schriftsteller Alain Claude Sulzer, «die Tänzerinnen auf den Gemälden von Edgar Degas sind alle Prostituierte.» «Es gab ja sonst nichts», ruft Schmidt, «kein Fernsehen, nichts. Vielleicht wäre das gut für das Theater von heute, wenn es das auch wieder so machen würde. Gerade wenn es junge Leute erreichen will. So wie wir heute Abend.»
Auch so kann ein Gespräch über Literatur ablaufen. Mit Wasserglas auf dem Tisch. Bleibt die Frage: Warum Harald Schmidt für so ein Gespräch anfragen? Ganz einfach, er ist vom Fach.
Er war als Moderator der Harald Schmidt Show ein Meister des mal feinsinnigeren und mal gröberen Tratsches und findet bei den Brüdern Goncourt Verwandte: Von 1851 bis 1896 haben sie das Pariser Geistesleben mitgeschnitten. Alle kommen vor: Hugo, Zola, Maupassant, Verlaine, Flaubert (kaum Frauen). Ab 1870, nach dem Tod des jüngeren Jules Goncourt, wurden die Tagebücher veröffentlicht und sorgten für einen Eklat. Mit den meisten Freundschaften war es aus.
Bis dahin waren die beiden fast abendlich an einer Soirée in den besten Häusern zu Gast und wurden nur deswegen immer wieder eingeladen, weil ihre Notizen noch nicht erschienen waren. Denn die Brüder haben alle Unanständigkeiten aufgeschrieben, über die hinter verschlossenen Türen geredet wurde, und selbst kein Blatt vor den Mund genommen im Urteil über ihre Gastgeber und Begegnungen. Die Tagebücher haben den Ruf, auch über die Schlüpfrigkeiten hinaus zu den wichtigsten Dokumenten dieser Zeit zu gehören.
Die schönsten Schweinereien
All das ist ein gefundenes Fressen für Harald Schmidt, der sich im Gespräch mit Sulzer für genau zwei Themen interessiert: Wer kommt in der Beschreibung der Brüder gut weg (Turgenjew und teilweise Hugo), wer besonders schlecht (fast alle, schlechter als die Juden nur noch die Frauen), und natürlich für alles Unanständige.
Sehr viel Freude hat Harald Schmidt zum Beispiel an der Anekdote eines Parisers, der zu alt ist, um mit seiner Kurtisane zu schlafen. Deswegen lässt er sie vor sich hinknien und seinen Labrador ausrichten, was er selbst nicht kann. Vor Lust rutscht ihm dabei die Zunge aus dem Maul, wofür er wiederum zwei Diener hat, die sie mit einer goldenen Zuckerzange wieder reinschieben. «Unglaublich», sagt Schmidt, «eine Zuckerzange haben wir zu Hause gar nicht! Und auch keinen Hund!»
Während Schmidt die schönsten Schweinereien und grössten Frechheiten zitiert, lässt sich Sulzer nicht beirren. In seiner ihm eigenen, ruhigen und unbeirrbaren Weise zieht er seinen kompetenten Kommentar zu den Tagebüchern durch.
Die Frage des Abends ist: Befruchten sich Sulzers literarischer Intellekt und Schmidts Rahmensprengungen des Wasserglasgesprächs gegenseitig? Jeder, der dabei ist, dürfte seine eigene Meinung haben. Auf jeden Fall scheinen sich Schmidt und Sulzer jeweils etwas fremd, wenn der andere in Fahrt kommt.
Irgendwann landet Sulzer bei einem Verweis auf Heidegger. «Klar», sagt Schmidt dazu, «Heidegger lese ich auch immer wieder gern. Zum Chillen, wenn ich was Eingängiges brauche.» «Ja», sagt Sulzer, macht eine Pause und leitet über zu einer Figur bei den Goncourts, die etwas Karl-Kraus-haftes habe.
Schmidts Stunde schlägt zum Schluss
Ein literarisches Gespräch führen, das kann Schmidt nicht. Er ist mehr der Staunende, der sich freut wie ein Kind, was es in dem Buch alles zu entdecken gibt. «Man erfährt ja auch, wie viel die Leute zu Fuss gegangen sind!» Pause. Und später: «Nur die Armen wurden damals im Krankenhaus operiert, wenn sie krank waren, zu den Reichen kam der Arzt nach Hause.» Pause («Stellen Sie sich das mal vor!»). Rührend irgendwie.
Weil diese Sorte Gespräch nicht so seins ist, sitzt er daher auch mal längere Zeit neben Sulzer, während dieser refereriert. Manchmal vielleicht einen Tick zu lang. Schmidts eigentliche Stunde schlägt, als der konzipierte Teil des Abends zu Ende ist, die Zeit längst überzogen, und das Publikum schon fast am Stühlerücken. Beste Voraussetzung für Schmidt, tiefenentspannt von einer Pointe zur nächsten zu hangeln.
Am Schluss freut er sich nochmal über Turgenjew, der beschreibt, wie sich Gicht in den Fusszehen anfühlt: Als würde man von innen die Fussnägel mit einem Messer abschaben. Grosses Iiih im Saal, Schmidt verzieht das Gesicht: «Schatz, bring die Zuckerzange.»
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Mehr Harald Schmidt gewünscht? Das Telefongespräch vor dem Auftritt in Basel: «Schreiben Sie: Ich bin leidenschaftlich gelassen»