Schulhäuser in Beton: Grauenvolle Blöcke oder architektonische Kunstwerke?

Als in den 1960er-Jahren in der Region Basel die ersten Schulhäuser aus Beton gebaut wurden, waren die Meinungen gespalten. Und sie sind es heute noch. Zu Recht?

Ein Beispiel für ein Schulhaus in Beton: Das Neumatt-Realschulhaus in Aesch.

(Bild: Benjamin Adler)

Als in den 1960er-Jahren in der Region Basel die ersten Schulhäuser aus Beton gebaut wurden, waren die Meinungen gespalten. Und sie sind es heute noch. Zu Recht?

Als eine Basler Tageszeitung in einem Onlineartikel vor zwei Jahren «Betonklötze des Grauens» präsentierte, entbrannte sogleich ein gleichermassen engagierter wie unterhaltsamer Streit über die Hässlichkeit der Betonarchitektur der 1960er- und 1970er-Jahre unter den Kommentatoren. Die Replik «Da tönt der Architekt durch» auf den Kommentar eines Pro-Betonisten war durchaus nicht als Kompliment gemeint, sondern Ausdruck der Verachtung für eine Zunft, die sich angeblich nicht um die bedrohte Idylle der einfachen Bürger schert.


Die im Rahmen der Stiftung Architekturdialoge in Basel organisierten Architekturtage wären für den Verfasser der Betonschelte und seine Unterstützer am vergangenen Dienstagmittag ein weiteres Ärgernis und eine Bestätigung der unterstellten Architektenverschwörung gewesen: Die Künstlerin Renate Buser, die sich in ihren Fotografien mit der Architektur des Brutalismus auseinandersetzt, und der Architekt Stefan Bringolf, der sich unter anderem mit der sorgfältigen Renovation expressiver Betonbauten befasst, führten durch das Brunnmatt-Schulhaus im Gundeli.




Blick aufs Brunnmatt-Schulhaus. (Bild: Benjamin Adler)

Der prominente Bau rangierte übrigens nicht auf der Liste der grauenvollen Betonklötze. Erstaunlich, denn wo sonst hätten die Bewahrer der Riegelhausidylle mehr von der ihnen verhassten Bunkerarchitektur finden können als hier? Und wo sonst hätten sie vom nackten Beton magisch angezogene Interessierte angetroffen, die alle verdächtig nach Architekten rochen? Aber offenbar fehlte den Kritikern die Abenteuerlust auf einen Trip in die Betonwüste, und so blieben die Architekten einmal mehr unter sich.


Gemeinsam betrat man durch das nach einer Skulptur benannte Engelstor den weitläufigen Schulhof, um alsdann nach einem Ausflug ins Kellergeschoss die Dachterrasse zu erklimmen und dabei die unglaubliche Detaillierung der Anlage zu bestaunen. Keine Schalung, keine Fuge, keine Fussleiste, ja nicht einmal die Platzierung der Abfallkübel überliessen die Architekten Förderer, Otto und Zwimpfer dem Zufall. Allesamt sind sie als dienende Teile einer übergeordneten, aber schwer durchschaubaren Struktur an den ihnen vorbestimmten Ort gesetzt. Selbst einem Kontra-Betonisten hätte das bei genauerer Betrachtung aufgehen müssen.




Durchkomponiert bis ins Detail. (Bild: Benjamin Adler)

Immerhin muss man den Kritikern zugute halten, dass auch die Architekten nicht von Anfang an so voll des Lobes waren, wie sie es heute sind, wenn sie sich über Gebäude im sogenannt brutalistischen Stil unterhalten. Zwar war die Resonanz des 1965 eröffneten Brunnmatt-Schulhauses in den Fachzeitschriften eher gering, aber das hing vor allem damit zusammen, dass Förderer, Otto und Zwimpfer bereits drei Jahre zuvor das Vorbild des Basler Schulhauses im basellandschaftlichen Aesch fertigstellen konnten. 


Zum Neumatt-Realschulhaus erschien 1962 im Novemberheft der Fachzeitschrift «Das Werk» denn auch eine aussergewöhnlich umfangreiche Bilderserie, die lediglich mit ein paar handschriftlichen Notizen von Walter Förderer versehen wurde. Darin hielt er fest: «Im neuen Schulhaus soll alles sein, das zum Lehren und Lernen dient. Im neuen Schulhaus soll aber auch viel Frag-Würdiges sein, das nicht zu erklären, kaum zu deuten ist. (…) Wir haben ein Fragenhaus gebaut.»





Ein Ort für Fragen: Das Neumatt-Schulhaus in Aesch. (Bild: Benjamin Adler)

Tatsächlich schien das neuartige Gebäude gerade unter Architekten in erster Linie die Frage aufzuwerfen, ob sich in diesen kubisch rechtwinklig organisierten Bauskulpturen wirklich eine neue Richtung in der Architektur ankünde.

Im gleichen Heft kommt deshalb auch ein anonymer Kommentator zu Wort, der sich über die «neue Freiheit» in der Architektur und besonders über den federführenden Förderer der neuen Freiheit lustig macht: «Unter seinen begnadeten Händen wird der bisher schnöde Beton zum Singen gebracht, normale Lichtschächte werden zu Felsengärtchen, das funktionelle Oberlicht erhält durch eine kleine Bewegung nach links ungeheure Ausdruckskraft, durch einige kraftvolle Meisselschläge an einem Betonstock wird die langgesuchte Synthese der Künste zur Wirklichkeit und einfache Bauaufgaben, wie zum Beispiel Landschulhäuser, werden zu prätentiösen Denkmälern.»



Die Replik lässt nicht lange auf sich warten: Architekt Marc Funk kommentiert wenig später nun seinerseits ohne Zurückhaltung den scharfzüngigen Kommentar: Die Glosse habe das Niveau einer Frauenzeitschrift, und davon abgesehen würde sich die Architekturkritik zu unrecht vor allem mit der äusseren Erscheinung, nicht aber mit den inneren Werten von Gebäuden auseinandersetzen. Gerade auf letztere käme es aber bei einem Schulhaus an.




Auf die inneren Werte komme es an… (Bild: Benjamin Adler)

Lucius Burckhardt als Redaktor der Zeitschrift versucht daraufhin die Gemüter zu besänftigen und meint: Es sei doch nur darum gegangen, billige Imitatoren der neoplastischen Architektur, wie man Förderers Entwürfe damals (und vielleicht treffender) nannte, in die Schranken zu weisen. Nimmt man nun noch Benedikt Hubers Bemerkungen hinzu, die unmittelbar nach Fertigstellung des Baus schon im Frühling 1962 abgedruckt wurden, rundet sich das Bild der offenbar etwas ratlosen Architekten ab. Bei allem Interesse für die neue skulpturale Betonarchitektur, bleibt auch Huber skeptisch, ob «in dieser Architektur der neue Weg im Bauen sich ankündet».

In der vage formulierten Skepsis der «Werk»-Redaktion schwingt das schmerzliche Bewusstsein mit, dass sich die Schweizer Architektur spätestens mit Förderers «Fragenhaus» in einer Phase des Umbruchs befindet. Dass die Frage nach der «neuen Richtung» unbeantwortet bleibt, hängt damit zusammen, dass es die neue Richtung nicht mehr gibt. Stattdessen kündigt sich mit den ersten Bauten des Brutalismus die Auflösung der modernen Architektur in ganz unterschiedliche, nebeneinanderher laufende Auffassungen an. Statt einem Weg gibt es nun mehrere. Und damit werden die vormals klaren Bewertungsmassstäbe plötzlich unbrauchbar.

Die Diskussion über schöne und hässliche Architektur ist obsolet geworden – und das schon vor über fünfzig Jahren.

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