Schweizer erinnern sich an Kindheit im Zweiten Weltkrieg

Die Generation der Schweizerinnen und Schweizer, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, kommt in die Jahre. Der Reinhardt Verlag gibt ein Buch heraus, in dem bekannte Schweizer Persönlichkeiten aus ihrer Kindheit in schwierigen Zeiten erzählen.

Der Güterbahnhof in Basel, nachdem er am 3. März 1945 versehentlich von alliierten Bomben getroffen wurde. (Bild: Walter Studer)

Die Generation der Schweizerinnen und Schweizer, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, kommt in die Jahre. Der Reinhardt Verlag gibt ein Buch heraus, in dem bekannte Schweizer Persönlichkeiten aus ihrer Kindheit in schwierigen Zeiten erzählen.

Wie betroffen war die Schweiz vom Zweiten Weltkrieg? Und wenn ja: auf welche Weise? Die Generation, die zu dieser Zeit in der Schweiz gross wurde, kommt in die Jahre. Und so hat der Reinhardt Verlag bereits zum zweiten Mal einen Band veröffentlicht, der sich mit Erinnerungen von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen befasst. 28 (inter)national bekannte Schweizer und Schweizerinnen mit Jahrgängen zwischen 1923 und 1943 berichten in «Jugendjahre in der Schweiz 1930-1950» von ihren Erinnerungen. Sie haben eine Schweiz erlebt, die von direkten Kämpfen verschont wurde, jedoch von Angst und Entsagung geprägt war.

In Verwaltung und Politik hatte man während des Ersten Weltkriegs viel gelernt, sodass zum Beispiel in der Grenzstadt Basel eine Hungersnot wie 1914-18, wo man zu 80 Prozent von der Lebensmitteleinfuhr abhängig war, nicht mehr ausbrach. Dennoch unterlag das eingekesselte Land vor allem während der Jahre 1939-45, als rund um die Schweiz der Zweite Weltkrieg grausam ausgetragen wurde, einer ständigen Bedrohung.

Die Mobilmachung der Männer, die Anbauschlacht zur Sicherung der Ernährung, die Lebensmittelrationierung, die Informationen aus Presse und Rundfunk, der Befehl zur Verdunkelung der Fenster – all das hat nicht nur bei der erwachsenen Bevölkerung Angst ausgelöst.

Guisans Asche

So schildert der Fotograf Kurt Wyss in seiner Erzählung «Maria und das gebrannte Kind» das Ereignis, in dem das Dienstmädchen der Familie namens Maria den kleinen Kurt zu einem Händedruck mit General Guisan drängte, als dieser das «Zunfthaus Schlüssel» bei einem seiner Besuche in Basel verliess. Der Händedruck hat sich dem Kind förmlich eingebrannt, da dabei Zigarettenasche auf seine Hand gefallen ist.

Viele Familien in der Grenzstadt Basel sassen auf gepackten Koffern. Wer es sich leisten konnte, zog in die Innerschweiz. Die Erzählungen und mehr noch das Schweigen zu Hause wirkten sich naturgemäss auf die Heranwachsenden aus. Auch wenn diese mit dem Wort «Krieg» noch nichts anfangen konnten.

Dokumentarisch schildert die 1923 geborene, ehemalige freie Journalistin Lys Wiedmer-Zingg von der «eisern umklammerten» Schweiz. «Im Norden das Dritte Reich, im Westen das besetzte Frankreich, im Osten das annektierte Österreich, im Süden Mussolinis faschistisches Italien.» Je nach Landessprache hörte man die Radiosender Beromünster, Sottens oder Monte Ceneri und die damals 8-12-Jährige erinnert sich angewidert an die «Reden Hitlers und des Propagandaministers Goebbels», die «immer zynischer» wurden.

Bereits im August 1938 wurde die Schweizer Grenze für jüdische Flüchtlinge geschlossen. An den Grenzen, sei es im Gebiet um den Bodensee oder in Riehen, fanden dennoch Einreisen mit Unterstützung durch einzelne Schweizer statt. Manche Familie versuchte verzweifelt ihre Angehörigen aus Deutschland in die Schweiz zu holen. Als Enkel jüdischer Grosseltern, die in Deutschland lebten, hatte der spätere Regisseur Rolf Lyssy («Die Schweizermacher») schon früh die Atmosphäre der Angst um eigene Familienmitglieder erfahren. Er selber ist in der Stadt Zürich aufgewachsen und mit seiner Familie 1944 aufs Land ins Bauerndorf Herrliberg gezogen. «Da war ich der einzige Judenbub», schreibt er. Seine Mutter reiste «bis kurz vor Kriegsbeginn einige Male nach Frankfurt», wo sie «mit allen Mitteln verzweifelt versuchte, ihre Eltern in die Schweiz zu bringen.» Drei Jahre später, 1941 «wurden sie deportiert.»

Nicht die Neutralität verschonte die Schweiz

Doch findet sich im Buch auch ein ganz «spontanes Aufschreiben von Erinnerungen an die damalige Zeit». Die erste Bundesrätin der Schweiz, Elisabeth Kopp, beschreibt rückblickend die kindliche Frage, «was nur mit den Eltern los war» – die plötzliche Strenge, wenn die Eltern das Nachrichtenhören den Erzählungen ihrer kleinen Kinder vorzogen, und die ungewohnten Einschränkungen im Haushalt, wo an allem gespart wurde, liessen die Geschwister Kopp ahnen, was Krieg bedeutete. «Mir wurde einmal mehr bewusst, wie unglaubliches Glück unser Land hatte. Es war nicht unsere Neutralität oder unsere Armee, die Hitler davon abgehalten hatte, unser Land anzugreifen. Vielmehr wollte er möglichst schnell die Atlantikküste erreichen und die Schweiz auf dem Rückzug einnehmen. Daher kommt der Spruch: Die Schweiz, das kleine Stachelschwein, das nehmen wir beim Rückzug ein.»

Kurt Wyss war mit seinem Vater auf der neuen Kunsteisbahn, als eine Bombe auf die Gleise im Gundeli am 4. März 1945 abgeworfen wurde. Sein Vater Otto Wyss-Diercks fotografierte es und verbot dem Jungen, «die glühenden Bänder, die in der Nauenstrasse lagen, mit dem Velo zu überfahren». Die damaligen Kinder hatten also einschneidende Erlebnisse, die je nach Schwere und Hilfestellung durch Erwachsene unterschiedlich verarbeitet wurden.

Nicht jeder Angefragte wollte über diese Zeit der Kriege sowie des wirtschaftlichen Aufschwungs danach berichten. Nicht alles sei für «ein breites Publikum» gedacht, schreibt ein Autor. Es gab aufgrund der Unsicherheit über die weiteren Entwicklungen in der Schweiz grosse Ängste. Dem Schweigen, das diese Ängste ausgelöst haben, setzt dieser Band etwas entgegen – auch wenn er mehr Anekdotensammlung ist als fundierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

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Jugendjahre in der Schweiz 1930-1950, Reinhardt Verlag, 360 Seiten.

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