Der 100. Todestag von Jules Massenet hat im vergangenen Jahr nur wenig Wiederhall gefunden. Doch welche Schätze sich in Massenets Opernschaffen befinden, das zeigt nun die gelungene Produktion von «Manon» am Theater Basel.
Diese Manon macht es einem nicht leicht – am allerwenigsten den männlichen Figuren dieses Stückes. In der gleichnamigen Oper von Jules Massenet ist sie, sechzehnjährig, auf einer Reise, die sie ins Kloster führen soll. Sie macht unterwegs Station und kommt, beeindruckt durch die weite Welt, darüber ins Träumen, wie schön ein Leben voller Amusements wäre – und so fallen die Annäherungen des Chevalier Des Grieux auf fruchtbaren Boden. Kurzentschlossen brennen die beiden Frischverliebten durch.
In Paris angekommen will Des Grieux eine Heirat einfädeln, doch Manon nimmt sich mit De Brétigny bereits einen neuen Liebhaber – halb, weil sie gutgläubig auf dessen Intrigen hereinfällt, halb, weil sie der versprochene Reichtum lockt. So ist sie auf der Höhe ihres Ruhms, als sie zufällig den Vater ihres einstigen Liebhabers Des Grieux kennenlernt und erfährt, dass sich dieser voller Enttäuschung ins Kloster zurückgezogen habe und zum Priester weihen lassen wolle.
Nur noch das Glücksspiel bleibt
Hingerissen von ihren Erinnerungen, sucht sie ihn dort auf – und schon sind die beiden wieder ein Paar. Bald hat Manons Verschwendungssucht die finanziellen Mittel Des Grieux’ erschöpft, und so bleibt diesem nur noch das Glücksspiel. Überaus erfolgreich wird er mit Betrugsvorwürfen konfrontiert, was wiederum dessen Vater die Gelegenheit bietet, mit Hilfe der Polizei die Eskapaden des Sohnes zu beenden. Manon bleibt in Gefangenschaft und erwartet ihre Verbannung. Des Grieux sucht sie noch einmal auf, doch sie ist bereits gebrochen und stirbt in seinen Armen.
Ein Opernstoff, wie er typischer nicht sein könnte. Doch wenn diese Geschichte auf die Bühne gebracht werden soll, zeigt sich, dass es diese Manon auch Darstellern und Regieteam nicht leicht macht. Sie ist eine komplexe Figur, mal naiv und verführbar, mal gierig und berechnend. Und sie neigt zu schnellen Entschlüssen in kurzer Folge. Schon bei der Lektüre des gleichnamigen Romans von Abbé Prévost aus dem Jahr 1731 fragt man sich gelegentlich, ob diese Wankelmütigkeit so gewollt ist oder sich unvorteilhaft so ergeben hat. Auch das Libretto von Henri Meilhac und Philippe Gille hat daran nichts verbessert, und so muss denn auf der Bühne szenisch plausibel werden, was im Kopf der Protagonistin vorgeht.
Ausgezeichneten Spielort gefunden
Regisseur Elmar Goerden lässt am Theater Basel die Geschichte in einem modernen Flughafen spielen. Das funktioniert ganz ausgezeichnet, unterstreicht es doch das Unstete, Wechselhafte, die Sehnsucht nach dem Ankommen im ständigen Unterwegssein. Bunt gekleidete Menschen aus aller Herrn Ländern (Kostüme: Lydia Kirchleitner) schieben sich hier durch, dazu Flugkapitäne, Stewardessen, Reinigungspersonal, Security. Das realistisch gehaltene Bühnenbild (Silvia Merlo) kostet die eigentümliche Ästhetik dieses öffentlichen Raumes mit seinen Wartebänken, Fotoautomaten und Absperrbändern virtuos aus, hält Spielräume für sinnvolle Videoeffekte (Ulf Stengl) bereit, und erlaubt auch mal amüsante Verfremdungen: ein feines Menü aus dem Snackautomaten, festlicher Konsumrausch im Duty-free-Shop, Gebete in der zur Raucherkabine umdeklarierten Telefonzelle.
Die fragilen Seiten der Manon kommen eher sängerisch zum Ausdruck, dort aber um so schöner.
Maya Boog – mit der die TagesWoche vor der Premiere über ihre Rolle sprach – lässt ihre Manon robust in den Wartesaal treten. Mit schweren Stiefeln, Shorts und Trägershirt sieht man ihr am Beginn der Oper die naive Unschuld vom Lande nicht an – ebenso wenig wie den bevorstehenden, von den Eltern verordneten Klostereintritt. Diese junge Frau wird uns stark präsentiert, und sie bleibt so stark, dass sie am Ende des Stückes nicht von ihrer Schwäche dahingerafft wird, sondern sich selbst das Leben nimmt. Das ist konsequent dargestellt; doch weshalb Manon gleichzeitig zum Spielball ihrer eigenen Wünsche, Emotionen und fremder Interessen werden kann, ist schauspielerisch weniger plausibel. Diese fragilen Seiten der Manon kommen eher sängerisch zum Ausdruck, dort aber um so schöner: in Boogs wunderbarem Gesang, ihrem hellen, gerade im Leisen ausserordentlich klangschönen Sopran, der auch mal fröhlich plappern kann.
Hauptdarsteller harmonieren
Manons Liebhaber Des Grieux (Andrej Dunaev) tritt als kräftiger Backpacker auf. Er scheint ein eher simpler Charakter zu ein, zupackend nur zu Beginn, wenn es gilt, Manon von der Flucht zu überzeugen. Sonst ist auch er verträumt, hin und her gerissen von diesem und jenem. Dunaevs warmer Tenor eignet sich gut für diese Rolle und harmoniert ausgezeichnet mit Boogs Sopran. Lediglich der Ausdruck könnte stärker differenziert sein – verliebtes Feuer, religiöse Verzückung und resignierte Verzweiflung liegen stimmlich nahe beieinander.
Überaus leicht gemacht zu haben scheint es diese Manon im Übrigen dem Komponisten Jules Massenet. Auf engstem Raum zeichnet Massenets Musik Manons emotionale Eskapaden in ihrer ganzen Sprunghaftigkeit nach, nimmt wunderschön die Rhythmen der französischen Sprache auf. Das Dirigat von Enrico Delamboye führte das Orchester sicher durch die Partitur mit ihren vielen, insbesondere dunklen Klangfarben. Exzellent herausgearbeitet wurden die Nuancen im Leisen, so dass die Sänger auch dann nicht übertönt wurden, wenn diese die Lautstärke ganz intim zurücknahmen. Überzeugend auch die anderen Mitglieder des Gesangsensembles, insbesondere Andrew Murphy, Eugene Chan und Karl-Heinz Brandt, wie auch der herrlich agile Chor des Theaters.
Nach dicht gefüllten dreieinhalb Stunden gab es grossen Applaus für diese musikalisch hochstehende, durchweg unterhaltende Produktion. Auch das Regieteam, das sonst ja nur selten ohne Buhrufe davonkommt, wurde einhellig bejubelt – zurecht angesichts dieses gelungenen Abends.
«Manon» wird bis am 12. Juni am Theater Basel aufgeführt. Die Spielzeiten sind auf der Website des Theaters aufgeführt.