Sieben Jahre Gefängnis für vorsätzliche Tötung für den jungen H.

Das Basler Geschworenengericht sah den Tatbestand der vorsätzlichen Tötung als erwiesen. Es verurteilte den jungen Angeklagten H. zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren, verbunden mit einer ambulanten therapeutischen Behandlung seiner Alkohol- und Drogensucht.

Ein Fall der vorsätzlichen Tötung vor dem «Geschworenengericht Basel-Stadt» (Bild: Gerichtszeichnung: Nils Fisch – nach einer fotografischen Vorlage von Pierre Abensur)

Das Basler Geschworenengericht sah den Tatbestand der vorsätzlichen Tötung als erwiesen. Es verurteilte den jungen Angeklagten H. zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren, verbunden mit einer ambulanten therapeutischen Behandlung seiner Alkohol- und Drogensucht.

Der eigentliche Tatbestand war unbestritten: Der junge Basler Arbeitslose H. hatte am Hochzeitsfest seiner Mutter in deren Dreizimmerwohnung den Vater seiner damaligen Freundin erstochen.

Die Frage, mit der sich das Basler Geschworenengericht unter dem Vorsitz von Strafgerichtspräsident Jeremy Stephenson zu befassen hatte, war, ob es sich nun um eine absichtliche Tat oder um einen Unfall handelte – also um eine vorsätzliche oder eine fahrlässige Tötung.

Eine vermeintliche Ratte als Ziel

Der nicht vorbestrafte Angeklagte sagte, vom Richter nach seiner Version des Tathergangs befragt, dass er keineswegs im Sinn gehabt habe, einen Menschen zu töten oder auch nur zu verletzen. Das Opfer hatte sich am Tatort, dem Schlafzimmer der Mutter, hinter einem Vorhang verborgen. Der Angeklagte gab an, er habe ein Rascheln hinter diesem Vorhang vernommen und in der Annahme, dass es sich um eine Ratte handle, reflexartig zugestochen.

Der psychiatrische Gutachter, Alain di Gallo, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, gab zu Protokoll, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit zwar in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe, was auf seinen ausgesprochen hohen Alkohol- und Cannabis-Konsum an diesem Tag zurückzuführen gewesen sei. Von einer krankhaften Persönlichkeitsstörung könne aber nicht die Rede sein.

Schutzbehauptung oder Tatsache?

Die Staatsanwältin Andrea Brodbeck und die Vertreterin der Privatklage, Yvonne Pieles, die als rechtlicher Beistand der Tochter des Tatopfers an der Verhandlung teilnahm, taten die Geschichte mit der vermuteten Ratte hinter dem Vorhang als krude Schutzbehauptung ab. Klar gegen die Unfallthese des Angeklagten spreche überdies die Tatsache, dass er nach der Tat keinerlei Hilfe angefordert, sondern im Gegenteil versucht habe, die Tat zu vertuschen.

Die Staatsanwältin plädierte entsprechend auf vorsätzliche Tötung mit einer Gefängnisstrafe von 15 Jahren. Die Privatklägerin sprach gar von Mord und forderte für die Tochter des Opfers, der mit der Ermordung ihres Vaters die gesamte Existenzgrundlage entzogen worden sei, eine Schadenersatzsumme in der Höhe von 151’500 Franken und eine Genugtuungssumme von 30’000 Franken.

Vorwurf der Intransparenz

Strafverteidiger Stefan Suter bezeichnete in seinem Plädoyer die Beweislage gegen den Angeklagten als ausgesprochen dünn. Er sehe keinerlei Motiv, warum H. den Vater seiner ehemaligen Freundin hätte umbringen wollen. Ausserdem habe H. nicht wissen können, dass sich die getötete Person hinter dem Vorgang befunden habe – anders als die Mutter des Angeklagten und deren Bräutigam, der überdies aus unklaren oder gar vieldeutigen Gründen unauffindbar sei.

Suter zog in seinem auf theatralische Art vorgetragenen Plädoyer überdies die Glaubwürdigkeit des Gerichts in Frage, das seine Redezeit auf knappe zehn Minuten beschränkt habe, während die Vertreterinnen der Gegenseite zweimal zehn Minuten Redezeit zur Verfügung gehabt hätten. Für ihn gebe es keine Zweifel, dass für den Angeklagten nur ein Freispruch in Frage käme.

Urteil: Sieben Jahre Gefängnis

Die acht Geschworenen kamen zusammen mit dem Strafgerichtspräsidenten Stephenson nach nur gerade einer halben Stunde Beratungszeit zu einem anderen Schluss. Sie verurteilten den Angeklagten wegen vorsätzlicher Tötung zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren einschliesslich einer ambulanten psychiatrischen Betreuung wegen seiner Alkohol- und Drogensucht.

Wie die Staatsanwaltschaft kam das Gericht zum Schluss, dass H. gewusst haben musste, dass sich ein Mensch hinter dem Vorhang befunden habe und dass die Geschichte mit der Ratte eine reine Schutzbehauptung sei. Mit dem Strafmass von sieben Jahren blieb das Gericht deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Strafmildern sei der Umstand zu werten gewesen, dass der Angeklagte zur Tatzeit unter hohem Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden habe.

Die Genugtuungssumme wurde auf 20’000 Franken festgelegt und für die Schadenersatzforderung wurde die Privatklägerin auf den Zivilweg verwiesen.

Geschworenengericht in Basel? Natürlich nicht

Spätestens bei der Erwähnung des Geschworenengerichts muss es bei vielen Leserinnen und Lesern dieser Gerichtsberichterstattung geklingelt haben: Mit der Vereinheitlichung der Strafprozessordnung im Jahr 2011 wurde die Geschworenengerichtsbarkeit in der Schweiz abgeschafft. Basel-Stadt kannte diese Form der Rechtssprechung nie.

Hamlet im zweiten Prozess freigesprochen

Wie die Kaserne Basel mitteilt, wurde Hamlet im zweiten Prozess unter dem Vorsitz von Gerichtspräsident René Ernst freigesprochen. Im dritten und letzten Basler Prozess unter dem Vorsitz von Niklaus Ruckstuhl, Professor für Strafprozessrecht, kam es indes erneut zu einer Verurteilung zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe

Dass es in ein und demselben Fall mit mit unterschiedlicher Besetzung zweimal zu einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren und das andere mal zu einem Freispruch kommen kann, wirft letztlich ein vieldeutiges Licht auf die Basler Strafgerichtspraxis.

Die hier beschriebene Verhandlung fand zwar statt, es handelt sich aber um einen fiktiven Fall, der unter dem Titel «Please, Continue (Hamlet)» in der Reithalle der Kaserne Basel über die Bühne ging. Oder letztlich eben doch im eigentlichen Sinne verhandelt wurde. Denn das Projekt des Theater- und Performancekünstlers Yan Duyvendak und des Regisseurs Roger Bernat verwischt auf hintersinnige und höchst aufschlussreiche Weise die Grenzen zwischen Fiktion und Realität.

Fiktiver Tathergang

Fiktiv waren die Tatumstände und die Figuren des Angeklagten Hamlet, der Zeugin Gertrude und der Privatklägerin Ophelia, die – wie mit der Nennung der Namen sogleich klar wird – dem wohl bekanntesten aller Tragödien von William Shakespeare entnommen wurden. Für den aufgerollten Fall wurde Hamlets Ermordung von Polonius mit einem aktuellen, vom Tathergang her ähnlich gelagerten Fall aus dem Randständigenmilieu in Marseille vermischt.

So wurden die drei Figuren von zwei Schauspielerinnen und einem Schauspieler verkörpert, die mit Aufschriften auf ihren gelben T-Shirts klar als solche gekennzeichnet waren. Die hohe Konzentration und untheatralische Zurückhaltung, mit denen Maximilian Bauer, Monica Budde und Ana Berkenhoff ihre Rollen verkörperten, liess aber trotzdem beinahe vergessen, dass diese Figuren nur gespielt wurden.

«Echtes» Gericht

Das Besondere und Faszinierende an diesem Abend ist aber die Tatsache, dass der Fall Hamlet von echten Gerichtsprofis verhandelt wurde (und noch zweimal wird). Das hat zwar zur Folge, dass der Abend nicht den intensiven dramatischen Spannungsbogen aufzuweisen hat, mit dem die berühmten amerikanischen Gerichtsfilme ihr Publikum zu fesseln wissen. Das wird aber durch die Authentizität des Gebotenen wieder wettgemacht.

Das Besondere und Faszinierende an diesem Abend ist aber die Tatsache, dass der Fall Hamlet von echten Gerichtsprofis verhandelt wurde (und noch zweimal wird).

Bestechend war der Auftritt des alt Strafgerichtspräsidenten Jeremy Stephenson, der auf ungemein souveräne Art und Weise durch den verzwickten Fall führte. Mit dem gebotenen professionellen Ernst widmeten sich auch die beiden Anklagevertreterinnen Andrea Brodbeck und Yvonne Pieles und der psychiatrische Gutachter Alain di Gallo ihren Aufgaben, während Harry Höcklin als Gerichtsweibel so etwas wie einen Prototypen seines Amtes verkörperte.

Als Geschworenengremium amtete eine Gruppe von acht Zuschauerinnen und Zuschauern, die – das Publikum musste zu Beginn der Verhandlung die Namen auf einer Liste eintragen – nach den Plädoyers vom Gerichtspräsidenten ausgelesen und verlesen wurden.

Allzu theatralische Verteidigung

Einziger Minuspunkt des Projekts oder der Verhandlung war der Aufritt des Strafverteidigers Stefan Suter bei seinem Schlussplädoyer. Suter stellte durch seinen verbal arg theatralisch und letztlich auch etwas schnoddrig gestalteten Auftritt die höchst spannende Versuchsanordnung ironisierend in Frage.

Kann sein, dass sich dieser Auftritt letztlich strafverschärfend ausgewirkt haben könnte. Denn mit einer solch hohen Strafe, wie sie nun in Basel ausgesprochen wurde, wurde Hamlet bislang erst selten konfrontiert.

Das Basler Strafmass liegt klar über dem Durchschnitt.

Duyvendak und Bernat haben den Fall bislang 119 Mal in neun verschiedenen Ländern vor jeweils professionellen Gerichtsprotagonisten behandeln lassen. Das Basler Strafmass liegt klar über dem Durchschnitt. Nicht weniger als 56 Mal wurde Hamlet bislang nämlich freigesprochen. Und bei den Schuldsprüchen lagen die ausgesprochenen Gefängnisstrafen – die Spanne reichte von acht Monaten bis zu zwölf Jahren – zu einem grossen Teil unter dem Basler Verdikt.

Wie Stephenson im Anschluss an die Verhandlung auf Anfrage der TagesWoche sagte, lag das gefällte Urteil durchaus im Rahmen der Urteile, die in Basel auch in tatsächlichen Fällen von vorsätzlicher Tötung ausgesprochen werden. Das heisst aber nicht, dass das Basler Geschworenengericht in den beiden weiteren Vorstellungen von heute und morgen Abend genau so entscheiden wird. Man darf gespannt sein, ob Hamlet am Mittwoch und Donnerstag glimpflicher davonkommen wird.

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«Please, Continue (Hamlet)» von Yan Duyvendak und Roger Bernat. Kaserne Basel. Weitere Vorstellungen am 21. und 22. Januar 2015 (19 Uhr).

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