Silhouetten als Musik

Die aktuelle Ausgabe des Festivals Neue Musik Rümlingen bietet eine Schweiztransversale in Tönen. Wir haben uns vorab mit dem künstlerischen Leiter Daniel Ott getroffen.

Per Anhalter durch die grünen Hügel. (Bild: Kathrin Schulthess)

Die aktuelle Ausgabe des Festivals Neue Musik Rümlingen bietet eine Schweiztransversale in Tönen. Wir haben uns vorab mit dem künstlerischen Leiter Daniel Ott getroffen.

Das Festival Neue Musik Rümlingen auf geht in der Ausgabe 2013 auf Reisen: Unter dem Motto «Ton & Tal – eine Klangexpedition» durchquert ein 13-köpfiges Ensemble die Schweiz, musiziert auf Gipfeln und Pässen, an Flüssen, auf Fähren, in Zügen und Postautos. Das Finale findet am 23. und 24. August in unserer Region statt. Der Komponist Daniel Ott ist künstlerischer Leiter und Gründer des Festivals. Wir haben uns mit ihm zu einem Gespräch über die ungewöhnliche «Klangwanderung» getroffen.

Herr Ott, das Festival neue Musik Rümlingen gibt es seit mehr als 20 Jahren und hat immer im Baselbiet Natur und Klänge in Beziehungen gesetzt. Wie entstand die Idee, die ganze Schweiz zu durchqueren?

Schritt für Schritt, das war keine «feldherrliche» Entscheidung. Das Festival Alpentöne in Altdorf/Uri hatte schon vor fünf Jahren eine Zusammenarbeit angefragt. Wir wollten zuerst eine Klangbrücke dorthin bauen, doch fanden dann, dass es schön wäre, den Weg auch richtig zu gehen. Irgendwann dachten wir, wenn wir schon in Altdorf sind, dann können wir auch noch die Alpenüberquerung über den Gotthard nach Airolo machen, denn zwischen den beiden Orten gibt es starke Beziehungen. Schliesslich haben wir noch beschlossen, das Ganze von Rümlingen nach Augst zu komplettieren, damit wir von Landesgrenze zu Landesgrenze unterwegs sind.

Wie haben Sie die passenden Plätze und Routen gefunden, mit und in denen man musizieren und auf die Natur reagieren kann?

Zuerst ganz pragmatisch. Wir haben eine Linie gezogen von Altdorf nach Rümlingen und geschaut, welche Orte da liegen und welche Veranstalter wir dort kennen. Anfangs dachten wir, um Luzern müssen wir einen grossen Bogen machen, denn das gleichzeitig stattfindende Lucerne Festival spielt in einer ganz anderen Liga. Doch wir haben auch dort gleich zwei Mitverantalter gefunden, mit denen wir kooperieren. Vor zwei Jahren sind wir die Strecke erstmals abgefahren, dann sind wir zu Fuss ins Gelände und haben «Landschafts-Casting» gemacht. Wir haben akustisch untersucht, was ein Ort bietet, ein paar Töne geblasen, gehorcht, ob es ein Echo gibt. Und wir haben Menschen kennengelernt, die uns etwas über den Hintergrund der Orte erzählt haben. Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang, bei dem auch das ein oder andere schiefgehen kann. Wir freuen uns darauf.

In der Schweiz gibt es ja speziell eine Tradition des Musizierens in und mit der Natur, aber heute ist sie auch ein urbaner Raum. Welche Rolle spielt die Moderne während der Transversale?

Wir wollen nicht Maschinen und Urbanität ins Land und aufs Dorf bringen. Ich finde gerade die ländliche Schweiz etwas ganz Besonderes. Es macht uns besondere Freude, dass auch ein Hornusserverein dabei ist. Diesen Sport kann man ja auch rein musikalisch hören, es ist ein wahnsinnig spannender Klang, wenn die Nouss abgeschlagen wird. Genauso auch wenn die Bretter in die Luft geworfen werden, die die Nouss abfangen sollen. Wir haben uns drauf geeinigt, dass die trainieren, während wir auf ihre Klänge reagieren, ohne sie aus dem Konzept zu bringen.

Wie stehen Sie denn zu dem heute inflationär gebrauchten Begriff «Soundscapes». Charakterisiert er Ihre Arbeit?

Wir gehen noch etwas weiter. «Soundscapes» bezeichnet ja im allgemeinen Landschaftsinstallationen, das Begreifen dessen, was man draussen hört, als Partitur. Unsere Arbeit unterscheidet sich von den Soundscapes insofern, dass wir eingreifen, in Dialog treten, aber mit 50 Prozent Pause, wie in einem guten Gespräch. Wir wollen die Landschaft nicht zuschütten.   

«Wir wollen die Landschaft nicht zuschütten.»

Am Finalwochenende kommt der Musikertross an der «Homebase» Rümlingen und schliesslich in Augst an: Im dortigen Römertheater wird eine «Gipfelmusik» gespielt. Was verbirgt sich dahinter?

Wir haben zwar eine Grundstruktur vorbereitet, aber die ist so flexibel, dass wir auch Erlebnisse der zurückliegenden Tage verarbeiten können. Eine Herangehensweise ist die Silhouette, das Höhenprofil der Gipfelregionen, das die Komponistin Annette Schmucki in Musik übersetzt. Die Hörprotokolle fliessen mit ein, das heisst, wie hat ein Ort in einer ganz bestimmten Situation geklungen, da spielt auch die Wettersituation eine entscheidende Rolle. Und ein dritter Punkt ist ein ganz assoziativer: Was für Mythen, was für eine Geschichte erzählt der jeweilige Ort? Die Gipfelmusik ist also ein Kaleidoskop aus ganz verschiedenen Stilen.   

Festival Neue Musik Rümlingen: 15.-24.8., Finale Langenthal-Rümlingen-Augst: 23.+24.8 
  

Daniel Ott ist gebürtiger Appenzeller und arbeitete zunächst als Klavier- und Musiklehrer in der Schweiz. Theaterstudien führten ihn nach Paris und London, die Komposition an die Folkwang-Hochschule Essen und nach Freiburg im Breisgau zu Klaus Huber. Sein heutiger Arbeitsschwerpunkt sind das Neue Musiktheater und interdisziplinäre raum- und landschaftsbezogene Projekte. Der Professor für Komposition und Experimentelles Musiktheater an der Universität der Künste Berlin gründete 1990 das Festival Neue Musik Rümlingen.

 

Nächster Artikel