Sie waren selbst überrascht, als sie vor der lokalen Pop- und Politprominenz in der Kaserne als Sieger genannt wurden: Slag In Cullet erhalten den Basler Pop-Preis 2012. Das Rock-Trio will mit dem Geld sein drittes Album finanzieren. Den Publikumspreis sackten We Invented Paris ein.
Der Pop-Preis 2012 stand nicht unter dem besten Stern, was die Terminierung betraf: Beehrten doch gleichenabends Muse, eine der packendsten Stadionrockbands der Gegenwart, die Region mit ihrem Auftritt in der Joggelihalle. Zudem holte Rod Stewart den ersten Teil seiner Millionengage im Musical Theater ab (AVO Session). Man hatte als Pop-Aficionado also die Qual der Wahl. Und entschied am Ende lokal. Immerhin ist der Pop-Preis seit seiner Lancierung vor drei Jahren zum herbstlichen Treffpunkt der Szene avanciert, der anregende Gespräche, Austausch und Apéro garantiert – und dies in Anwesenheit eines Teils der Politprominenz.
Anna Aaron voller Leidenschaft, Slag In Cullet voll überrascht
Um das performative Highlight vorwegzunehmen: Anna Aaron sang zum Abschluss des Abends im Rossstall der Kaserne. Die Siegerin des Vorjahres tat dies voller Inbrunst und begleitet von einer eindringlich aufspielenden Band, das Quartett berührte und betörte – auch wenn nicht jede Komposition vollumfänglich zu überzeugen vermochte.
Spannungsgeladen wie die Performance von Aaron war auch der Moment, ehe der Name des Gewinners 2012 aus dem Couvert gezogen wurde. Dass die Lombego Surfers, diese Rock’n’Roll-Institution, nicht zu den Siegern gekürt wurden, war absehbar. Die Kriterien des Pop-Preises sprachen vor drei Jahren auch schon gegen die Lovebugs, soll der Preis doch ausdrücklich nicht als Würdigung fürs Lebenswerk herhalten, sondern aufstrebenden Künstlern verliehen werden. (Der damalige Jurysprecher Philipp Schnyder von Wartensee argumentierte 2009, dass die Lovebugs keinen Förderpreis erhalten müssen, sondern mit ihrem Leistungsausweis reif für Grösseres wären, etwa den Basler Kulturpreis. Wunschdenken, wie wir heute wissen.) Dass aber von den restlichen vier Bands, altersmässig allesamt im gleichen Range, am Ende Slag in Cullet gekürt wurden, war zunächst dann doch überraschend. Auch für die Band selber. «Wir dachten, dass wir mal herkommen und zwei Bier trinken. Jetzt werdens wohl mehr», liessen sie verlauten und strahlten vor Freude.
Überraschend war ihre Wahl insofern, als dass das Trio, das sich aus Sänger/Gitarrist Andy Röösli, Bassistin Rafaela Dieu und Schlagzeuger David Burger zusammensetzt, medial weniger stark präsent ist als etwa der heimliche Favorit James Gruntz. Dieser ging bereits zum dritten Mal leer aus und darf sich damit trösten, dass drei Nominationen in Folge Beweis dafür sind, dass er sich endgültig an die Spitze der Basler Szene emporgesungen hat. Ebenfalls im Popsegment bewegen sich We Invented Paris, bezeichnenderweise mit .com-Website. Das Kollektiv um den Baselbieter Sänger/Songwriter Flavian Graber agiert grenzüberschreitend. Und konnte den Publikumspreis entgegennehmen, der via bazonline ermittelt worden war – und bei dem gemäss Joël Gernet 2000 Votanten teilgenommen hatten. Die Trophäe hielt zunächst aber nicht die Band in Händen, sondern ihr Management, das stellvertretend dankte.
Einige Preisträger treffen mit Verspätung ein
Denn We Invented Paris standen zu dieser Zeit auf einer anderen Bühne, an der AVO Session im Musical Theater. Beweis dafür, dass junge Basler Musiker auch von etablierten Veranstaltern ernster genommen werden als noch vor wenigen Jahren. Und dass sie über eine Ausstrahlung verfügen, mit denen sie internationale Vergleichen nicht scheuen müssen. Das manifestierte sich auch in den Videoeinspielungen, mit denen die fünf Nominierten vor Ort präsentiert wurden. Die Bildqualität war zwar lausig, doch mit gutem Grund: Die Bands sind nicht mehr so einfach greifbar, sie schwärmen aus, aus der Stadt, in die weite Welt: Das Wavepop-Trio We Loyal hat sich vor einem Jahr nach Berlin abgesetzt, um sein Glück in der deutschen Metropole zu versuchen. Und freute sich in verwackelten Skypeaufnahmen über seine Nomination, ehe es das Kreativmekka hinter sich liess, um für diesen Anlass nach Basel heimzukehren.
Herumgekommen sind auch Slag In Cullet, die ihr Glück anfänglich unter dem Bandnamen Glass versuchten. Ihr erstes Album erschien vor drei Jahren bei einem kleinen britischen Label, was hierzulande aufhorchen liess und ihnen auch im deutschen Markt zu Präsenz und einer Promo-Agentur verhalf. 2011 erschien ihr zweites Album «Splinter». Zwar wurde ihr Tatendrang durch einen Unfall des Schlagzeugers leicht gebremst, mit Verspätung aber lancierten sie ihre Tour und gaben seither zahlreiche Konzerte in der Schweiz und in Deutschland, unterstützt von wohlwollenden Reviews in Musikmagazinen und durch Airplays alternativer Sender.
Mit dem Pop-Preis hatten sie trotz wachsender Fangemeinde nicht gerechnet. «Davon geträumt, ja, gehofft ebenfalls. Aber darauf gesetzt nicht», wiederholte Bassistin Rafaela Dieu im anschliessenden Gespräch. «Ich freue mich für uns, weil damit die Finanzierung des neuen Albums gesichert ist. Und auch, weil die Jury ein Zeichen gesetzt hat: Für die Rockmusik.»
Mit Bands wie Nirvana oder Queens Of The Stone Age gross geworden, haben Slag In Cullet die Kraft dieser Künstler infiltriert und aus ihrer eigenen Inspiration und Erfahrung Songs geschaffen, die mit Spannungsfeldern aufwarten und zwischen sensitiven und explosiven Gefühlen pendeln.
3/4 der Songs für ein neues Album stehen bereits, das Preisgeld (15’000 Franken) deckt die Aufnahmekosten. Den Schub wird das Trio ins Studio mitnehmen – und in einem Jahr sein drittes Album veröffentlichen, gefolgt von einer ausgedehnten Tour. «Diesmal auch im Bad Bonn», sagen sie fordernd und lachen. Ein Seitenhieb auf einen der fünf Juroren, den sie in die Pflicht nehmen werden: Vom Düdinger Konzertveranstalter Daniel Fontana hatten sie bisher nur Absagen erhalten.
Apropos Jury: Diese hatte bei der Entscheidungsfindung engagiert diskutiert. Aus fünf wurden drei Favoriten, das Rennen war knapp, wie Jurysprecher Jean Zuber (Swiss Music Export, Schtärneföifi, ZH) bekannte. Am Ende habe das Herz den Ausschlag gegeben. Und dieses schlug bei der neu konstituierten Jury, der zudem Christoph Alispach (DRS3, BS), Thomas Fessler (Produzent, ZH), Daniel Fontana (Bad Bonn, Düdingen, FR), Nick Joyce (Basler Zeitung, BS) angehören, für Slag in Cullet.
Dass in Basel kreative Nischen leidenschaftlich gepflegt werden, machte auch der dritte Preis des Abends deutlich: Business Support steht für die Auszeichnung einer Agentur, eines Label oder eines Managements. Einer kleinen Firma oder Ich-AG, die in einem schwierigen Umfeld Strukturen ermöglicht, die zur Verbreitung regionaler Musik beiträgt. Marlon McNeill konnte diesen Preis heuer entgegennehmen. Mit seinem Label A Tree in a Field Records bewegt er sich noch weiter fernab des Mainstreams als Slag In Cullet – und fördert dabei herrlich unerhörte Musik zutage, sei es Fai Baba oder die elektronischen Tüfteleien von Papiro – so wie auch seine eigene verschrobene Musik (Combineharvester). Die Tatsache, dass er daneben auch als Booker im Hirscheneck einen wichtigen Nischenbeitrag leistet, wird als Kriterium zwar nicht berücksichtigt, soll aber an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll.
Brandrede vom RFV-Präsidenten
Der feierliche Anlass diente vor dem Preissegen auch als Plattform für Ansprachen: Poto Wegener, Präsident des RFV, ist stets exquisit eingekleidet und blitzt in der Regel auch rhetorisch auf. Diesmal aber wirkte er ein bisschen arg missionarisch: Er erwähnte kurz, dass die Basler Szene nie so stark gewesen sei wie im letzten Jahr, liess diese Behauptung aber sogleich im Raum stehen, um auf Faktoren hinzuweisen, die die Schweizer Musik schwächen würden. Und machte folgedessen Stimmung für den Schutz von Urhebern und gegen die Piraterie, pries die Aktivitäten des neu gegründeten Vereins Musikschaffende Schweiz, und tadelte aus der Ferne den Bundesrat, der das geistige Eigentum im Internet zu wenig schütze.
Ob seine Brandrede ankam? Immerhin sucht man vergeblich prominente Basler Namen in der Mitgliederliste dieses Vereins – abgesehen von Baschi und Anna Rossinelli, die beim Pop-Preis nicht unter den Anwesenden weilten. Womöglich sehen die Basler Musikerinnen und Musiker im Internet weniger stark eine Gefahr als dies ihr Lobbyist und Urheberrechtsexperte tut. Vielleicht aber – und das wäre wiederum gewieft – nutzte Wegener seinen Appell auch einfach als trojanisches Pferd: Er wandte sich an die anwesenden Politiker, von Tobit Schäfer über Baschi Dürr bis Patrick Hafner und forderte sie auf, sich für die Rechte der Popszene einzusetzen – und meinte damit eigentlich die Musikerinnen und Musiker selber (etwa James Gruntz, der sich kürzlich zu diesem Thema in der TagesWoche äusserte).
Ein Politiker, der noch in diesem Monat im Nationalrat vereidigt wird, versprach postwendend, dass er in Bern auch der Popszene eine Stimme verleihen wolle: Daniel Stolz. «Man kann stolz sein auf die bisherigen Gewinner, auf Anna Aaron, the Bianca Story und Navel», sagte der FDP-Politiker und RFV-Vorstand. Und ermutigte dabei sowohl den Nachwuchs wie auch die arrivierten Künstler, weiterhin die Stadt mit eigener Musik zu erfüllen, denn «wie in einer politischen Partei braucht es nicht nur eine Spitze, sondern auch eine Basis.» Und diese lauschte anschliessend den Klängen von Anna Aaron, die ein grosses Versprechen bleibt und der man ebenso wie allen neuen und alten Preisträgern wünschen würde, dass diese Auszeichnung zu einer nachhaltigen Karriere beiträgt.