Slampoeten sind Chamäleons

Slampoeten machen keine Kunst, heisst es, sondern Unterhaltung. Die Ironie dabei: Viele schreiben nebenbei literarische Texte.

Nach oder neben ihrer Zeit auf der Slambühne bringen Slampoeten verschiedenste Dinge hervor. Mit dabei: ein Antiheimatbuch, Lyrikbände und ein extrem freches TV-Format. (Bild: Nils Fisch)

Slampoeten machen keine Kunst, heisst es, sondern Unterhaltung. Die Ironie dabei: Viele schreiben nebenbei literarische Texte.

Am 7. Dezember steht im Theater Basel die zweite Ausgabe des Dead or Alive-Poetry Slams ins Haus, bei dem lebende Slampoeten auf tote Dichter treffen. Letztere leihen sich den Körper von Schauspielern des Hausensembles.

Das ist von beiden Seiten ein Gang ins Ungewisse. Der Poetry Slam, dessen Ursprungsmythen in rauchige Keller führen, begibt sich auf die ­Bühne des ehrwürdigen Hauses. Ein Heimspiel für die toten Dichter also. Umgekehrt ist klar, um welche Münze gespielt wird. Sieger ist, wer das Publikum am gründlichsten zum Lachen bringt. Das steht zwar nirgendwo geschrieben, ist aber Fakt. Die Schauspieler müssen geschickt in den ­Gesamtausgaben ihrer Schützlinge wühlen, um gegen die Slammer eine Chance zu haben. Beim ersten Basler Dead or Alive im April schlugen sie sich nicht schlecht, waren aber klar unterlegen. Eben weil es doch kein Heimspiel war. Weil sie schüchtern versuchten, auf dem Gebiet der Slampoeten ein Bein auf den Boden zu kriegen. Doch eine Crowd zum Wiehern bringen, das können die Slammer halt sehr gut.

«Keine Kunst ohne Unterhaltung»

Vielleicht sogar unüberbietbar. Jedes Jahr werden Slampoeten mit Preisen geehrt, etwa Team & Struppi mit dem Deutschen Kleinkunstpreis 2013 oder Sebastian Krämer mit dem Deutschen Kabarettpreis 2012. Was früher ein Untergrund­format war, ist längst Establishment. Nicht selten wird dem Slam deswegen sein Untergang prophezeit. Die Literatin Felicitas Hoppe sagte in einem Gespräch: «Seit Slampoeten vor Botschaftern auf Marmorböden auftreten, hat das Format seinen Reiz verloren.»

Doch erst mal ist der Poetry Slam populär. Und vielleicht gerade weil er so erfolgreich ist, wird dem Slam immer wieder angekreidet, er sei «nur» Unterhaltung – und nicht Kunst. Die Slampoeten benutzen diese Eingrenzung längst als geflügeltes Wort, wenn sie nicht gerade darüber die Augen verdrehen. Hazel Brugger wischt die Frage vom Tisch und sagt bei einem Gespräch: «Es gibt ­keine Kunst ohne Unterhaltung und keine Unterhaltung ohne Kunst.»

Freilich wird man Unterschiede ausmachen können zwischen einem Spätwerk von Hölderlin und jenen Anekdotenverkettungen, wie sie ausgewiesene Slampoeten aus den Hosentaschen zu ziehen pflegen. Doch die Frage, warum der Slam nur das ist, was er ist, ist nicht interessant. Viel spannender ist es, dass viele ­Slampoeten selbst die Grenzen der Slampoetry in alle Richtungen überschreiten.

Mehrere Eisen im Feuer

Am kommenden Dead or Alive sind unter den Slampoeten gleich drei, die noch andere Eisen im Feuer haben. Lara Stoll bespielt ein TV-Format, das an Monty Python und Loriot erinnert, Renato Kaiser hat jüngst sein zweites Buch geschrieben, und bei Christoph Simon ist es seltenerweise gar um­gekehrt: Der 41-jährige Berner hat schon zahlreiche Bücher vorgelegt und ist erst kürzlich zur Slampoetry ge­stossen.

Des Weiteren gibt es Journalisten und Schauspieler, und Etrit Hasler ist in die Politik gegangen (auch nur ein Poetry Slam?). Andere machen Stand-up-Comedy. Gabriel Vetter ist am Theater Basel angestellt und schreibt zurzeit eine TV-Sitcom. Michael Lenz, der Leiter des Literaturinstituts in Leipzig, hat auch mal geslamt.

Wie lesen sich diese Bücher? Was haben die Slampoeten drauf, denen keine «Kunst» zugetraut wird?

Der Star unter den bücherschreibenden Slampoeten ist zweifellos der Berliner Marc-Uwe Kling mit seinen Känguru-Geschichten. Das Publikum gibt ihm recht: Der erste Band (2009) erscheint gerade in 25. Auflage, zusammen mit zwei weiteren hat er sich über eine Million Mal verkauft.

Tatsächlich ist das Buch mehr als blosse Aneinanderreihung von Slampoetry. Aus den Figuren werden Charaktere, aus den vielen kleinen Geschichten wird eine grosse. Das Starke daran ist, dass die Entwicklung der Figuren nicht mehr als ein Nebeneffekt der Komik zu sein braucht. Denn, wie das Känguru in einem Nachwort verkündet, «die einzig relevante Einteilung der Postmoderne lautet: ‹witzig oder nicht witzig›» – womit, wenn man den Satz doch kurz ernst nehmen will, Hazel Brugger recht gegeben wäre.

Weniger geglückt ist Renato Kaisers Parodie auf schweizerische Klischees mit dem fidelen Titel «Neutralala». Sein Antiheimatbuch verbindet Satire mit der Mission, doch ein paar Fakten über das Land zu streuen, hervorgehoben durch graue Textboxen. Infotainment sozusagen, eine fatale Mischung. Und zu lang ist es auch für das Konzept, Klischees über die Schweiz auf die Spitze zu treiben. Nach den Kapiteln zu Käse und Bergen steigt man aus, hat aber noch fast 300 Seiten vor sich.

Die Spoken-Word-Wurzeln

Klare E-Kunst macht hingegen Nora Gomringer. Die Deutsche und Schweizerin hat die Slam Poetry schon 2006 weitgehend hinter sich gelassen, ­slamte aber letztes Jahr nochmal für die TagesWoche. Auf diesem Video sieht man, dass sie es mit dem vordergründigen Scherzen nicht mehr so hat. Ihre Heimat ist ­Lyrik und deren Rezitation. Ihr jüngster Band ist dieses Jahr bei Voland & Quist erschienen und heisst «Monster Poems». Damit ist ihre Scharnierposition bereits hinreichend beschrieben. Der Verlag ist ein Organ der Spoken-Word-Szene und der Titel hat jene ironische Pointiertheit, die nach einem Erbe aus Gomringers Slam-Zeit klingt. Die Texte selbst sind keine leichte Kost. Es geht um Grauen, Angst und Ungewisses.

Doch obwohl sie vom Unverständlichen und Unbekannten handeln, sind die Texte auf Verständlichkeit ausgelegt – anders als weite Teile der zeitgenössischen Lyrik, die ihre Sprache von der Unverständlichkeit durchdringen lassen, von der sie sprechen. Daran erkennt man Gomringers Spoken-Word-Wurzeln. Ihre Texte sind sprachliches Spiel, aber nicht in letzter Hinsicht Experiment. Sie greifen sich ihren Hörer, statt dessen Ratlosigkeit zu riskieren.

Ein Literat spaziert zum Slam

Ein nochmals ganz anderer Fall ist Christoph Simon. In «Spaziergänger Zbinden» (2010) schreibt Simon den Gedankenstrom eines Altersheim­bewohners auf, der seine Religion im Spazieren gefunden hat. Spazieren, weiss Zbinden, heilt die Menschen und gibt dem Leben Sinn. Am Ende des Buchs hält er gar einen Vortrag übers Spazieren. Das alles ist natürlich nicht so ernst gemeint und gerade deshalb äusserst charmant und geistreich. Zbinden träumt von einer Welt, in der sich die Menschen aufeinander beziehen, statt einander zu umgehen. Aus dem Mund von Moralaposteln nervt diese Leier, aber der latent durchgeknallte Alte darf das.

Das Buch ist voll von Passagen, die sich unverändert auf die Slambühne hieven liessen. Dass Simon am 7. Dezember beim Dead or Alive zu hören ist, passt wie die Faust aufs Auge. In der Slamszene findet er ausserdem genau das, wovon sein Spaziergänger träumt – anders als in der Literaturszene, in der Respekt und Vorsicht ­gegenüber namhaften Personen meist vorherrschen.

Alle drei Bücher haben etwas gemeinsam: die Lust an der Pointe. Sie muss nicht notwendig humoristisch sein. Sie kann in einem Gedanken oder Bild bestehen, auf die eine Textpassage hinausläuft. An dieser klaren Richtung und Struktur merkt man, woher diese Texte kommen – oder hingehen.

Um Poetry Slam ist kein Herumkommen

Neben dieser Gemeinsamkeit sind die Unterschiede denkbar gross. Wer sind die Slampoeten, dass sie in alle Richtungen schiessen? Gabriel Vetter dreht die Fragestellung um. Bezeichnend sei, dass so verschiedene Leute beim Poetry Slam landen: «Wenn man in einer deutschsprachigen Stadt aufwächst und einigermassen textaffin ist, kommt man um Poetry Slam kaum herum», sagt er und macht eine Geste mit den Händen – wir einigen uns darauf, seinen Gedanken die Flaschenhalsthese zu nennen.

So gesehen leuchtet die Vielfalt der Slamabgänger ein – sie kamen schon vielfältig zum Slam. Kommt dazu, dass das Slammen selbst eine vielfältige Angelegenheit ist. Slampoeten sind Kulturbetriebe in einer Person: Veranstalter, Moderator, Manager, Netzwerker, Autor, Regisseur, Schauspieler. Dementsprechend ist die Zeit in dieser Szene, das sagen viele von ihnen, eine umfassende Schule. Im Grunde sind Slampoeten Chamäleons. Vetter sagt: «We are, whatever you want us to be.» Man kann sie als Pausengag engagieren, als Tafelunterhaltung, als abendfüllende Soloperformance, als Wettkampf, als Lesung.

Nach einigen Jahren verlassen die meisten Poeten das Slämmeli wieder, wie es intern liebevoll genannt wird. «Das liegt weniger am Poetry Slam», sagt Lara Stoll, die acht Jahre dabei war, am Samstag nochmals dabei ist, sich aber ebenfalls langsam entfernt. «Mich interessieren inzwischen an­dere Dinge.»
Zurzeit ist ihr höchst unterhalt­sames TV-Format «Bild mit Ton» auf SSF zu sehen. Ob sie für immer im Humor bleibt? «Muss nicht sein», sagt sie und lacht, «alles andere ist möglich – aber unwahrscheinlich.»

Slampoeten kommen von überall her, gehen überall hin weiter und ­finden zwischenzeitlich im Slämmeli zusammen, einem Format, in dem ziemlich viel möglich ist. Mit der ­Fähigkeit, ein Publikum zu einer Pointe hinzuführen und dort zu packen, bleiben die meisten wahrscheinlich zeitlebens behaftet.

_
Dead or Alive: 7.Dezember, 20 Uhr, Theater Basel, Kleine Bühne.

Nächster Artikel