Der gefeierte südafrikanische Theatermacher Brett Bailey legt dem klassischen Dramenstoff von Medea ein afrikanisches Gewand um, präsentiert aber nicht viel mehr als eine aufgepoppte und über weite Strecken allzu leicht verdauliche Variante der griechischen Tragödie.
Es gibt diesen einen Moment, während des gut anderthalbstündigen Theaterabends, der verstört und haften bleibt. Wie bei einem Popkonzert sagt der Priester und Zeremonienmeister den Namen des Schlagzeugers an, der zu diesem Zeitpunkt bereits über eine Stunde lang alles gegeben hat. Und wie bei einem Popkonzert spendet das Publikum Frank Paco, so der richtige Name des Musikers, den absolut verdienten Applaus. Erst nach einer gewissen Zeit nimmt man wahr, dass dies ein durchtriebenes Ablenkungsmanöver war. Denn zur selben Zeit macht sich am rechten Bühnenrand Jason auf brutale Weise über seine Frau Medea her, der er soeben offenbart hat, dass er sie wegen einer anderen Frau verlassen werde. Er vergewaltigt sie, während das Publikum applaudiert!
Der Südafrikaner Brett Bailey und seine Compagnie Third World Bunfight haben sich mit ihren Theaterinstallationen als versierte Chronisten des Unheils im postkolonialen Afrika einen Namen gemacht. Im jüngsten Projekt dient der klassische griechische Mythos der Medea als Vorlage – im konkreten Fall in der dramatischen Bearbeitung durch den Niederländer Oscar van Woensel mit dem Titel «medEia». Medea ist der klassische Tragödienstoff schlechthin. Immenses Unheil haftet dem Schicksal der titelgebenden Hauptfigur an, vom Raub des goldenen Vlieses, über die Flucht mit dem Argonatenführer Jason, auf der sie ihren Bruder töten muss, bis hin zum beispiellosen finalen Racheakt an ihrem Ehemann, der darin mündet, dass sie ihre beiden Söhne umbringt.
Eindrücklicher Chor
In Brett Baileys szenischer Umsetzung ist Medea eine Art afrikanische Priesterin, die vom weissen Macho Jason aus ihrer traditionellen, von Stammesriten geprägten Welt herausgerissen und als Geliebte nach Europa gebracht wird. «In the rich part of the world», wie der Chor verdeutlicht. Der Chor, er besteht aus drei schönen afrikanischen Frauen in langen weissen Gewändern und mit weissen Turbanen auf dem Kopf, ist Zentrum und Herzschlag des Theaterabends. Vom hypnotisierenden Schlagzeugrhythmus begleitet oder besser getrieben und durchgehend synchron im Takt dazu wippend, erzählen sie die Geschichte und kommentieren sie das Geschehen – zum Teil sarkastisch, zum Teil tief berührt. Wie der klassische Tragödienchor leiden sie mit der Hauptfigur mit und verzweifeln in ihrer unheilvollen Vorahnung und am Umstand, nicht in das schreckliche Geschehen eingreifen zu können. «Not with this man?» rufen sie Medea zu, die sie aber nicht hören kann. «It’s not good to be a woman», lautet sodann der sarkastische Kommentar dazu.
Das trotz dieses aufgepoppten Arrangements recht klassisch wirkende Zusammenspiel von Chor und Schlagzeug fasziniert und zieht das Publikum in der gut gefüllten Reithalle in seinen Bann. Aber nicht genug, dass sich die Frage verdrängen lässt, was für eine Geschichte Brett Bailey uns mit dieser «medEia» eigentlich erzählen will. Der aktuelle Bezug mit der Immigrantin aus Afrika, die in Europa unter die Räder gerät, wird zwar erzählerisch dargelegt, im eigentlichen Spiel aber nicht wirklich nachvollzogen. Das tragische Schicksal von Jason, dem herrisch auftretenden weissen Unterdrücker, und Medea, der unheilbehafteten und -bringenden schwarzen Frau, bleibt im Privaten stecken. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass Bailey immer wieder seichte Popsongs einfliessen lässt. Wenn Medea ihre Kinder umbringt und ihnen dabei die sarkastisch tröstenden Wort «smile and die» zumurmelt, ist dies kein wirklicher Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt.
Die brutale Realität bleibt draussen
Auf dem Plakat zur Aufführung (siehe Bild), sind drei ausgesprochen unangenehm wirkende Gestalten zu sehen: maskierte jugendliche Gangster oder Soldaten, mit Holzknüppel und Eisenketten bewaffnet. Ein Stück Realität in gewissen Teilen Afrikas, die noch immer von Kriegen und Machtkämpfen, von Armut und deren Kollateralschäden geprägt ist. Es ist ein eindrückliches Bild. Leider aber tauchen solche Bilder auf der Bühne nicht auf. Nicht unmittelbar, aber auch nicht wirklich in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Dafür ist das szenische Geschehen alles in allem etwas zu sauber und zu glatt. Und wenn Medea dem Publikum am Schluss ein verächtliches «Fuck you!» entgegenspuckt, nimmt man das allzu unberührt zur Kenntnis.
- Theaterfestival Basel: Brett Bailey / Thirld World Bunfight – «medEia» nach Oscar von Woensel, Regie: Brett Bailey, Mit: Faniswa Yisa, Mbulelo Grootboom, Apollo Ntshoko, Frank Paco, Namhla Tshuka, Indalo stofile, Mbali Kgosidintsi. Weitere Vorstellung: Mittwoch, 5. September., Kaserne Basel, Reithalle.