«Finding Dory»: So lustig wie eine Gedächtnislücke

Schluss mit den Lobeshymnen auf Pixar: Die Fortsetzung von «Finding Nemo» ist zum Vergessen.

Ein Filmkritiker schleicht durch den Basler Zoo, halblaut Verwünschungen ausstossend. Im Aquarium bleibt er vor einem Becken mit tropischen Zierfischen stehen und redet durch das Glas auf einen orange-weiss gestreiften Anemonenfisch ein – besser bekannt als «Clownfisch» aus «Finding Nemo».

Das Glas beschlägt.

Wie war das mit dem Vorsatz, nie, aber auch wirklich nie ein unnötiges Sequel drehen zu wollen? «Cheapquels» hatte Pixar-Mastermind John Lasseter sie einmal genannt. Und so sieht das Programm für die nächsten drei Jahre aus: «The Incredibles 2», «Cars 3» und «Toy Story 4». Teil vier! Leiden die alle an Gedächtnisschwund?

Und Apropos Gedächtnisschwund: jetzt also «Finding Dory».  

Zugegeben, der Titel ist clever – man sieht dem Sequel die Fortsetzung nicht gleich an. Aber die Geschichte riecht so streng wie ein Fisch beim Rückenschwimmen: Der amnesische Doktorfisch Dory soll ein Jahr nach der Heimkehr des kleinen Nemo seine eigene Familie wiederfinden.

Gummiger Grummler

Dabei gibt der Clownfisch das Verdikt zum Film ja selbst ab: «Eine Ozeandurchquerung sollte man nur einmal machen», warnt er seine Gefährtin Dory, man möchte ihm dafür glatt die Flosse schütteln. Fall erledigt, zurück ins Riff und dort die – wie war das noch? – «die Korallen polieren».

(Merke: Schicke Kritiker NIEMALS in einen deutsch synchronisierten Film. Das ist wie bei einer Allergie auf Meeresfrüchte – die kommt langsam, schlägt dann aber umso gnadenloser zu.)  

Stattdessen schwimmen wir noch einmal durch die digitale Glungge, samt Surfer-Dude-Schildkröten, Walhaien und anderen assortierten Helfern, die sich in Plüschform auch auf dem Regal eines Spielzeugladens gut machen.

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Wobei: der Kraken. Der hat mich fast wieder rumgekriegt, weil in ihm aufblitzt, was Pixar einmal so einmalig gemacht hat: die Kunst, Unförmigem – und potenziell Unerfreulichem – liebenswürdiges Leben einzuhauchen. Mit seiner Fähigkeit, sich wie ein Chamäleon an den jeweiligen Hintergrund anzupassen, ist der gummige Grummler der (un)heimliche Star von «Finding Dory».

Emotionaler «Torture Porn»

Aber dann diese manipulative Masche, dieses kalkulierte Wechselbad der Gefühle! In Sicherheit, am Abgrund; verlassen, gefunden; Weh und Welpenblick!

Hatten sich Eli «Hostel» Roth und Bret «American Psycho» Easton Ellis zu «Toy Story 3» noch gegenseitig ins Revers geheult, führt «Finding Dory» vor, wie weit das Unternehmen seine kinderfreundliche Variante des «Torture Porn» konfektioniert hat: Ich mache dir gerade so viel Angst, dass du auch über billige Witze dankbar lachst.

Für waidwunde Emotionen musste Bambis Mutter sterben. Das hat Pixar für «Finding Nemo» von Disney abgekupfert. Und zum Disney-Konzern gehört Pixar ja auch seit zehn Jahren: Grosser Fisch schluckt kleinen Fisch, das gilt zu Land wie zu Wasser. Pixar stand einmal für den Anspruch und das Versprechen, gute Filme ohne das konservative Label «Familienunterhaltung» zu drehen. Filme, die etwas riskieren. Aber vielleicht war das auch nur ein Missverständnis: Pixar ist das neue Disney.

Wird das Publikum «Finding Dory» trotzdem lieben? Damit kann man rechnen, die Filmemacher jedenfalls haben es getan: Die Kasse stimmt.

Drum trockne Deine Tränen, kleiner Clownfisch: Im Meer sieht Dich niemand weinen. Und die Franchise stirbt zuletzt. 

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