Das Kollektiv Konono N°1 aus der Demokratischen Republik Kongo gastierte am Gründonnerstag erstmals in Basel in der Kaserne.
Die Wahrnehmung afrikanischer Musik ändert sich in Europa seit einigen Jahren merklich. Klar, die grossen Stars wie Amadou & Mariam, Salif Keita und Youssou N’Dour sind immer noch auf den grossen Festival zu Gast, pflegen weiterhin einen Sound, der viel von westlichem Pop, Rock und Blues in sich trägt. Doch es drängen auch immer mehr Musiker aus dem Underground ans europäische Ohr. Künstler, die den urbanen afrikanischen Alltag treffender repräsentieren als die klangvollen Namen der Weltmusik. Das Kollektiv Konono N°1 gehört zur Speerspitze dieser untergründigen Bewegung.
Bereits vor mehr als 30 Jahren wurden sie in Kongos Hauptstadt Kinshasa von einem Truckfahrer namens Mawangu Mingiedi gegründet. Ihre Musik, der Bazombo, kommt im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Busch zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Angola, sie besteht aus tranceartigen Schleifen, ursprünglich auf Hörnern gespielt, die aus Elefantenstosszähnen gefertigt waren. Mingiedi hat sie auf das Likembe übertragen – so werden die Daumenklaviere in diesen Breiten genannt.
Das alles hört sich höchst unspektakulär an, wäre da nicht die veränderte akustische Situation gewesen, mit der er und seine Mitstreiter sich konfrontiert fanden, als sie in die Stadt kamen. Da sie gegen den Strassenlärm nicht ankamen mit ihren zarten Lamellophonen, bastelten sie sich mit ihren sehr bescheidenen finanziellen Mitteln kurzerhand neue aus Blattfedern alter Autos, konstruierten für sie abenteuerliche Verstärker: Selbstgebaute Mikrofone, Megaphone aus der Kolonialzeit, alte Drähte und Magnetspulen sorgten fortan für einen monströs schnarrenden, gnadenlos verzerrten Sound, der zudem noch rhythmisch von einem Perkussionsarsenal aus Karosserieteilen, Pfannen und Töpfen gepuscht wurde.
Kuhglocken-Xylophon
Fertig ist eine Ästhetik, die nun bei uns im Westen in Beziehung zum Punk, zum Experimentalrock, zum Dancefloor gesetzt werden kann. Nachdem der belgische Globetrotter Vincent Kenis Konono N°1 erstmals vor sieben Jahren im Westen mit einer CD-Produktion auf dem experimentierfreudigen Brüsseler Label Crammed vorgestellt hatte, stürmte die unfreiwillige Garagenmusik aus Kinshasa die Weltmusikcharts, wurde gar für einen Grammy nominiert, war auf Björks Album «Volta» und bei Herbie Hancock zu hören, und Remixer von Megafaun bis zum Animal Collective machten sich an die höchst kreative Verwurstelung des minimalistischen «Afro-Punks». Dementsprechend gespannt durfte man sein, als nun Konono N°1 in Sextettbesetzung erstmals in Basel gastierten und am Gründonnerstagabend die Bühne in der Kaserne bestiegen.
Fast asketisch wirkt es, was da auf den Brettern an Equipment verwendet wird. Da sind die drei Likembe-Akteure unter der Leitung des Gründersohns Augustin Mawangu, sie haben sich ihre Instrumente wie einen Bauchladen umgeschnallt, und irgendwie sieht es die ganze Zeit so aus, als würden sie SMS-Botschaften in gigantische Natels tippen. Ein Drumkit, das auf Snare, Becken und Hi-Hat reduziert ist und ein Conga-Set agieren dahinter, an der Front die imposante Erscheinung der einzigen Frau, Pauline Mbuka Nsiala, die eine Art Kuhglocken-Xylophon bedient, und mit wiegenden Tanzschritten die Männerriege anführt. Ein wenig geisterhaft werden sie alle von einem Riesenmegaphon überragt, das kalt angestrahlt wie ein betonfarbener Mond über der Szenerie steht.
Brodelnder Urwald-Sound
Schon mit den ersten Takten liegt ein Mark und Bein durchdringendes Flirren und Schwirren in der dicken Luft des Saals, das für den Rest der Nacht nicht mehr unterbrochen werden wird. Die aufgeblähten Daumenklaviere interagieren in betörenden Patterns, die anmuten, als haben sich die seltsamen Minimal-Loops eines La Monte Young auf eine andere Tempoebene verselbständigt. Synkopierte Bässe rollen unablässig wie Brandung heran und die Drums offenbaren mit zunehmender Steigerung irgendwann diesen treibenden, fast marschartigen Rhythmus, der Afro-Partygängern von Soukouss-Hits bekannt vorkommt. Doch das ist freilich keine elegante Tanzmusik, hier regiert der ungeschliffen brodelnde Sound des Urwalds, ein Rausch aus Insektengezirp, Vogelschrei und Naturgebrüll, der heisse Atem des Dschungels selbst – ein Akustiker hätte seine helle Freude daran, die Schwebungen und Interferenzen zu analysieren. Ab und an pulsiert der Sound so heftig, dass gar ein wenig Unrat von der Decke aufgewirbelt wird.
Über gut 20 Minuten steigert sich jedes Stück auf einen trancehaften Level, angefeuert durch staccatoartige Ruf- und Antwortchöre, die sich um temperierte Skalen wenig scheren. Stoisch blicken die Musiker ins heftig zuckende Publikum, als wären sie selbst schon entrückt, anders ließe sich dieser Groove über so lange Zeit wohl auch nicht halten. Es ist das größte vorstellbare Gegenteil von einem Konzert, ein Kollektiverlebnis, solistisch tritt hier kaum einmal jemand hervor, abgesehen von einigen Likembephrasen, die sich in melodischen Fetzen herausschälen. Die Verständigung zwischen den Musikern, sie geschieht auf einer anderen als der sichtbaren Ebene. Es herrscht Geflecht, Netzwerk, Verschmelzung. Nach rund 90 Minuten glühen die Gehörgänge, und im Bauchraum arbeiten die metallenen Resonanzen. War das schon Avantgarde oder noch Ahnenkult? Das Herz der Finsternis schlägt jedenfalls laut und unbändig.