Das altgediente Emerson Quartett entfaltet im Laufe des Konzerts im Stadtcasino grosse Dynamik – das hätte in der ersten Hälfte des Abends wohl niemand erwartet.
Das Emerson Quartett spielt seit 34 Jahren in unveränderter Besetzung. In all der Zeit sammelte das New Yorker Ensemble die höchsten Auszeichnungen der Klassikszene, nahm über 50 Platten auf und spielte in den ersten Häusern rund um die Welt.
Am Ende dieser Saison, im Mai, steht dem Quartett der erste Besetzungswechsel bevor. Der Cellist David Finckel will sich, so liest man, neuen Aufgaben widmen. Für ihn kommt der 20 Jahre jüngere Brite Paul Watkins.
An Endzeit ist also offensichtlich nicht zu denken. Das erinnert allerdings an das Alban Berg Quartett, das ebenfalls 25 Jahre in unveränderter Besetzung spielte, bis der Bratschist im Jahr 2005 verstarb und durch dessen Schülerin ersetzt wurde – das Quartett hörte nach wenigen Jahren auf.
Wie dem auch sei, irgendwo zwischen Spätzeit und Aufbruch siedelt sich der Eindruck an, den das Konzert des Emerson Quartetts vom 5. März im Stadtcasino hinterlässt. Der Abend beginnt mit Joseph Haydns Streichquartett Nr. 34 in D-Dur, op. 20/4. Das Stück vereint eine Form von klassischer Leichtigkeit mit lyrischen Elementen.
Das Ensemble tritt sichtbar unaufgeregt auf. Eugene Drucker nimmt das erste Pult ein und gibt einen Einsatz wie ein Uhrwerk. Die Musiker spielen mit einer Zuverlässigkeit zusammen, wie man das wohl nur nach 30 Jahren gemeinsamer Arbeit tun kann. Koordination ist nicht nötig, sie ist einfach im Raum – als fünfter Mann auf die Bühne getreten.
Klänge, aber lustlos
Tolle Klänge entstehen schon hier. Vor allem Finckels Cello bringt einen warmen Sound: raumfüllend, schmelzend, elegant artikuliert. «Wann immer es in der Oper erotisch wird, muss das Cello her», sagt ein altes Wort des Cellisten Siegfried Palm. Bei Finckels Spiel fällt es einem wieder ein.
Doch die Herren spielen, als hätten sie vor dem Auftritt ein Krisengespräch geführt, ohne eine rechte Lösung zu finden. Also spielen wir halt, scheint die Stimmung zu sein, doch ohne rechte Lust. Ausser dem wie von selbst laufenden Zusammenspiel ist kaum Austausch zu bemerken.
Nicht viel anders beginnt Robert Schumanns Quartett Nr. 3 in A-Dur, op. 41/3, eines seiner intimsten und klagendsten Stücke. Die Herren schlagen äusserst gemässigtes Tempo an.
Philip Setzer, von nun an die erste Geige, verleiht der Interpretation von vornherein etwas Altmodisches, indem er das Leitmotiv der absteigenden Quinte (man muss es einfach Seufzermotiv nennen) als Glissando artikuliert. Ein pathetischer Stil, aber auch hier will keine rechte Glut aufkommen. Dabei entsteht ein seltsamer Doppeleindruck: Vor allem in den hinteren Sätzen strömt ein Ensembleklang in den Saal, dass man fast vom Stuhl fällt. Alles ist da, meint man, zudem spielen alle Stimmen wunderbar sanglich, auch wenn Virtuosität und manchmal Intonation etwas rosten – warum fangt Ihr nicht endlich an?
Und doch noch Ovationen
Die Frage bleibt im Raum. Doch nach der Pause, im Edvard Grieg (Quartett in g-moll, op. 27), entsteht eine Dynamik, die wohl niemand mehr erwartet hat. Immer noch steht das Quartett stoisch, mit kaum einer Regung, ausser beim ewig freundlichen Finckel. Aber irgendwas ist passiert und das monumentale Stück, in dem nordisch archaische Choräle mit Wiener Kaffeehausklängen wechseln, manchmal atonal berührt, wird immer kraftvoller.
Am Schluss will das betagte Publikum (warum interessiert sich kaum ein junger Mensch für Klassik?!) die Emersons kaum gehen lassen. Diese zeigen daraufhin grösste Kunst der Zugabe: Anton Weberns vierter von fünf Sätzen, op. 5, modern, immer noch, nur ein Hauch, kaum ein paar Minuten, abgründig, lyrisch – und vorbei.
Da gehen sie hin, irgendwie ausgespielt, und doch wieder entflammt.