Spaghetti pur und Wodkawickel

Die Sopranistin Maya Boog über ihre Bühnenpartner, die Figur der Manon und über die Probenarbeit mit Regisseur Elmar Goerden.

(Bild: Peter Schnetz)

Die Sopranistin Maya Boog über ihre Bühnenpartner, die Figur der Manon und über die Probenarbeit mit Regisseur Elmar Goerden.

Am 7. Februar sollte sie zur Premiere von Jules Massenets Oper «Manon» auf der Bühne stehen. Wenige Tage zuvor noch hütete Maya Boog das Bett – die Grippe! Die Opernsängerin musste sich schonen. Erst, als ihr HNO-Arzt grünes Licht gab, durfte sie mit uns sprechen. Beim Treffen im Café Ono sucht sie lange nach einem geeigneten Sitzplatz, einem ohne Zugluft. Sie entschuldigt sich für das Hin und Her. Und erklärt: «Ich will nicht komisch sein, aber gestern hatte ich noch Fieber. Da ist man etwas angespannt, so wenige Tage vor der Premiere.»

Frau Boog, ist es mühsam, wenn man beruflich so abhängig vom eigenen Körper ist?

Es ist sehr mühsam. Gerade im ­Winter ist es ein dauernder Stress. Nur schon, wenn man Tram fährt, begegnet man so vielen erkälteten Menschen.

Sie konnten an manchen ­Endproben nicht teilnehmen. Ist das ein Problem?

Wir haben sechs Wochen sehr intensiv geprobt, alles drehte sich um ­Manon. Dann musste ich eine Woche das Bett hüten – es war schrecklich. Nun konnte ich die Orchesterproben nicht mitmachen, konnte mir die Partie nicht einteilen, nicht über­legen, wie ich meine Kräfte über die drei Stunden hinweg dosiere.

«Ich kann wie auf einer Welle surfen – das ist phänomenal!»

Aber vielleicht sind Sie nun frisch und erholt?

Nein – die Muskulatur geht ja auch zurück, wenn man nicht singt! Aber es muss und wird für einmal auch so gehen. Ich bin unheimlich dankbar, dass das Theater Basel mir das ­Vertrauen gibt und ich dennoch die Premiere singen darf!

Die Figur der Manon ist ein ­Rollendebüt für Sie. Was bedeutet das?

Es ist sehr aufregend. Ich musste erst ein Gefühl für diese Figur bekommen, für ihren Charakter, ihre Musik. Ich habe viel gelesen: natürlich die Novelle von Abbé Prévost, aber auch das Schauspiel von Carl Sternheim. Das war sehr aufschlussreich, vor allem, was die Beziehung zwischen Des Grieux und Manon betrifft. Das ist eine sehr tiefe Liebe, auch eine sehr tiefe Leidenschaft – etwas ganz und gar Existenzielles.

Muss man als Sängerin reif sein für diese Figur?

Nun, im Libretto ist Manon 16 (lacht).

Und sängerisch: Ist es eine schwierige Partie?

Eine vielseitige. Sie hat alles: sehr hohe und sehr tiefe Töne, viel in der Mittellage, ein bisschen Koloratur, lange Phrasen. Aber wir haben einen fantastischen Dirigenten …

Enrico Delamboye …

… er spürt, was ein Sänger braucht. Er fliesst mit den Bewegungen, er atmet mit, kann aufnehmen, was ein Sänger braucht. Vor allem dynamisch. Er ist immer einen Hauch ­darunter, gibt uns nie das Gefühl «gisch was hesch», ich muss nie über dem Orchester singen. Sondern er legt das Orchester darunter, ich kann wie auf einer Welle surfen – das ist phänomenal!

Das Libretto ist französisch. Lässt sich das gut singen?

Ich habe das sehr gern. Natürlich ist es nicht einfach, auf den Nasallauten Klang zu erzeugen; in den hohen Lagen muss ich die öffnen. Aber es gibt auch viele gesprochene Dialoge in dieser Oper, davor hat man als Sänger meistens Respekt. Während­dessen hofft man eigentlich nur, dass es vorbeigeht, dass bald die nächste Gesangsnummer kommt. Aber Elmar Goerden hat uns da unheimlich geholfen, ich habe richtig Spass am Reden bekommen!

Elmar Goerden ist ursprünglich Schauspielregisseur.

Ja, ein fantastischer Schauspiel­regisseur! Es ist einfach pures Glück, mit ihm zu arbeiten!

Weshalb?

Er ist immer ausgezeichnet vorbereitet. Er bringt ein wunderbares Team mit; seine Ideen sind eingebettet in das Bühnenbild, in die Kostüme; ­alles greift ineinander und unterstützt sich gegenseitig. Aber er ist kein Konzeptreiter. Elmar hat zwar seine ganz klaren Vorstellungen, ihm ist wichtig, dass wir seine Vorschläge ausprobieren. Aber wenn er sieht, dass sich einer damit nicht wohlfühlt, kann er seine Idee auch fallen lassen; er ist da sehr flexibel. Er entwickelt die Figuren wirklich gemeinsam mit uns Sängern.

«Manon erlebt extreme Gefühlsschwankungen.»

Wer ist Ihre Manon?

Für mich ist sie ganz klar eine manisch-depressive Figur, sie hat eine bipolare Störung. Manon erlebt extreme Gefühlsschwankungen. Sie kann von absoluter Euphorie emo­tional in den tiefsten Keller rutschen, innerhalb einer einzigen musikalischen Phrase. Hören Sie nur einmal ihre erste Arie: Da singt Manon von ihrer Reise, was sie alles gesehen hat, sie muss weinen – und plötzlich ist da wieder ein gellendes Lachen!

Ist Manon eine typische Femme fatale?

Nein. Zu Beginn hat sie keine Ahnung von ihrer Wirkung. Sie ist nicht einmal schön angezogen, kommt in Shorts, T-Shirt, derben Boots daher, schultert ihren Seesack.

Aber die Männerherzen fliegen ihr sofort zu.

Ja, sie bezaubert durch ihre Eigen­artigkeit, durch ihre absolute Individualität. Sie ist unberechenbar, trifft Entscheidungen von grosser Tragweite innerhalb von Sekunden. Sie ist sehr arm aufgewachsen, hat gesehen, was Armut aus den Menschen macht. Und in dem Moment, als sie merkt, dass das mit Des Grieux so nicht mehr geht, dass ihr die Beziehung keine finanzielle Sicherheit bietet, schnipp, entscheidet sie sich für einen anderen. Das heisst aber nicht, dass ihre Liebe vorher nicht wahr gewesen ist.

Die neue Beziehung hilft Manon aber auch nicht weiter.

Nein. Mit dem dritten Akt habe ich meine Probleme, da ist Manon so biestig, richtig ekelhaft. Sie ist da mit einem Typen zusammen, der gar nicht zu ihr passt – und den sie dann auch ziemlich schlecht behandelt. Aber so ist das: Wenn man mit der falschen Person liiert ist, kommen die schlechten Seiten zum Vorschein.

Setzt Manon ihren Körper bewusst ein?

Nein. Manon hat kein Gefühl für ­Abstand und Nähe, mal ist sie viel zu nah, dann wieder viel zu distanziert. Auch ihre Körperlichkeit ist speziell, da ist nichts Weiches, ihre Zärtlichkeit ist ein wenig ruppig. Sie streichelt nicht, sondern greift und knübelt. Das ist ganz zufällig ent­stan-den, als ich in der Pause mit meinem Des Grieux geblödelt habe – Elmar hat es gesehen und gesagt: Das ­nehmen wir!

Sie sagen «Ihr» Des Grieux – wie ist das, wenn man auf der Bühne verschiedenen Männern so nahe kommen muss?

(Überlegt, lacht) Kommt darauf an. Es gibt Partner, mit denen ich sehr gerne arbeite. Mit Andrej Dunaev, «meinem» Des Grieux, ist es grossartig. Im Leben sind wir super Kumpel, auf der Bühne ein super Paar. Wir haben keine Berührungsängste, wir machen einfach. Sonst muss man immer fragen, geht das, darf ich das machen …

«Ich bin es gewohnt, freischaffend zu sein. Ich kann das Unstete gut aushalten.»

Da fragt der eine Sänger den ­anderen, wie nahe er ihr – oder sie ihm – kommen darf?

Ja. Wenn ich – wie zum Beispiel jetzt als Manon – jemandem im Ohr bohren möchte, da frage ich schon nach, das ist ja nicht so angenehm. Aber eben, mit Andrej ist das total entspannt. Das ist nicht mit jedem so.

Auch wenn man Sie noch oft auf der Basler Bühne sieht – Sie sind kein Ensemblemitglied mehr, richtig?

Nein, seit drei Jahren nicht mehr. Es ist nichts vorgefallen, ich habe mich sehr wohl gefühlt, aber gerade in diesem Wohlfühlen besteht die Gefahr der Selbstverständlichkeit. Sowohl von mir aus als auch vom Haus aus. Und diesen Zustand wollte ich verändern. Wollte flexibler sein.

Sind Sie nun freier?

Ja – und im Nachhinein weiss ich es noch mehr zu schätzen, was für ein Luxus es ist, Ensemblemitglied zu sein. Regelmässige Arbeit, regel­mässiges Gehalt – das hat etwas. Aber ich bin es gewohnt, freischaffend zu sein, ich kann das Unstete gut aushalten. Und dass ich nun dennoch immer wieder ans Theater Basel engagiert werde, ist wunderbar. Dahinter steckt eben eine etwas andere Energie, als wenn ich fest zum Haus gehören würde.

Sind Sie hier verankert?

Ja, Basel ist mein Zuhause. Ich habe noch nie so lange an einem Ort gelebt – ausser in Thalwil, wo ich aufgewachsen bin.

Viele Opernsängerinnen und -sänger singen fernab ihrer ­Heimat. In «Manon» stammen Ihre Gesangspartner aus Russland, Finnland, den USA … Ist es ein Vorteil, zu Hause ­singen zu können?

Ja! Es ist schön! Es gibt mir eine ­andere Stabilität, wenn ich nach ­einer Probe, nach einer Vorstellung in meine eigenen vier Wände zurückkehren kann.

Wie bereiten Sie sich auf eine Premiere vor?

Mit viel Schlaf und viel Essen.

Sie können mit vollem Magen singen?

Ich brauche es. Ein grosser Teller Spaghetti pur, mit Butter oder Olivenöl.

Haben Sie ein bestimmtes Entspannungs­programm für Ihre Stimme?

Ja: Wodkawickel. Äusserlich angewendet natürlich. Ein altes Haus­mittel. Ein Gazetuch mit Wodka tränken, 15 Minuten lang den Wickel um den Hals halten und dann ganz still sein. Bis zum nächsten Nachmittag nicht singen, nichts sagen. Dann ist die Stimme wie neu am nächsten Tag! Hilft auch bei anderen Verspannungen im Körper, kann ich Ihnen nur empfehlen.

Maya Boog

Die Sopranistin Maya Boog ist ein Publikumsliebling am ­Theater Basel. 2001 bis 2009 gehörte sie zum Ensemble, seither wird sie immer wieder als Gast ­engagiert – zuletzt als Ginevra in Händels «Ariodante». 2009 spielte sie Mimi, die Hauptrolle in der Fernseh-Liveproduk­tion von Puccinis «La Bohème im Hochhaus» (SRF/Arte); zahl­reiche Homestorys machten sie damals auch einem klassikfernen Publikum bekannt. Als studierte Kirchenmusikerin tritt sie auch häufig mit Originalklang-Ensem­bles auf. Maya Boog stammt aus Thalwil und wohnt seit vielen ­Jahren im Kleinbasel.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.02.13

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