«Sparrows» zeigt die Hoffnungslosigkeit der isländischen Jugend

Island fördert das Filmschaffen auf ganz eigene Weise – und betreibt damit auch Tourismusförderung. Der neueste Film «Sparrows» jedoch vermittelt ein klägliches Bild des Landes. Und ist genau deshalb sehenswert.

Ein hilfloser Alkoholiker als Vater und sein Sohn: Der 16-jährige Ari beim trostlosen Frühstück.

(Bild: ©Xenix Films)

Island fördert das Filmschaffen auf ganz eigene Weise – und betreibt damit auch Tourismusförderung. Der neueste Film «Sparrows» jedoch vermittelt ein klägliches Bild des Landes. Und ist genau deshalb sehenswert.

Spatzen haben es schön – sie können wegfliegen, wenn es ihnen irgendwo nicht gefällt. Nicht so Ari, der Hauptprotagonist des Filmes «Sparrows» («Þrestir») von Rúnar Rúnarsson. Der 16-Jährige muss von Reykjavík in die abgeschiedenen Westfjorde zu seinem Vater ziehen.

Ein kleines Dorf, in dem er schon seine ersten Lebensjahre verbracht hat, ist seine neue alte Heimat. Ein Dorf, rundherum abgeschnitten durch Berge oder das Meer, nur ein Tunnel führt hinaus. Ein Dorf bestehend aus Wohnhäusern und einer Fischfabrik. Sonst nichts.

So trostlos kennt man Island kaum. Die Insel im Norden, der Hype, das Traumland vieler. Auch vieler Filmschaffender. Denn Island bietet nicht nur traumhafte Landschaftskulissen – sondern es erstattet seit wenigen Jahren ausländischen Filmproduzenten die Filmkosten für die in Island gedrehten Szenen, basierend auf einem Gesetz, das nach der Wirtschaftskrise 2008 erlassen wurde.

Nicht nur «Game of Thrones» wurde hier gedreht, sondern auch Filme wie «Star Wars – The Force Awakens», «Marvel’s Civil War» oder «Interstellar», um ein paar mehr oder weniger aktuelle Beispiele zu nennen. Auch Schweizer haben sich dieses System schon zunutze gemacht: Felix Tissi hat sein «Welcome to Iceland» im kargen Hochland angesiedelt. Es ist nichts als Tourismuswerbung für ein Land, das inzwischen während der Sommermonate in den Touristenmassen fast ertrinkt.

Eingesetzt für dieses Gesetz und für die Förderung der Kultur überhaupt hatte sich Katrín Jakobsdóttir, von 2009 bis 2013 isländische Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Die Kultur war für sie «der Rettungsring, von dem unser Überleben abhängt. Ich wollte meinen Mitbürgern vor Augen führen, dass die Kultur ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Sie erwirtschaftet so viel wie die gesamte Aluminiumindustrie», sagte sie 2013 in einem Interview. Jakobsdóttir schaffte, was sie wollte, und so hat die staatliche Unterstützung der Kultur am Ende gleichzeitig der Wirtschaft geholfen.

Raus aus Island

Doch die Kulturförderung hilft nicht nur dabei, die Menschen ins Land zu locken – sie wirkt auch umgekehrt: Gerade im Musikbereich sind es längst nicht nur die grossen Player wie Björk oder Sigur Rós, die von Island aus Tourneen in den Rest der Welt unternehmen. Und wie die isländischen Bands sich dem Weltpublikum stellen, so flimmern auch mehr isländische Filme über unsere Kinoleinwände.

Nicht die Hollywoodproduktionen, die ihre Fantasiegeschichten in die isländische Szenerie pflanzen, sondern in Island von Isländern geschriebene und produzierte Filme – auch wenn die heimische Filmszene nicht gross ist (kein Wunder bei 350’000 Einwohnern).

Es sind meist Filme mit einem skurrilen Zug, die die Naturverbundenheit eines Volkes propagieren, das ein Ministerium für Elfen kennt: «Of Horses and Men» zum Beispiel, oder «Rams».


«Rams»-Regisseur Grímur Hákonarson sagte im Interview mit der TagesWoche vor einem Jahr: «Auch Touristen wollen in Island der Hektik entfliehen. Man kommt zu uns, um durchzuatmen.» Die Weite der Landschaft, die Leere – in Island kann man dem Alltag entfliehen. Viele verbinden dies mit einer Idylle, die es zu erleben gilt. Und strömen in den hohen Norden.

Raus aus der Idyllen-Ecke

Wenig idyllisch aber geht es im neusten isländischen Film zu und her. «Sparrows» dauert knapp 100 Minuten – und danach verspürt man nicht mehr den Drang, im ländlichen Island leben zu wollen. Derart drastisch ist das Bild, das vermittelt wird.


Runden auf dem Rad drehen, abhängen, mehr kann man als Jugendlicher in diesem Dorf in den Westfjorden, in dem der Jugendliche Ari landet, nicht machen. Auch den Erwachsenen fällt wenig anderes ein, als sich allabendlich zu betrinken und stockbesoffen und nackt im Hot Pool zu baden. So auch Aris Vater.

Dass er dabei seinen Sohn vernachlässigt, erscheint als logische Folge. Die Kindergartenfreunde sind nicht mehr dieselben, Ari findet keinen Anschluss. Ein trostloser Alltag. Die Grossmutter ist der einzige Halt für den Jugendlichen – bis sie an einem Herzinfarkt stirbt.

Irgendwann gelingt Ari die Annäherung an ein Mädchen, doch kaum glaubt man als Zuschauer einen Silberstreifen am Horizont wahrzunehmen, geschieht Unaussprechliches. Und dann ist der Film vorbei. Was zurückbleibt, ist Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, ein Kloss im Hals.



Nichts zu tun ausser Alkohol zu trinken.

Nichts zu tun ausser Alkohol trinken. (Bild: ©Xenix Films)

Es ist ein harter Film, den Rúnar Rúnarsson gedreht hat. Ein realistischer Film, der fassungslos macht. Der die kargen und windumtosten Berge Islands, die so viel idyllische Ruhe ausstrahlen können, in einem anderen Licht erscheinen lässt. Der verstehen macht, weshalb so viele Isländer dem Land den Rücken kehren und ihr Glück in der Hauptstadt versuchen.

Als Tourismuswerbung lässt sich «Sparrows» nicht gebrauchen. Doch es ist ein Film, den man sich antun sollte. Auch wenn man danach eigentlich nur hoffen kann, dass die Realität anders aussieht.
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«Sparrows» läuft ab dem 15. September in den Basler kult.kinos.

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