Früher hat Viet Dang Videoclips von Popstars anmoderiert. Heute tanzt er darin. Der Basler feiert in Los Angeles beachtliche Erfolge.
Da ist Viet Dang endlich mal wieder zu Hause – und doch ständig auf dem Sprung. Anfang Februar stieg er in ein Flugzeug in seiner Wahlheimat Los Angeles, legte in New York einen beruflichen Zwischenstopp ein, ebenso in Spanien, wo er in eine Tanzjury einberufen worden war, ehe er in seiner alten Heimat, der Schweiz, landete. Doch statt in Basel im Schoss seiner Eltern auszuspannen, rennt er von einem Termin zum nächsten, gibt 17 Tanz-Workshops in 16 Tagen.
Und dazwischen? Versucht der 34-Jährige, die Erkältung abzuschütteln, die er sich gleich nach seiner Rückkehr im winterlichen Europa eingefangen hat. «In Los Angeles ist es jetzt 25 Grad warm», sagt er und fügt lächelnd hinzu: «Und doch ist das Leben dort chilliger.»
Nicht nur was die Temperaturen betrifft, scheint er sich in den letzten zwei Jahren bestens in Los Angeles akklimatisiert zu haben. Mit seiner Arbeit erreichte er bereits ein Millionenpublikum – als Tänzer in Videoclips von Popstars wie Nelly Furtado oder, gerade eben, Justin Timberlake, in Werbespots und TV-Shows (etwa den American Music Awards mit Christina Aguilera). Selten genug, dass einer aus Basel sein Glück in der Entertainment-Metropole versucht – dass er dann auch noch auf der Bühne und nicht hinter einem Starbucks-Tresen steht, grenzt an ein Wunder. Und kommt doch nicht von ungefähr: Seit 18 Jahren tanzt Viet Dang, arbeitet an und mit seinem Körper. Selbst als er zum Gespräch eintrifft, bewegt er sich federnden Fusses auf uns zu.
Gegen den Willen der Eltern
Viet Dang war 16 Jahre jung, als er erstmals ein Tanzstudio betrat. «Als meine Eltern davon erfuhren, wollten sie mich auf der Toilette einsperren. Sie hatten eine andere Vorstellung davon, was mich glücklich machte.» Er setzte sich durch, der Späteinsteiger, und war sofort auf der Überholspur. Nach einem halben Jahr gewann er die Schweizer Meisterschaften im Hip-Hop-Tanz. Trainierte hart. Trainierte täglich. Auf der Suche nach Entfesselung. Geborgenheit. «Tanzen ist für mich der Schlüssel zur Freiheit», betont er unablässig.
«Tanzen ist für mich der Schlüssel zur Freiheit.»
Und Freiheit hat für ihn eine besondere Bedeutung. «Ich bin ein Flüchtlingskind», sagt er. Die Eltern flohen in den 1970er-Jahren aus Vietnam vor dem Krieg, waren «Boat People», die am Ende ihrer beschwerlichen Reise in der Schweiz strandeten. In Basel bauten sie sich ein neues Leben auf – und wünschten sich nichts mehr, als dass ihre fünf Kinder ein Leben in Freiheit und ohne Armut führen konnten. Was im Fall von Viet zu Reibungen führte: «Für meinen Vater war klar, dass ich am Gymnasium den Schwerpunkt auf Mathematik legte, weil ich ein Junge war», erzählt er. Dabei wären ihm Sprachen doch eher gelegen. Heute spricht er sieben, die Körpersprache nicht mitgerechnet.
Es war nicht der letzte Konflikt mit dem Elternhaus. Er studierte Sozialpsychologie, Journalismus und Japanisch und hatte bereits mit seiner Lizentiatsarbeit begonnen, als ihm klar wurde, dass ihn sein dreigeteiltes Leben zu viel Kraft kostete: Da war der Tanz, da war ein Job beim Musiksender Viva, wo er Videoclips anmoderierte. Und da war sein Uni-Alltag, in dem er Forschungsdaten in den Computer eingab. «Ich hatte mich für eine Arbeit entschieden, in der ich der Frage nachging, ob Kinder, die Sport treiben, auch bessere Schulleistungen nach Hause bringen. Um das zu beweisen, musste ich Negativbeispiele sammeln. Dabei wurde mir klar, dass ich mich nicht mit den Ängsten und Sorgen unserer Gesellschaft beschäftigen wollte. Sondern mich mit der Lebensfreude auseinandersetzen und andere damit anstecken will.» So sagte er der Uni kurz vor dem Abschluss Adieu. «Auch, weil ich überzeugt bin, dass Tanzen wie eine Präventionskampagne gegen Depressionen wirken kann.» So lebensfroh wie er wirkt, glaubt man ihm das gerne.
Als er seine Eltern mit seinem Lebenstraum konfrontierte, ganz auf die Kunst zu setzen, musste er ihnen eines versprechen: dass er nie am Hungertuch nagen würde.
Die Bühne als Zufluchtsort
Am Willen dazu mangelte es ihm nicht, auch nicht am Talent. Hinzu kam ein grosses Sendungsbewusstsein und ein wachsendes Selbstvertrauen, das er – wie die Freiheit – aus seiner Kunst schöpfte. Denn Tanz war für ihn schon als Teenager eine Flucht in eine zweite Realität: «Die Bühne ist der einzige Ort der Welt, wo ich nicht verurteilt, sondern gefeiert werde für das, was ich bin», sagt er. Das klingt dramatisch. Hat er einen grossen Leidensweg hinter sich? «Naja, es war nicht einfach in meiner Jugend: Ich war offensichtlich nicht von hier, ein Exote auf dem Pausenplatz, zudem zierlicher gebaut.» Er entsprach nicht dem Stereotyp des muskulösen Mannes, schon gar nicht mit seinen langen Haaren (die er während unseres Gesprächs auch mal kämmt). Als er zu tanzen begann, wurde er oft belächelt, auch gehänselt. «Menschen können fies zueinander sein, wenn sie auf jemanden treffen, der anders ist», sagt Viet Dang. Und erwähnt «Monster», den Hit von Lady Gaga. «Sie singt, dass in jedem von uns ein Freak steckt. Das sollten wir akzeptieren, schätzen und ausleben!»
Schön und gut. Aber in Los Angeles, wo bis zu 700 Menschen für einen Part vortanzen wollen: Ist der Konkurrenzkampf nicht gnadenlos, sucht ihn die Fiesheit der Menschen nicht ständig heim – oder das eigene Monster, so wie im hollywoodschen Ballettdrama «Black Swan»? «Nein, zu meinem eigenen Erstaunen ist der Umgang miteinander freundschaftlich. Man gönnt sich Erfolge. Auch, weil einen diese ermutigen: Wenn es einer aus den eigenen Reihen schafft, ist man womöglich der Nächste!»
Grosser Ehrgeiz, grosse Gefühle
Die grössten Hürden hat Viet Dang hinter sich: Da war zunächst der Mut, den er aufbringen musste, um ein sicheres Leben hinter sich zu lassen. In der Schweiz hatte er eine Tanzschule aufgebaut, in der er bis zu 150 Leute wöchentlich unterrichtete. Er genoss landesweit beste Reputation im Hip-Hop-Tanz, weil er auf ansteckende Weise Perfektion mit Spass kombinierte – und weil er als Tänzer und Choreograf zum Erfolg von Videoclips beitrug (etwa «Annabelle» der Berner Rapperin Steff La Cheffe, das auf Youtube beachtliche 500 000-mal angeschaut wurde).
Doch der Markt in der Schweiz ist klein. Viel zu klein für seinen grossen Ehrgeiz. Und aus dem gleichen Grund, weshalb er um die Jahrtausendwende den Weg ins Viva-Studio fand («Ich wollte die Masse erreichen. Und das Fernsehen schien mir ein Weg dafür»), fand er vor fünf Jahren den Weg an die amerikanische Westküste. Bildete sich jeweils im Sommer an Workshops in Los Angeles weiter, auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen: «Im Hip-Hop-Tanz ging es stets darum, immer nur cool, lässig zu wirken. Das wurde mir auf Dauer zu eintönig. Im Lyrical Hip-Hop baut man Techniken aus dem zeitgenössischen Tanz in die Choreografie ein. Das heisst, dass man stärker auf die Songtexte eingeht, sich auf die Aussage konzentriert und im Tanz mehr Emotionen ausdrückt.»
Daneben ging er Klinken putzen, bis sich die Hartnäckigkeit auszahlte, sich Türen öffneten. «In Los Angeles können die Agenturen aus 700 talentierten Tänzern maximal zehn auswählen. Da entscheiden sie sich für jene, die ihnen wenig Aufwand bescheren. Klar, dass ich eine Arbeitsbewilligung brauchte.» Was in Erfüllung ging, worauf er die Koffer packte und auswanderte. Seither unterrichtet er jeweils montags an der International Dance Academy in Hollywood, dazwischen an Auditions teilnimmt. War sein Äusseres auch mal von Nachteil (der feminine Look!), so erfährt er zunehmend Vorteile: Filmregisseur David Fincher suchte für seinen Clip mit Justin Timberlake just einen androgynen Typen, hielt beim Durchblättern der Dossiers seinen Finger auf ein Foto von Viet Dang und verpflichtete ihn umgehend: «Dass ich tanzen kann, war Fincher klar – auch, weil ich im Ranking meiner Agentur nach oben gewandert bin.» Das ist der Preis für seinen Fleiss: «Meine Agentur pusht mich, weil sie gemerkt hat, dass mein Typ gefragt ist, und dass ich funktioniere in diesem Markt.»
«Wenn du etwas willst und es dich glücklich macht, gibts keine Ausreden!»
Zugegeben: Schaut man sich die schnell geschnittenen Clips der Stars an, sucht man ihn oft lange im Tanztross. Da stellt sich die Frage: Was wiegt stärker, wenn man in der zweiten Reihe an der Seite eines Stars tanzt: die Promo für den Lebenslauf oder das gute Geld? Beides, sagt er. Die Gewerkschaft schaue gut zu Tänzern. Hinzu komme aber auch eine Befriedigung jenseits von Glanz und Gloria: «Die ganze Entourage dieser Künstler ist ungemein inspirierend und professionell.» Als er auf der Bühne mit Christina Aguilera auftrat, war Madonnas letzter Tour-Choreograf involviert. «So öffnen sich neue Türen.»
Man müsse das Talent einsetzen, den Willen haben. «Wenn ich andere Tänzer in der Schweiz auf ihre Träume ansprach, hörte ich oft: ‹Ich würde ja schon gerne, aber …›. Wenn und Aber gibt es in meinem Wortschatz nicht. Wenn du etwas willst und es dich glücklich macht, gibt es keine Ausreden!», sagt er bestimmt. Und weiss, was er noch erreichen möchte: auf Tour gehen. Bei Auditions für Lady Gaga schaffte er es immerhin bis in die letzte Runde. Noch grösser wäre der Wunsch, Madonna zu begleiten: «Sie ist unglaublich inspirierend, mutig auch: Denn sie zeigt, dass man mit 50 noch mit seinem Körper arbeiten, noch Sexualität haben kann. Damit zwingt sie die Gesellschaft, verkrustete Denkmuster zu hinterfragen.» Und zeigt ihm zudem, dass die gewonnene Freiheit nicht in einem bestimmten Alter aufgegeben werden muss.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13