Starke Kommentare zum Stadtleben auf dem Videoparcours durch Basel

Panzerknacker, Synchronschwimmerinnen und abgewandte Schaufensterpuppen: Seit Dienstag schafft der Videoparcours videocity.bs Begegnungen zwischen Stadtflaneuren und Kunstwerken.

Gegenpol zur Über-Ästhetisierung: Diana Dodsons «ultra-marin».

(Bild: Dirk Wetzel)

Panzerknacker, Synchronschwimmerinnen und abgewandte Schaufensterpuppen: Seit Dienstag schafft der Videoparcours videocity.bs Begegnungen zwischen Stadtflaneuren und Kunstwerken.

Wer dieser Tage mit offenen Augen durch die Stadt geht, wird sie nicht übersehen: Bildschirme, vom Messeplatz bis zum St.-Jakob-Stadion, verteilt in Schaufenstern, an Wänden, Fassaden, in Foyers und anderen Innenräumen. 

Hinter der Bildschirm-Invasion steckt der Videoparcours videocity.bs, der dieses Jahr zum dritten Mal die Stadt mit Werken von Schweizer und internationalen Künstlern bestückt. 16 Geschäfte und kulturelle Institutionen zeigen Kunstwerke von insgesamt 27 Künstlern. Den Parcours führen Pro Innerstadt Basel gemeinsam mit Kuratorin Andrea Domesle durch. «Wir wollen andere Blickwinkel ermöglichen und Reizpunkte schaffen, die die Stadt nicht als konzentrierte Geschichte, sondern als erfahrbare Umwelt zeigen», sagt Mathias Böhm, Geschäftsführer von Pro Innerstadt Basel.

Panzerknacker und Innenwelten

Die Stadt und ihre Gebäude als erfahrbare Umwelt – ein Konzept, das besonders im Unternehmen Mitte zum Ausdruck kommt: Mit der ehemaligen Bank haben sich hier sechs Kunststudenten der Haute école d’art et de design Genève (HEAD) auseinandergesetzt und das Gebäude mit eigenwilligen Videoprojekten kommentiert. «Uns war es wichtig, dass die Studenten eine eigene Form der Auseinandersetzung mit diesem Ort finden, den sie filmisch umsetzen», sagt Frank Westermeyer, Leiter Visuelle Kunst der HEAD Genève.

Die Kooperation, die dieses Jahr erstmalig war, ist gelungen: Herausgekommen sind sechs starke Kommentare zum Leben und Arbeiten in diesem historischen Gebäude, frei von jeglicher dokumentarischer Trägheit.




So empfängt einen beim Eingang ein Bildschirm von Manon Lecrinier, der das Youtube-Tutorial eines «Panzerknackers» zeigt. Ein älterer Herr erklärt via Videobotschaft detailliert, wie man einen Safe knackt. Gleich daneben, im Raucherabteil des «Fumare non Fumare», ziert die Arbeit «Facing» des Studenten Karl von Hammerstein die Wand: Drei Personen, die sich gegenseitig beobachten. 

Es ist eine Arbeit, die den Geist des Ortes treffend beschreibt, findet Esther Petsche vom Unternehmen Mitte: «Wir alle kennen diese Situation: Du sitzt in der ‹Mitte›, trinkst einen Kaffee, beobachtest die anderen Menschen und überlegst dir, wer sie wohl sind.» Dieses Beobachten und Rätseln bringt von Hammerstein auf den Punkt, indem er die Gedanken der drei Personen in Untertiteln veranschaulicht. Ein geschicktes Spiel zwischen Wahrheit und Fiktion, zwischen Erwartung und Tatsache, fast genau so wie das Leben in der «Mitte» tatsächlich ist.

Synchronschwimmerinnen vor abgewandten Schaufensterpuppen

Nicht weit vom Unternehmen Mitte befindet sich eine weitere starke Arbeit, in einem Schaufenster von Globus: Hier wurde die Videoinstallation «ultra-marin» der Künstlerin Diana Dodson platziert, ein verkehrtes Unterwasservideo, das Synchronschwimmerinnen bei ihrem Wassertanz zeigt. Die Arbeit bringt eine lebendige Welt zwischen die starren Schaufensterpuppen, die sich vom Bildschirm abwenden. «ultra-marin» entsagt dem Schönheits-Diktat, das in Schaufenstern präsent ist: «Es geht um eine Auflösung der Über-Ästhetisierung hin zu einem lebensnäheren Verständnis dafür, was Schönheit ist», meint die Künstlerin.




Eine Nähe zum Leben, die auch in einer Videoarbeit ein paar Meter weiter, in einem Schaufenster der Bank CIC, zum Ausdruck kommt: Hier sieht man die dänische Künstlerin Jeannette Ehlers als entrückte Figur vor einem Bücherregal tanzen. Die Bücher fallen eines nach dem anderen heraus. Der Titel «Ventilate» suggeriert die Lösung eines Drucks, ein Ausstossen und sich frei machen. Je mehr Bücher vom Regal verschwinden, desto weisser wird die Fläche und desto freier wirkt die tanzende Person.

«Ehlers bezieht sich immer auf ihre Familiengeschichte, die von Sklaverei und Rassismus geprägt ist», sagt Carola Ketterer-Ertle von der Sammlung Ketterer-Ertle, die aus ihrem Videobestand einige Werke zum Parcours beitrug. Die Arbeit stellt Fragen rund um die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Sklaven und ihr Verhältnis zu Wissen: Was ist Wissen und wer hat das Recht darauf? Wie gestaltet sich der Zugang zu Wissen? Wohin verschwindet es, wenn wir es konsumieren?




William S. Burroughs beim St.-Jakob-Stadion

Um eine andere Form von Gesellschaftskritik geht es in der Videoarbeit am äussersten Zipfel der Stadt, im St.-Jakob-Stadion. Hier hat Künstler Dominik Stauch die elektronische Werbetafel an der Ecke Brüglingerstrasse/St. Jakobsstrasse in Beschlag genommen, auf der nun in kurzen Abständen zwischen den Werbungen Zitate des amerikanischen Schriftstellers William S. Burroughs erscheinen. Es sind subtile, fast unscheinbare Kommentare, die sich in die Werbebotschaften einreihen und einzigartige, zufällig generierte inhaltliche Zusammenhänge entstehen lassen.

Um einiges spielerischer fällt wiederum die Einzelbild-Animation «Überholspur» des Basler Künstlers Mathis Vass an der Schnabelgasse 4 aus: Kleine Spielzeug-Feuerwehrautos rasen an sich auf- und abbauenden Klötzen mit aufgedruckten Buchstaben und Satzzeichen vorbei, kleine flitzende Akteure in einer immer komplexer werdenden Umwelt.




Der Videoparcours sei eine gute Möglichkeit, die Stadt Basel neu zu erfahren und Orte zu erkunden, auf die man sonst keine zweiten Blicke wirft, meint Andrea Domesle. Dabei würden die Werke das Leben in der Stadt reflektieren und umgekehrt: «Es ist eine gegenseitige Bereicherung: Die Videokunst lässt den Alltag in einem anderen Licht erscheinen und wird gleichzeitig von ihm geprägt», so Domesle. Die vielfältigen Arbeiten an für Kunst ungewöhnlichen Orten beweisen: Auch dieses Jahr ist das videocity.bs wieder auf vielschichtige und spannende Art und Weise gelungen.
 

videocity.bs, Videoparcours durch die Basler Innenstadt, 20. Mai bis 21. Juni, 9 bis 24 Uhr.

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