Es tue ihm wirklich leid, sagt Herr Weidinger, den Oberkörper im mausgrauen Anzug leicht nach vorn gebeugt, aber er habe gerade Streit mit diesen «extrem aggressiven Sheriffs» von der Gesundheitsbehörde, darum bitte, bitte dieses Mal nicht rauchen in seiner Kneipe.
«Schon ok», sagt Stefanie Sargnagel, «passt scho.» Schält sich aus der waldgrünen Jacke mit Fellfutter, greift in die Tasche mit Tabak, Filter und Papier, zieht die Hand zur Faust geballt wieder raus und beisst sich in den Knöchel.
Freitagabend in Wien, rauchen wär ganz nett. Aber während draussen der Verkehr über den Gürtel donnert, sitzt also im Nichtraucherabteil des Café Weidinger eine, die dort nie sitzt. Stefanie Sargnagel, Starautorin, selbsternanntes «It-Girl», Kettenraucherin und einer der schillerndsten Gäste im Programm der diesjährigen BuchBasel.
Im Glanz der Strasse
Sargnagel, die bürgerlich Sprengnagel heisst, hat mit dem Bürgertum nicht viel am Hut, ausser dass ihr mittlerweile von diesem der rote Teppich ausgerollt wird. Seis, dass sie für das Feuilleton der «Zeit» über die Wagner-Festspiele in Bayreuth berichten soll. Oder dass sie zum Bachmannpreis der Klagenfurter Lesetage gleich von zwei Jury-Angehörigen aufgeboten wird – die Literaturszene will etwas abhaben von der Street-Credibility dieser Frau, die ihrerseits nach dem Gewinn des mit 7000 Euro dotierten Publikumspreises in Klagenfurt auf Facebook postet:
4. 7. 2016
Ich muss mich jetzt ganz viel duschen um diesen bürgerlichen Schmutz wegzuwaschen, in dem ich mich die letzten Tage gesuhlt habe.
4. 7. 2016
Immer wenn Artikel mich in den Himmel loben, fühl ich mich verstanden.
An der BuchBasel liest Sargnagel im Festsaal des Volkshauses, und damit auf der grösstmöglichen Bühne, ihre kürzlich abgespulte Lesetour in Deutschland war beinahe ausverkauft. Keine Frage, der Wirbel um ihre Person blähen der Frau mächtig die Segel. «Statusmeldungen», heisst ihr neustes Buch, das im August erschienen ist.
Das war vor drei Monaten. Für eine aktuelle Bestandesaufnahme fährt man am besten nach Wien, dort lebt Sargnagel, dort ist sie geboren und dort sind auch die Orte und Gestalten, die ihre Texte wie treue Freunde begleiten.
Die Favoritenstrasse ist Sargnagels Ideen-Biotop, ein heiliger Ort der Inspiration sozusagen.
Zwei Stunden bevor Weidinger in seiner Kneipe leidvoll das Rauchen verbieten muss, qualmt am Reumannplatz ein angebrannter Mülleimer aus dem offenen Schlund in die Nacht. Es ist kalt. «Ah, hallo», grüsst Sargnagel mit festem Händedruck und schaut prüfend die Favoritenstrasse entlang, die hangabwärts eine gleissende Schneise durch die heruntergekommenen Fassaden des 10. Bezirks schlägt. «Hier ist immer was los», sagt sie zufrieden und geht gleich los.
Die Favoritenstrasse ist Sargnagels Ideen-Biotop, ein heiliger Ort der Inspiration sozusagen. Hier, wo Dönerläden und Blumenverkäufer ihren Duft verströmen, wo Strassenhändler vergilbte Magazine und nervösen Blicks prepaid SIM-Karten verkaufen, wo Kinder mit Kopftuch zerrupfte Tauben jagen und ein Blinder vor dem Billigwarenhaus Tschibo für das Kleingeld alter Frauen ungarische Arien singt, hier geht Stefanie Sargnagel gern «auf und ab».
«Ich komm ur-gern hier her und schau mir die Leute an», sagt sie, «man merkt, dass hier keine teuren Wohnungen stehen, die Leute sind einfach lieber auf der Strasse.» Am Würstelstand kauft sie eine kleine Flasche Wasser und lehnt sich für die Fotografin lässig an den Tresen. Klick. Posen kann sie.
23.5.2016
Ich liebe die Favoritenstrasse. So viel zum Schaun. Ein einziger Schaugasmus.
Auf-und-ab-gehen. Das ist im Prinzip auch der Aggregatzustand von Sargnagels Literatur, die sich als fliessender Müssiggang aus Texten und Zeichnungen in die sozialen Netzwerke, vor allem Facebook, ergiesst. Sargnagel wurde berühmt mit diesen kurzen und längeren Postings, die auch aufgrund der Umgebung ihre Wirkung entfalten.
Denn auf Facebook, wo andere ihre Ferienbilder mit flaumsüsser Rhetorik versehen, wo Selbstdarsteller ihre Beachbodies feiern und Bilder vom Frühstück um Herzen und erigierte Daumen betteln, dort mischt auch Sargnagel mit. Bloss halt anders, aggressiver, lustiger, böser, visionärer, vulgärer. Wahrer. Sie greift gern in den gärenden Subtext dieser verlogenen, weil likegeilen Ästhetik und träufelt ihre Zeilen wie zynische Einsprengsel dazwischen.
28.6.2016
Ich bin so stolz auf dicke Frauen die sich anziehen wie Huren.
6.8.2015
Ich glaub nicht, dass es Zufall is, dass so viele Afrikaner nach Österreich kommen und plötzlich hamma 40 Grad!
9.2.2017
Mhh Mozzarella … milchig und zart, wie die Hoden eines Engels.
Der skurrile Sarkasmus dieser Zoten wirkt verstörend, wenn er auf dem Fliessband all der anderen Postings durch die Timeline rutscht – isoliert geht den einzelnen Posts der Reiz manchmal ab. Das ist die Krux an «Statusmeldungen», das Buch: Es ist, als hätte man sich das Internet ausgedruckt. Macht ja auch keiner.
Was auch fehlt in dieser gebündelten Bestenliste ihrer Posts zwischen Juli 2015 und Februar 2017 ist der unmittelbare Bezug zur Aktualität – und die Kommentare. Die netten wie die bösen, die Likes und der Hass. Diese diskursive Wolke, die Sargnagel zuverlässig begleitet, sie lässt sich nicht zwischen Buchdeckel pressen.
Vier Bücher hat Sargnagel publiziert, alles gesammelte Statusmeldungen oder transkribierte Dialoge aus dem Call-Center, wo sie früher ihr Geld verdiente. Den nächsten Vertrag mit Rowohlt hat sie schon zu Hause liegen, nur die Unterschrift fehlt noch. Ob sie nicht auch mal etwas Längeres verfassen könne, wird sie öfters gefragt, sie denkt drüber nach.
Vor zwei Jahren war das anders:
26.11.2015
Grosse deutsche Verlage schreiben mich plötzlich an: Wir haben gehört, ihre kurzen Texte kommen gut an. Wir wären daher interessiert, aber nur an LANGEN Texten. Oder Kurzgeschichten. Das ist so, wie ihre kurzen Geschichten, nur LÄNGER. LÄNGER IST BESSER! LÄNGER, LÄNGER, LÄNGER, WIE UNSERE LANGEN SCHWÄNZE!
«Manchmal lösche ich meine Posts nach einer Weile wieder», sagt Sargnagel «wenn mir die Pointe nicht passt oder wenn ich plötzlich denk, das war jetzt vielleicht doch rassistisch oder so.» Das hat auch mit ihrer Reichweite zu tun, über 52’000 Menschen folgen Sargnagel mittlerweile auf Facebook.
Auf der Favoritenstrasse dreht sich dagegen keiner nach ihr um und ausserdem ist ihr langsam kalt. «Wir können die Strassenbahn Nummer 6 nehmen, die fährt direkt zum Weidinger quer durch alle Ghettos.»
In der Bahn steht sie dann in diesem Scharnierteil zwischen zwei Waggons, auf dem es immer so fürchterlich rüttelt, und schaut auf ihr Handy. Eine Freundin legt später noch auf im «Espresso», eine andere Clique sitzt im Keller des Café Concerto. Sargnagel seufzt.
Sie geht eigentlich gar nicht mehr so gerne aus wie früher: «Ich hab einfach keinen Bock mehr auf Kater. Ausserdem ist es oft auch nicht mehr so spannend, dass ich am nächsten Tag denk: Das war jetzt ein geiler Abend. Ich kenn das jetzt schon.» Sargnagel wird am 14. Januar 32 Jahre alt.
29. 6. 2016
Ich schau auch immer mehr aus wie Houellebecq.
Auf ein alkoholfreies Bier also im Café Weidinger. Dieser fahlen Eckkneipe mit den gehäkelten Gardinen, den brandlochverzierten Polstern und zeitungslesenden Gästen, alt und jung. Es läuft keine Musik, nur gedämpfte Stimmen oder das Klackern der Billardkugeln zerstäuben die Stille. Im Keller gibt es eine Kegelbahn, sie hat an diesem Abend geschlossen.
Es sind Orte wie dieser, vor deren Hintergrund Sargnagel ihre ganz eigene Wirkung entfaltet. «Wenn ich schreibe, läuft da ein Film», sagt sie, legt den Tabak auf den Tisch, steckt ihn gleich wieder in die Tasche. Das Rauchverbot. «Erst wenn sich die Bilder aufdrängen, gibt es die guten Texte, das merke ich auch bei anderen sofort. Wenn da keine Bilder sind, wirkt das ur-pseudo.»
Sargnagel krault die Geschmackshüter zu gern am Gaumen, um sich von Shitstorms den Spass verderben zu lassen.
Von Wiens Bohème wird Sargnagel für diese Bilder geliebt, in konservativeren Kreisen wird ihr daraus ein Stricke gedreht. Wie zuletzt im Januar. Sargnagel war mit Freundinnen in Marokko und führte für den «Standard» ein satirisches Tagebuch. Eine der Freundinnen habe eine Babykatze zur Seite getreten, schrieb sie, weil sie Vegetarierin sei und folglich – Achtung Satire – Tiere hasst.
Da schwoll einem Journalisten der «Kronen-Zeitung» dermassen der Kamm, dass er eine Hetzkampagne vom Stapel liess, in deren Verlauf auch Sargnagels Wohnadresse publik wurde. Das Netz tobte. Sargnagel erlitt durch den Stress einen Hörsturz und leidet bis heute an den Folgen. Am 4. November 2017 postet sie:
«Im Februar fahre ich wieder mit Leuten nach Marokko 😀 😀 :D»
Wer die Posts Sargnagels über einen längeren Zeitraum verfolgt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Die Frau krault die Hüter des guten Geschmacks einfach zu gern am Gaumen, als dass sie sich vom einen oder anderen Shitstorm den Spass verderben liesse. In einem Interview sagt sie der «Zeit»: «Es erstaunt mich schon, wie viele Männer es triggert, wenn man als Frau Raum einnimmt.»
28.9.2015
Wenn mich ein Mann nach einer verbalen Auseinandersetzung am Stammtisch in die Goschn haun will, ist das dann misogyn, also «Gewalt gegen Frauen», oder ist es feministisch, weil er mich als ebenbürtige Faustkampfgegnerin anerkennt?
Das «Babykatzengate», wie sie die Episode um das nie getretene Tier in Marokko rückblickend bezeichnet, förderte ein bizzares Feindbild zutage: «Viele Menschen scheinen keinen Konflikt darin zu sehen, auf ihrem Facebookprofil mit ihrem Haustier zu posen, aber beispielsweise gleichzeitig gegen Ausländer zu hetzen. Schon arg», sagt Sargnagel. In der Klammer zwischen Tierschutzverein und FPÖ-Wählern verortet sie seither eine empfängliche Klientel für ihre Zoten:
14.11.2016
Ich freu mich schon, wenn Europa islamisiert is. Muezzingesang entspannt mich so.
Im Café Weidinger blinkt jetzt das Handy, und Sargnagel sagt auf Wiedersehn zu Herrn Weidinger und wünscht alles Gute mit den Sheriffs. Geht vorbei an den Tanzbars und Spielhöllen, ignoriert die Sirenen der Ambulanzen und steigt in die U-Bahn in Richtung Concerto. Zwei Biere lang, dann reicht das auch. Auf der trüb beleuchteten Bühne im Keller spielt ein Clown Gitarre, im Gesicht trägt er eine rote Nase. Und niemand weiss so recht, wohin mit sich.
Also nimmt die Nacht ihre letzte Wendung und ein Taxi bringt Sargnagel zum «Rüdigerhof», wo Puneh Ansari (mit der sie in Basel auftreten wird) «und ihr Typ» auf sie warten. Der Kellner bringt Bier, gespritzte Weisse aus grossen Gläsern, Zigaretten und dazwischen bittet vom Nebentisch ein junges Paar um ein Selfie. Sie machen so etwas eigentlich nie, aber bitte nur ein Foto mit Sargnagel, ausnahmsweise.
Sargnagel hält stoisch das Handy vors Gesicht, links lächelt schüchtern das Mädchen, rechts zieht der Typ lustige Grimassen. Klick. Sargnagel gibt das Handy zurück, blickt über den Tisch und sagt, halb zärtlich, halb amüsiert: «Puneh, es ist so schön. Auch wenn du ewig im Beisl sitzt, schaust noch elegant und intellektuell aus.» Ansari erwidert «ach geh» und Sargnagel sagt: «Doch sicher, du hast einfach diese Eleganz in den Augen.»
Die beiden kennen sich aus Zeiten, als man in den Clubs am Donaukanal noch Dosenbier trinken durfte. Nun sitzen sie hier unter den weissen Lampen im «Rüdigerhof», erobern mit ihrer Kunst einen Teil des Internets, gehen auf Lesereisen und verdienen damit Geld, das sie in Wien nach wie vor am liebsten ausgeben. Für das Sitzen und Schauen und Austauschen und Sein in hübschen Kneipen.
Auf dass neue Arbeiten entstehen. Das pralle Leben.
Stefanie Sargnagel liest an der BuchBasel am Samstag, 11. November, um 17.00 Uhr im Festsaal des Volkshauses. Ab 22.00 Uhr ist sie mit Puneh Ansari und anderen zu Gast im «Smuk» und liest im Rahmen der Shot-Stories (Eintritt frei).