Stiller Chronist einer lauten Welt

In einer kleinen aber feinen Kabinettausstellung präsentiert das Kunstmuseum Basel den amerikanischen Künstler Ed Ruscha als stillen Chronisten einer lauten Welt.

Der Künstler und sein Werk: Ed Ruscha vor dem Triptychon «View of the Big Picture» (1963) (Bild: Dominique Spirgi)

Die Ausstellung «Ed Ruscha – Los Angeles Appartments» im Kunstmuseum Basel bietet einen erhellenden Einblick in das in den 1960er-Jahren entstandene fotografische und zeichnerische Schaffen des amerikanischen Künstlers.

Die lange schmale Papierschlange mit den vielen vielen Schwarzweiss-Fotos von Hausfassaden gilt als Meilenstein der Konzept- und Fotokunst. Es handelt sich um den ausgedehnten Leporello mit dem Titel «Every Building on the Sunset Strip» aus dem Jahr 1966. Der Titel des Werks gibt ganz banal den Inhalt wieder. Ed Ruscha (*1937) ist mit einer auf der Ladefläche seines Pickups montierten Kamera den Sunset Strip in Los Angeles abgefahren und hat jedes Gebäude auf beiden Seiten der Strasse abgelichtet.

Ed Ruscha – Los Angeles Apartments.

Kunstmuseum Basel.

Die Ausstellung läuft bis 29.9.2013.

Das erinnert heute, über 40 Jahre später, sehr an Google Street View. Was der Künstler selber keineswegs in Abrede stellen möchte. «It’s the same», antwortet er auf die Frage der TagesWoche und schmunzelt. Wie beim Internet-Giganten Google sind Ruschas Aufnahmen keine Fotografien, die einen besonderen ästhetische Brillanz vermitteln wollen, sondern eher schnappschussartige Momentaufnahmen. Doch bleibt ein Unterschied zu Google: Ruschas Werk dringt nicht hinter die Fassaden der Häuser und damit in die Privatsphäre ein.

«Es ist alles Fassade hier»

Das Stichwort «Fassade» sagt viel aus über den Teil des Werks von Ed Ruscha, mit dem er die Oberfläche des «American Way of Life» der Westküste abbildet. Über seine Heimatstadt Los Angeles sagte er einmal: «Es ist alles Fassade hier. Das ist es, was mich an dieser Stadt überhaupt interessiert, ihre Fassadenhaftigkeit.»

Menschen kommen in seinen Werken entsprechend nicht vor. Und wenn auf einer der Fotografien doch mal einer zu sehen ist, dann nur, weil sich dies kaum vermeiden liess. Auf den Zeichnungen, die nach den Fotoaufnahmen enstehen, sind die Menschen dann völlig verschwunden. Wie auch die Telegrafenmäste, die Autos und sonstige Objekte, die den reinen Blick auf die Fassade beeinträchtigen könnten.

«Los Angeles Appartments»

Der Titel der Basler Ausstellung «Los Angeles Appartments» ist ein bisschen irreführend. Denn die Fotografien, Zeichnungen und Fotobücher mit Appartmenthäusern als Motiven machen nur einen Teil der Ausstellung aus. Sie sind aber Ausgangspunkt der Ausstellung, wie der Kurator und Leiter des Kupferstichkabinetts, Christian Müller, sagt. 2011 hat das Kunstmuseum Basel 9 Zeichnungen und 25 Schwarzweiss-Fotografien der Appartment-Reihe erworben, die nun quasi im Zentrum der Ausstellung stehen.

Darum herum sind weitere Serien zu sehen, die charakteristisch für das Schaffen von Ed Ruscha sind. So die bekannten Fotos, Zeichnungen und Gemäldestudien von Tankstellen, die Studien für die grossen breitformatigen Gemälde mit dem Logo des Hollywood-Studios «20th Century Fox» oder mit dem berühmten Hollywood Sign auf den gleichnamigen Hills.

Cinemascope-Format

Diese Zeichen, aber auch das berühmte Bild der Standard-Tankstelle in Amarillo, Texas, (das in der Ausstellung mit mehreren Studien präsent ist) setzt Ed Ruscha im aus dem Hollywoodfilm entlehnten Breitformat um, mit einer dramatisch in die Diagonale verschobenen Perspektive und einer plakativen Reduktion auf die Grundfarben Rot, Gelb und Blau. «Hier wird alles hollywoodisiert», sagt Kurator Christian Müller.

Ganz anders präsentieren sich die Appartment-Werke. Es sind unprätentiöse Aufnahmen mit oft etwas zufällig erscheinenden Ausschnitten. Und auch die Graphitzeichnungen, die nach diesen Motiven enstanden sind, kommen als stille Zeugen der Fassadenwelt daher. Auf den Zeichnungen wirken die Häusserfassaden noch flacher als auf den Fotografien. Und obschon die Zeichnungen wie auch die Schwarzweiss-Fotografien eine gewisse Körnigkeit aufweisen, kann von Fotorealismus hier kaum die Rede sein. In ihrer Reduktion auf das Nebeneinander von Licht und Schatten wirken sie wie schemenhafte Erinnerungsbilder. Ed Ruscha erscheint hier als stiller Chronist einer lauten Welt.

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