Tanzen an der rituellen Technoparty

In der Kaserne Basel fand die Premiere der neuen Produktion «Mysterion» des Choreografen/Tänzers Kiriakos Hadjiioannou statt. Es war der Versuch, eine neue Form von Ritual zu schaffen.

Tanztheater Mysterion

(Bild: Guillaume Musset)

In der Kaserne Basel fand die Premiere der neuen Produktion «Mysterion» des Choreografen/Tänzers Kiriakos Hadjiioannou statt. Es war der Versuch, eine neue Form von Ritual zu schaffen.

Für Feinnervige ist das nichts. Von Anfang an wummern tiefe Bässe und bringen die Trommelfelle zum Vibrieren und Schmerzen. Das wirkt ein bisschen wie eine Partydroge und dauert bis fast zum Schluss, als die Stille einer Erlösung gleich kommt. Für die Protagonisten auf der Bühne, zwei Frauen und fünf Männer, muss diese irgendwann früher stattgefunden haben. Jetzt, da der Beat fehlt, schlagen sie ihn selber, mit Ellbogen und Füssen, die auf den Boden klatschen. Schliesslich raufen sie sich zu einer kleinen Meute zusammen und skandieren «power to the people».

«Mysterion» heisst der Titel der neuen Produktion des in Basel lebenden Tänzers und Choreografen Kiriakos Hadjiioannou und seines Teams. Ein Titel, der die Neugier weckt. Laut Programmzettel hat Hadjiiaonnou zu Alltagsritualen und Schamanismus recherchiert. Tiefgehend kann dieses Studium aber nicht gewesen sein. Aufwendig, detailreich und pompös sind die Kostüme, die die Performer anziehen, nachdem sie ihre Alltagskleider abgelegt haben. Der Kostümbildner (Roman Brau) muss bei diesem Auftrag in Verzückung geraten sein.



Tanztheater Mysterion

Die Kostüme sind zwar aufwendig gestaltet, in die Choreographie einbezogen werden sie aber kaum. (Bild: Guillaume Musset)

Show trifft Ritual

Doch das Ritual an sich lässt keine «heilige» Stimmung aufkommen. Transzendenz findet nicht statt. Und ein höherer Status, wie der Titelzusatz suggeriert, könnte auch eintreten, wenn ein altes schamanistisches Ritual mit den Requisiten und dem Ambiente einer Technoparty verwoben wird. Genau dies wäre interessant gewesen und war offenbar auch die Absicht des Choreografen: Show-Elemente mit Ritualformen zu verlinken.

Dass die Performance im trashigen Brimborium stecken bleibt, liegt auch daran, dass im Kollektiv nie eine echte Spannung oder Ergriffenheit spürbar ist. Die Pop-Effekte sind zu vordergründig. «Verschenkt» auch die meisten der Solo-Momente, die jeder Maskierte nach seiner Verwandlung zugestanden bekommt. Da hätte das potenzielle choreografische Material noch mehr ausgereizt werden können – und nicht nur hier. Denn die postmodernen Kostüme sind nicht einfach nur schön und exotisch anzusehen mit ihrem Glitter, den Muscheln und Bastgeflechten, sondern behindern durch massige Ausstülpungen und riesenhafte Hutgestelle auch die Bewegungsfreiheit. Dies hätte der Choreograf als Ausgangspunkt für Reisen in tänzerische Abgründe nehmen können.

Schamane am Laptop

Der Oberschamane dieses Abends ist der Musiker (Tian Rotteveel). Er steuert über den Laptop die elektronische Musik, gibt Schub und damit die Impulse. Auch wenn das Getöse bis fast zum Ende an den Nerven zerrt, greift er immer wieder zu kleinen Instrumenten, schlägt den Gong oder bläst eine Flöte. Auch er muss sich splitternackt ausziehen, um sich dann ein zottiges Fell überzustreifen.

Dann schiebt er den Verstärker in die Mitte, beschwört ihn und die anderen Eingeweihten. Bis sich der Spuk auflöst und alle hinter dem Plastikvorhang verschwinden, um sich in die Alltagsperson zurück zu verwandeln. Wohl unbeabsichtigt wird diese Szene zur stärksten des Abends: Wie die einzelnen Performer, erschöpft von der Anstrengung von vorher, durch den leicht gedimmten Raum gehen und hier und da ein abgefallenes Kostümteilchen einsammeln. Scheinbar absichtslos vertieft in die Arbeit.



Tanztheater Mysterion

Der stärkste Moment in «Mysterion» kommt zum Schluss. (Bild: Guillaume Musset)

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