Den Auftakt zu unserer Sommer-Serie «Kunst am Wegrand» macht der Basler Künstler Tarek Abu Hageb. Er hat mit der Stadt im Rücken und der Spraydose in der Hand der tristen Heuwaage-Unterführung ein neues Gesicht beschert.
Wer von der Steinen Richtung Heuwaage unterwegs ist, kommt nicht um sie herum: Die Unterführung beim Heuwaage-Viadukt. Seit einem halben Jahr handelt es sich hierbei nicht mehr um ein gewöhnliches Exemplar dieser grauen Stadtspezies. Psychedelisch anmutende Muster tummeln sich auf der Mauer über dem Kiosk, bunte Säulen zieren den kleinen Platz davor, und wer sich bis zum Kiosk wagt, erblickt über sich kleine Monde. Hier bleibt man stehen. Die Unterführung, ein Ort, der typischerweise nur eine Funktion hat, nämlich dass man ihn durchläuft, um irgendwo hinzukommen, ist zu einem Ort des Verweilens geworden.
Verantwortlich für diesen Farbtupfer ist der Basler Künstler Tarek Abu Hageb, der sich seit 26 Jahren in der Sprayerszene bewegt und neben seinen künstlerischen Aktivitäten als Lehrer und Workshopleiter tätig ist. Vor zwei Jahren sagte er in einem Interview mit «Telebasel», er fände es schade, wie jedes Jahr Millionen von Franken für die Reinigung von «Schmierereien» ausgegeben würden, ohne dass je einmal jemand auf die Idee käme, öffentliche Plätze bewusst freizugeben. Die Abteilung für Kantons- und Stadtentwicklung bekam Wind davon und stand prompt bei Tarek auf der Matte, um mit ihm ein Projekt zu lancieren. Im Rahmen von WELCOME – einem Projekt, das sich für ein «unverschmiertes» und einladendes Stadtbild für Gäste und Neuzuzieher einsetzt – erarbeitete Abu Hageb das Konzept einer «Bunterführung», die die Unterführung beim Heuwaage-Viadukt schmücken und zusammen mit jungen Menschen aus Basel realisiert werden sollte.
Eiszeit für die Spraydosen
Ende September 2012 ging es los, mit voller Unterstützung und Assistenz von Seiten der Organisatoren und der Stadtreinigung – die hätten ihm sogar eine Maniküre organisiert, wenn er das gebraucht hätte, sagt Abu Hageb im Gespräch. Leider machte ihm die Jahreszeit einen Strich durch die Rechnung. Die tiefen Temperaturen – teilweise sogar Schnee – setzten dem Künstler und seinem Werkzeug zu: Tarek Abu Hageb musste die Spraydosen zeitweise auf einen Radiator legen, damit diese funktionierten.
Während der Realisierung vermittelte der Künstler sein Werk an Interessierte. Sich als Sprayer mit der Stadt zu verbünden, bedeutete auch, die Fronten zu wechseln, hatte er doch jahrelang bei Nacht und Nebel gesprayt, ohne Bewilligung. Es gebe schon einige Leute aus der Graffiti-Szene, die ihn dafür kritisierten, institutionalisiert zu arbeiten, sagt Tarek. «Für die bin ich ein Sell-Out», hätte sich an die Stadt verkauft. Street Art verstehe sich als Aktion aus dem Untergrund, es gehe darum, nicht zu wissen, wer der Urheber sei, um zu zeigen, dass öffentlicher Raum auch Freiraum bedeute.
In Zeiten, wo Street-Art hoch im Trend liegt, kann der kommerzielle Auftritt zu heftigen Kontroversen in der Szene führen: Jüngst konnte man im Dokumentarfilm «Graffiti Wars» miterleben, wie der englische Sprayer King Robbo und sein renommierter Landsmann Banksy einen Sprayerkrieg führten, indem sie jeweils die Werke des anderen übermalten.
Gegen die Illegalität
Ist es nicht problematisch, nach so vielen Jahren die Seite zu wechseln? Tarek verneint: «Ich bin 41. Da darf ich auch sagen, dass mein Sprayen sein Geld wert ist und als Kunst durchaus gewinnorientiert genutzt werden darf.» Für eine kreative Interaktion mit dem Stadtraum brauche es aber Kompromisse auf beiden Seiten. Und die sind möglich: Die Bunterführung wird von den Sprayern Basels respektiert und von den Bewohnern gemocht.
Die Bunterführung ist das einzige künstlerische WELCOME-Projekt. Tarek bedauert das: «Es gibt so viele Plätze in Basel, wo Arbeiten möglich wären. Es wäre schön, in Zusammenarbeit mit Jugendlichen Street Art zu enttabuisieren und Raum für weitere Auseinandersetzungen mit Graffiti zu schaffen. Am besten im Kleinbasel, um eine Brücke zum Grossbasel zu schlagen. Bis jetzt hat sich das Präsidialdepartement aber noch nicht gemeldet», sagt Tarek Abu Hageb, der zweifellos an Folgeaufträgen interessiert wäre.
Die Muster im öffentlichen Raum
Um die Bunterführung herum standen schon zuvor einige Skulpturen. Etwa «Lieudit» (1976) von Michael Grossert, ein bunter Vogel, der auf der Rasenfläche vor der Unterführung steht und beliebter Kletterplatz für Kinder ist. Seine Farbigkeit findet sich in der Unterführung wieder. Der Schwung der «Eisenskulptur» (1974) von Paul Sutter wird in den Säulen fortgesetzt und der Zeiger des «Fiction/Fiktion» (2010) von Christine Zufferey zeigt direkt auf die Bunterführung. Die Dichte an Werken beim Viadukt macht deutlich: Hier wars mal ziemlich hässlich.
Zum Glück gibts die bunten Muster der Unterführung. Sie stammen von alten Vorhängen, die Abu Hageb in Brockenhäusern kauft und als Schablonen weiterverwendet. So entstehen Überlagerungen und Regelmässigkeiten, die sich wie eine textile Membran um die Mauern legen. Vorhänge sind ein bekanntes Motiv in der Kunstgeschichte: Sie generieren Raum im Bildraum und thematisieren den Betrachter, der durch ein beiseite geschobenes Stück Stoff direkt eingeladen wird, am Dargestellten teilzunehmen. Die Venus von Urbino oder Gabrielle d’Estrées und eine ihrer Schwestern zeigen sich vor und hinter Vorhängen und deuten auf ein Geheimnis hin, das es zu entlocken gilt. Ob die Bunterführung auch ihr Geheimnis hat? Da macht man sich am besten gleich selbst vor Ort ein Bild.
In einer Stadt, wo Graffiti manchen Menschen ein Dorn im Auge ist und die Grenzen zwischen Schmiererei und Kunstwerk amtlich geklärt werden wollen, ist die Bunterführung eine Augenweide, ein angenehmes Zeugnis davon, dass Kompromisse möglich sind. Und erst noch gut aussehen.