Tempel der Visionen

Noch bis zum 10. März zeigt das Zürcher Museum Rietberg Steinskulpturen, Reliefs und Tongefässe aus dem Tempel Chavín in den peruanischen Anden sowie eine 3D-Animation der Anlage.

Tempelanlage Chavín de Huántar, 1. Jahrtausend v. Chr. (Bild: Peter Fux, Museum Rietberg)

Noch bis zum 10. März zeigt das Zürcher Museum Rietberg Steinskulpturen, Reliefs und Tongefässe aus dem Tempel Chavín in den peruanischen Anden sowie eine 3D-Animation der Anlage.

Es gibt immer wieder Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie Erfahrungen gemacht haben, die ihnen einen Blick auf die Wirklichkeit hinter dem Vorhang der Realität erlauben. Ob sich solche Erfahrungen lediglich in den Vorstellungen dieser Menschen abspielen oder ob es tatsächlich eine andere Wirklichkeit hinter den Erscheinungen gibt, darüber gehen die Ansichten auseinander. Der eigentümliche Charakter der Tempelanlage von Chavín im Hochland von Peru legt allerdings den Schluss nahe, dass dort derartige Erfahrungen künstlich erzeugt wurden.

Die Anlage befindet sich im engen Gebirgstal von Callejón de Conchucos auf 3200 Metern Höhe. Entstanden ist sie vor rund 3000 Jahren. Nur schon der Aufstieg aus den tiefer gelegenen Regionen des Landes wird für die Besucher ein eindrückliches Erlebnis gewesen sein.

In der Anlage selbst erwarteten riesige Reliefs und Steinskulpturen die Besucher. Was sich im Innern des Tempels im Einzelnen abgespielt hat, wissen wir nicht genau. Allem Anschein nach wurden die Besucher durch ein Labyrinth von unterirdischen Gängen und Räumen zu einer engen Kammer geführt, in der sie eine vier Meter hohe Steinskulptur zu sehen bekamen. Diese menschengestaltige Figur zeigt raubkatzenartige Züge, Reisszähne und Krallen.

Intensive Erfahrungen

Im unterirdischen Labyrinth sorgten Lichtschächte dafür, dass die Tempelbesucher ein Wechselspiel von Licht und Dunkelheit erlebten.  Vermutlich wechselten auch Momente der Stille mit solchen intensiver Geräusche ab: in kleinen Kanälen liess sich rauschendes Wasser durch die Mauern leiten, und es wurden wohl auch Meerschnecken-Trompeten eingesetzt, mit denen sich einzigartige Töne erzeugen lassen. Zudem standen die Besucher unter dem Einfluss des Rauschmittels Meskalin. Entsprechende Funde legen dies jedenfalls nahe.

Verehrt wurde in Chavín eine Gottheit, der man eine Art Doppelnatur zuschrieb. Dafür sprechen sowohl die erwähnte Figur in der zentralen Kammer wie auch diverse Reliefs und Skulpturen. Eine Reihe von steinernen Köpfen, die unterschiedliche Verwandlungsstufen eines Menschen in eine Raubkatze zeigen, lassen vermuten, dass die Tempelbesucher etwas  Ähnliches erlebten. Was auch immer sich dabei abgespielt hat – es dürfte eine intensive Erfahrung gewesen sein.

Rund 200 Objekte

In der Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Peru konzipiert wurde, sind rund 200 Objekte zu sehen, darunter auch solche, die Chavín bisher noch nie verlassen haben: grosse Steinskulpturen und Reliefs übernatürlicher Mensch-Tier-Mischwesen, kunstvolle Tongefässe, farbenprächtige Textilien und der älteste rituelle Goldschmuck ganz Amerikas.

Nur schon wegen der gezeigten Werke lohnt sich ein Besuch der Ausstellung, legen sie doch Zeugnis von einer grossartigen Kunstfertigkeit ihrer Schöpfer ab.

Beachtlich ist die Ausstellung aber auch, weil die Objekte so weit wie möglich in ihrem kulturellen und kultischen Kontext präsentiert werden und die Ausstellungsmacher versuchen, die besondere Atmosphäre von Chavín auch im Museum erlebbar zu machen. Letzteres etwa mithilfe von Klängen, die der Schweizer Posaunist Michael Flury mit den im Tempel gefundenen Meerschnecken-Trompeten erzeugt hat (Hörproben findet man auf der Homepage), oder eines Animationsfilms, der die Architektur und den Naturraum des Heiligtums zeigt.

 

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