Mit seinem klaustrophobischen Schnee-Western «The Hateful Eight» stapft Quentin Tarantino in den Spuren von John Carpenters Scifi-Klassiker «The Thing».
Dezember 1990. Meine Laune ist auf dem Gefrierpunkt: Das Kreuzband hängt in Fetzen (nach einem Foul bei einem Spassmätschli im Turnunterricht, haha!), vor den Fenstern des Kantonsspitals Liestal flockt es weiss. Und die Schwester verweigert mir Spränzel eine zweite Portion Anken für den Grättima: «Ungesund.»
Sämtliche Krankenschwester-Fantasien sterben an diesem Abend einen qualvollen, aber verdienten Tod.
Nach dem trockenen Znacht schleppe ich mich an Krücken ins Fernsehzimmer, wo der Spätfilm läuft. Zum Glück bin ich so vollgepumpt mit Blutverdünnern, dass mir selbiges nicht gleich in den Adern gerinnt: Ich bin ganz allein in dem Raum mit John Carpenters monströsem «Ding» – und ja, homoerotischen Subtext gibt es in diesem Männerfilm reichlich.
Dreharbeiten auf dem Gletscher
Film ab: Ein Helikopter fliegt eine einsame US-Forschungsstation in der Antarktis an, der norwegische Pilot schiesst auf einen entlaufenen Schlittenhund – warum bloss? Kurz darauf verblutet er selbst im Schnee, ohne dass die Männer herausgefunden hätten, was in den Norweger gefahren ist.
Des Pudels Kern liegt im Schlittenhund, der jetzt in der Basis frei herumläuft: Ein ausserirdisches Wesen hat von ihm Besitz ergriffen, das alle Lebensformen assimilieren und – fast – perfekt nachformen kann. Das grosse Sterben fängt an, ein Mann nach dem anderen (nur die Stimme eines Schachcomputers ist weiblich) wird von dem «Ding» verschluckt.
Howard Hawks verfilmte die Science-Fiction-Novelle «Who Goes There?» 1951 als paranoiden Kalter-Krieg-Thriller, in dem der Ausserirdische als Schreckgespenst der kommunistischen Gleichmacherei alles plättet. John Carpenters Remake aus dem Jahr 1982 (als auch Steven Spielbergs «E.T.» auf der Erde strandete) kupferte Hawks Monsterfilm nicht ab, sondern orientierte sich an der Ausgangsidee einer versteckten und ständig mutierenden Bedrohung.
Der «Halloween»-Regisseur setzte alles daran, Gefühle der Isolation und Entfremdung möglichst realistisch umzusetzen: Die Aussenaufnahmen wurden auf einem Gletscher, die Innenaufnahmen in einer heruntergekühlten Halle gedreht, damit der Atem dampft.
Und an den handgemachten, aber noch immer unglaublich effizienten Schockeffekten arbeitete der damals 22-jährige Maskenbildner Rob Bottin 12 Monate lang ohne Unterbruch, bis er selbst reif war fürs Krankenhaus.
Gescheites Geek-Kino
Die hypnotische Wirkung von «The Thing» ist phänomenal: Jede Abblende drückt wie ein schweres Augenlid auf den Film, aber an Einschlafen ist nicht zu denken, weil da im Dunkel zum elektronischen Herzschlag von Ennio Morricones Soundtrack Ungeheuerliches passiert.
«The Thing» ist gescheites Geek-Kino – kein Wunder also, hat Quentin Tarantino die Stimmung des Scifi-Klassikers samt Hauptdarsteller Kurt Russell und bislang unbenutzter Originalmusik von Morricone in «The Hateful Eight» übernommen.
«Behaltet den Himmel im Auge!», hiess es bei Hawks noch heroisch. «Mal schauen, was passiert», lauten dagegen die ernüchternden letzten Worte bei Carpenter, denn das Ding steckt schon längst in uns. Das unheimliche Fremde hat sich in Misstrauen und Missgunst verwandelt, unsere ständigen Begleiter: in der Warteschlange, bei der nächsten Abstimmung – oder auch nur am Spassmätschli.