«Titanic», «Britannic», «Olympic» – Schwester Violet war bei allen drei Schiffs-Unglücken dabei

Vor hundert Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, sank die «Britannic». Das Schwesterschiff der legendären «Titanic» lief am 21. November 1916 in der Ägäis auf eine deutsche Seemine. Geblieben ist die Schiffsorgel, die heute im Museum für Musikautomaten in Seewen steht.

Vor hundert Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, sank die «Britannic». Das Schwesterschiff der legendären Titanic lief am 21. November 1916 in der Ägäis auf eine deutsche Seemine. Geblieben ist die Schiffsorgel, die heute im Museum für Musikautomaten in Seewen SO steht – und die unglaubliche Geschichte von Violet Jessop.

14. April 1912, kurz vor Mitternacht. Nach der Kollision mit einem Eisberg versinkt die «Titanic» auf ihrer Jungfernfahrt im Nordatlantik. Das weltgrösste Passagierschiff reisst 1503 Menschen in den Tod, nur 712 überleben in den eisigen Fluten.

Es ist die Zeit des boomenden Transatlantik-Reisegeschäfts. Deutsche Schnelldampfer beherrschen um 1900 die Nordatlantikroute. Dann drängen zwei englische Firmen auf den Markt, die Cunard Line und die White Star Line. White Star strebt nach dem Monopol auf der Atlantikroute und gibt bei der irischen Reederei Harland & Wolff die drei grössten Passagierschiffe der Welt in Auftrag: die «Olympic», die dieser neuen Schiffsklasse den Namen gibt, die «Titanic» sowie die «Britannic».

Alle drei Mammut-Liner sehen von aussen fast gleich aus und sind knapp 270 Meter lang, vier mächtige Schornsteine prägen die Silhouette. – Wie die «Titanic» wird auch ihre jüngste Schwester, die «Britannic», Amerika nie erreichen.

Eher Massentransporter als Luxusliner 

Der britische Dokumentarfilmer und Marinehistoriker Simon Mills ist einer der weltweit intimsten Kenner der drei Schwestern, besonders nahe ist ihm die «Britannic».

Ihr Bau beginnt im November 1911, gut fünf Monate bevor die «Titanic» untergeht. «Obschon in der ersten Klasse unbestreitbar luxuriös, dienen die Schiffe der Olympic-Klasse nicht primär dazu, Menschen komfortabel zu transportieren», erzählt Mills. «Sie werden nur gebaut, um eine riesige Anzahl von Reisenden und Auswanderern von Europa nach Amerika zu bringen.» Ausser der ersten Klasse sei nichts von Luxus zu sehen gewesen; im Gegenteil: «Die meisten Passagiere sind in ärmlichen Kabinen untergebracht und bekommen nicht mal gutes Essen.»

Violet Constance Jessop überlebte nach der Havarie der Olympic auch den Untergang der Titanic und denjenigen der Britannic.

Kurz darauf sass Jessop in einem der ersten Rettungsboote, die auf der Backbordseite aufs Wasser setzten. Dann wird auch ihr Boot von den Propellern getroffen. «Ich sprang ins Wasser und wurde durch den Sog unter den Kiel des Rettungsbootes gezogen, an dem ich hart mit dem Kopf anschlug.»

Jahre später entdeckt ein Arzt, den sie wegen starker Kopfschmerzen aufsuchte, dass sie einmal einen Schädelbruch erlitten hatte. – Man ist versucht, zu sagen: Violet Jessop ist die einzige wirklich Unsinkbare auf den damals «unsinkbaren» Luxusdampfern. 

Am 21. November 1916 um 9.07 Uhr versinkt die «Britannic» für immer im Kanal von Kea – innerhalb von nur 55 Minuten nach der Explosion einer deutschen Seemine. Dreissig der fast elfhundert Menschen an Bord sterben, die meisten erschlagen vom Propeller. 

Wiederentdeckung und ein ungewöhnlicher Kauf

Nach seinem Untergang gerät das grösste Lazarettschiff seiner Zeit in Vergessenheit. Bis 1975 Jacques-Yves Cousteau mit seinem Forschungsschiff «Calypso» in der Ägäis aufkreuzt und das Wrack ortet. «Es ist weltweit noch immer das grösste Passagierschiff auf dem Meeresgrund», sagt der Marinehistoriker Simon Mills, «grösser als die ‹Titanic›». 

Rund zwanzig Jahre nach Cousteaus Tauchgang sieht sich Mills unvermittelt bei einem sehr speziellen Shopping: Er kauft die «Britannic»! Zum Deal kommt er zufällig, als ihn ein Freund jemandem vorstellt, der eben dabei ist, zwanzig Schiffswracks zu verkaufen, die er einst vom britischen Staat erworben hat. 

Mills lehnt dankend ab, signalisiert jedoch brennendes Interesse an der «Britannic». «Vier Wochen später konnte ich den Kaufvertrag unterzeichnen.» Was er für das riesige Wrack bezahlte, will er nicht sagen, er meint nur: «Es war nicht so teuer, wie Sie vielleicht denken.» 

Legende am Meeresgrund

Wer heute zur «Britannic» tauchen will, benötigt nicht nur eine Bewilligung von den griechischen Behörden, sondern auch vom britischen Wrack-Besitzer Simon Mills. Am sichersten ist der Besuch mit einem U-Boot. Freitauchend, nur mit Flaschen, kann der Ausflug zur finalen Reise werden. «Es ist sehr schwierig, zu ihr zu tauchen, nicht nur der Tiefe wegen. Es gibt dort unten auch starke Strömungen», erzählt Yannis Tzavelakos, der auf Kea eine Tauchbasis betreibt. Zudem liege die «Britannic» unter einer stark befahrenen Handelsschiff-Route. 

Tzavelakos selber war noch nie unten: «Ich will mein Leben nicht aufs Spiel setzen.» Auf die Frage, was die «Britannic» heute für Kea bedeute, sagt er: «Sie ist eine Legende, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Als das Schiff sank, wurden viele Gegenstände an Land gespült, Flaschen und Möbelstücke zum Beispiel. Fast jede Familie hier hat ein paar Souvenirs zu Hause.»

«Man sieht immer nur einen kleinen Teil des Schiffs, so unglaublich gross ist es.»

Dimitri Thomashov, U-Boot-Kapitän

Grenzenlos begeistert vom «Britannic»-Wrack ist Dimitri Thomashov. Der ehemalige Berufstaucher aus St. Petersburg arbeitet in San Gilijan auf Malta für die U-Boat Malta Ltd., eine Firma, die auf Meeresarchäologie und wissenschaftliche Unterwasser-Forschung spezialisiert ist. Der 31-jährige U-Boot-Fahrer war schon über vierzig Stunden bei der Britannic, zum Beispiel für Filmaufnahmen für die Russian Geographic Society. 

«Wie gut die Sichtweite auch ist – manchmal bis zu 70 Meter – man sieht immer nur einen kleinen Teil des Schiffs, so unglaublich gross ist es», schwärmt Thomashov. Je nach Wetterbedingungen und Strömungen dauere es fünf bis sieben Minuten, bis er in einem seiner Triton-Mini-U-Boote am tiefsten Punkt des Wracks angelangt sei. «Jedes Mal empfinde ich einen grossen Frieden, eine grosse Ruhe und einen grossen Respekt. Eine wunderschöne Atmosphäre.» 

Das tönende Herz der «Britannic» erklingt in der Schweiz 

Der Erste Weltkrieg raubt der «Britannic» auch die grosse klingende Attraktion: die mächtige Philharmonie-Orgel, gebaut von der Firma Welte in Freiburg im Breisgau, sozusagen das Bordorchester. Die Welte-Orgel war der Rolls-Royce der mechanischen Musik. Das Instrument mit 37 Registern und fast zweitausend Pfeifen ist sechs Meter hoch und acht Meter breit und kostete damals etwa so viel wie ein kleines Einfamilienhaus. Es konnte sowohl mechanisch mit gelochten Papier-Rollen als auch live von einem Organisten bespielt werden.

Die Orgel kam nach dem Umbau des Dampfers zum Lazarettschiff allerdings nie zum Klingen. Es ist sogar umstritten, ob sie jemals an Bord war. Auf verschlungenen Wegen gelangte die Orgel 1969 ins Museum für Musikautomaten in Seewen.

Museumsdirektor Christoph Hänggi: «Der Clou: Niemand hatte eine Ahnung, dass es die ‹Britannic›-Orgel ist.» Erst Jahre später entdeckte man Eingravierungen mit eindeutigen Hinweisen. Heute ist das Instrument die grosse Attraktion des Museums, das auch 1230 dazugehörige Mutterrollen besitzt, einige bespielt von den damals berühmtesten Organisten, sowie einen der wenigen noch erhaltenen Aufnahmeapparate. Regelmässig begeistern «Britannic»-Orgelkonzerte die Besucher und es gibt sogar CDs.

Das Wrack birgt noch viele Geheimnisse 

Von Seewen im Solothurner Bezirk Dorneck, 610 Meter über Meer, zurück zum Wrack der Britannic, 120 Meter unter Meer. Ihr weiteres Schicksal liegt ihrem Besitzer Simon Mills sehr am Herzen. Er will vermeiden, dass diese grossartige Zeugin prominenter Schifffahrtsgeschichte einem unkontrollierten Tauchtourismus zum Opfer fällt und geplündert wird.

Zudem möchte er seine Forschungen weitertreiben: «Das grösste Geheimnis der ‹Britannic› ist noch immer: Was steckt in ihrem Inneren? Wie weit war der Innenausbau? Wie ähnlich war er jenem der ‹Titanic›? Das möchte ich jetzt erforschen. Letztlich geht es darum, die ‹Britannic› zu gut wie möglich zu schützen.» 

Die «Britannic», die letzte untergegangene Illusion der Unsinkbarkeit und eine Erinnerung auf dem Meeresgrund an die Tausenden von Verwundeten, denen sie einst Rettung war.

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